The Cone of Babel (Text)

Torsten                                                  

Frederick                                                

Malaika                                                  

Claire                                                      

Johanna                                                 

Sarah                                                      

Maxim                                                   

Jannis                                                     

Marie                                                     

Elsa-Florence                                         

Tabea                                                     

James Isaac Faulkner                            

Der Fellache                                          

Bauleiter                                                

Reporter                                                

Seiler                                                      

Börsianer I                                             

Börsianer II                                            

1

Im Black:

AUDIO-STIMMEN – schwankend, rauschend, stellenweise schwer verständlich, als kämen die Stimmen aus dem Weltraum zu uns

Gajanand Gattawar. Der Baumwollbauer war hoch verschuldet  – und beging Selbstmord. So wie schätzungsweise 200 000 Kleinbauern in Indien in den letzten zehn Jahren. Die Baumwollbauern im sogenannten Selbstmordgürtel Indiens müssen jährlich teures, genverändertes Saatgut kaufen, die Erträge sind aber nicht so hoch wie die der subventionierten Agro-Industrie in den USA und Europa. Daher verschulden sich viele massiv.

„Helft mir“ bittet Sasi Kala, Mutter von drei Kindern. Und kein Einkommen. Kaum etwas zu essen. Ein paar Weizenkörner. Ein bisschen Reis.

TRAUMSTIMMEN / CHOR 

ebenfalls im Black, sehr deutlich                                      

Helft mir. Ich habe kein Einkommen. Ein paar Weizenkörner täglich. Etwas Reis.

Vanjari, ein Dorf in Zentralindien. Ein paar hundert Baumwoll-Bauern. Tausende Freitode jedes Jahr. Ich treffe Anil Prasad. TV-Journalist. Er arbeitet an einer Dokumentation für das indische Fernsehen. Über Selbstmorde von Bauern. Auch den Freitod von Sasi Kala`s Mann hat er dokumentiert. Aufgehängt an einem Baum. In einem Wäldchen. Gleich nebenan.

TRAUMSTIMMEN / CHOR :                                 

Helft mir. Mein Mann. Aufgehängt an einem Baum. In einem Wäldchen. Gleich nebenan.

 „Früher haben wir natürliche Baumwolle angebaut“, sagt der Baumwollbauer Raju Ganpat Rao. „Durch Einführung des Gen-Produkts BT Cotton sind die Anbaukosten explodiert. Denn BT Cotton braucht Pestizide und ist entwickelt worden für künstliche Bewässerung. Natürliche Baumwolle gibt es nicht mehr in Vanjari.

TRAUMSTIMMEN / CHOR :                                 

Helft mir. Die Anbaukosten sind explodiert.

Ich besuche einen Laden. Im Angebot: Fast nur Gen-Saatgut des US-Konzerns Atlantic Food. Düngemittel und Pestizide, vor allem von den Weltfirmen Bayer und Dupont.

Fahrt ins nächste Dorf. Monsun. Starkregen. Schlecht für Gen-Saatgut, das künstliche Bewässerung bevorzugt. Aber es gibt keine Alternative. Die indische Regierung will es so. Sie kassiert dafür Geld von den multinationalen Konzernen.

TRAUMSTIMMEN / CHOR :                                 

Helft mir.

Ich treffe Kishor Tiwari. Sein Büro führt Statistik. Ein Mitarbeiter zeigt mir drei Bücher, vollgeschrieben mit Namen. Bauern. Selbstmordopfer. Wenn der Ernährer einer Familie sich das Leben nimmt, beendet er auch das Leben und die Zukunft seiner Familie. Sasi Kala erlebt das gerade. Sie arbeitetet rund um die Uhr. Der Profit geht an Atlantic Food, an Bayer und Dupont.

TRAUMSTIMMEN / CHOR :                  

Helft mir. Ich erlebe das gerade. 

Intermezzo Sound: Wüste

TRAUMSTIMMEN / CHOR :                  

Die Sintflut.

Arbeitet sich voran.

Nicht alle behalten Platz auf der Erde.

Die Sintflut.

Arbeitet sich voran.

Als Wüste. Als Überschwemmung.

Heruntergefallen

Auf der Fahrt durch die Kälte des Weltraums

Treiben wir

Durch eure Träume.

Sound: Wüste.

Licht.

2

4 Leicht-Scheinwerfer im Karree. – In diesem Karree steht die Gruppe der eingeschlossenen Volunteers.

 MAXIM: Gottverdammt! Hurenscheiße! Fuck, Shit und Dreck! Der Bohrer! Der Bohrer. Steckt fest. Steckt wieder fest. Hurenscheiße und Hurenpisse!

JANNIS: Was bohrst du. Hier gibt es kein Wasser.

MAXIM: Wenn wir damals zum Wasserfinden für die Fellachen hergekommen sind, dann sollten wir es auch für uns selber versuchen. Es sei denn, du kommst ohne Wasser aus!

Die anderen schauen in den Himmel.

CLAIRE voll Hoffnung Da! Ein Flugzeug!

Sie schauen.

JOHANNA gefasst Nichts!

Elsa-Florence tippt wie wild auf dem Smartphone herum.

JANNIS: Hör auf, das Netz ist gekappt.

ELSA-FLORENCE: Nein, nein, ich will es noch einmal lesen!

TORSTEN: Was? Das irgendwer unsere Lage wahrgenommen hat?

ELSA-FLORENCE: Die amerikanische Regierung! Sie haben geschrieben, sie haben alle Abgeschnittenen erfasst!

TABEA: Und schicken Drohnen mit Wasser und Proviant!

JANNIS: Die meinen uns nicht. Wir sind zu wenige!

FREDERICK: Im Gebirge sind 60 000 eingeschlossen!

MARIE: Und die KK soll schon Tausende hingerichtet und ebenso viele verdursten und verhungern haben lassen!

JANNIS: Was ist das für ein Rückfall ins Mittelalter! Was sind das für Verbrecher!

SARAH: Hör auf!

JANNIS: So! Ich hör auf! Weil du es befiehlst?

SARAH: Über die Kämpfer für das Kalifat sollten wir nicht reden. Sondern über uns.

MARIE: Was gibt’s da zu reden?

SARAH: Ohne uns  gäbe es die KK nicht. Ohne unseren dauernden Einmischungen, ohne das brutale Interesse der westlichen Welt an den Energiequellen dieses Landes, wäre das ein Landstrich, der seine Probleme mit friedlichen Mitteln löst.

Der Fellache steht hinter ihnen.

DER FELLACHE: Ihr habt nach mir geschickt, Kinder?

JOHANNA: Sag dem Amir, er soll uns auf sein Land lassen.

CLAIRE: Auf ein kleines Stück von seinem Land.

TABEA: Auf das Stück, wo es Wasser gibt! Er soll uns Wasser geben!

DER FELLACHE: Der Amir wird euch den Wunsch nicht erfüllen. Er wollte euch nicht hier haben. Sein Land braucht keine Hilfe. Das Land hier hilft sich selbst. Es hilft sich, indem es, wen es nicht ernähren kann, in die Wüste aussperrt. 

Fellache ab.

CLAIRE greift Sarah an. Warum sind wir nach Bāb-ilim gegangen! –  äfft sie nach Weil hier die Wiege der Zivilisation stand! Weil hier fruchtbares Land war, und jetzt durch die Schuld des alles devastierenden Westens Wüste! Weil alle anderen alternativ denkenden Menschen zu feige waren hierher zu gehen! 

SARAH: Und ist es nicht so? Haben wir nicht so geredet in unserem Vorbereitungscamp in Sallgow in Brandenburg, Deutschland?

Alle schweigen.

JANNIS: Warum bin ich in dieser Wüste? Hitze, Dreck, kein Wasser. Die einzige Flüssigkeit, mein Schweiß, gemischt mit Sand und Lehm, lässt meine Finger verkrusten.

MAXIM: Na und!

JANNIS: Ich bin Musiker. Pianist.

MAXIM: Hast du hier ein Klavier erwartet?

JANNIS: Ich habe einen Ort gesucht, wo man leben kann.

CLAIRE: Hier?!

JANNIS: Hier ist „Tausendundeine Nacht“ entstanden. Das hat auch dich neugierig gemacht, als ich es dir erzählt hab.

CLAIRE: Ich hab aufgehört zu träumen.

TABEA Da!

JANNIS: Ach hör auf. Es kommt kein Flugzeug.

Trotzdem schaut auch er nach oben wie alle anderen. – Aber bald geben sie es wieder auf.

CLAIRE: Welch eine Arroganz hierher zu kommen!  Äfft wieder Sarah nach Wir bekennen uns zur Verantwortung für Zustand des Globus, für den Zustand dieses, sowie aller geschundenen  Landstriche! Denn wir sind eine Welt!  Oja das hab ich vergessen: Wir sind hier hergekommen nicht als Menschen, die den Menschen hier etwas voraus haben, sondern als Gleiche!

SARAH: Und so ist es! Und so wird es sein. Bis zuletzt.

CLAIRE: Hast du den Lakai des Amirs eben gesehen? Der hustet dir was von Gleichheit!

Pause.

CLAIRE: Dass wir überhaupt dachten, hierher kommen zu müssen, zeugt von Arroganz, von Größenwahn, ach was weiß ich! Irgendwie müssen wir ganz anders denken!

Black. – Sound: Wüste.

3

Sound: Wüste. – Nacht. (Die Scheinwerfer sind aus). – Die meisten schlafen. Nur Marie und Frederick sitzen, zwischen sich ein Handscheinwerfer . – An die Decke ein gewaltiger Sternenhimmel projiziert.

FREDERICK: Zu Hause bin ich manchmal nach Saint-Malo gefahren, ans Meer. Wenn Orkan war, richtiges Wetter. Da hab ich Widerstand gehabt, da hab ich das Gefühl gehabt, wirklich zu leben.

MARIE: In meinem Dorf in der Steiermark hab ich eine bestimmte Stelle gehabt, zu der ich manchmal gegangen bin. Von dort hat man die Häuser gesehen, wie sie an den Hängen hinaufkletterten. Ich hab immer gedacht, das passt. Das ergänzt sich. Das muss sich nicht gegeneinander behaupten. Das ist aufeinander angewiesen.

Schweigen. Geräusche der Wüste.

FREDERICK: Chaostheorie? Mal was davon gehört?

MARIE: Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Japan löst einen Tornado aus in Texas. 

STIMME AUS DEM DUNKEL: Die Schulden einen toten Baumwollbauern in Indien gehen als Steingewitter nieder über Frankfurt.

FREDERICK: Malaika?

Malaika kommt.

MALAIKA: Ich kann nicht schlafen. Und ich komm um vor Durst. Vielleicht regnet es deshalb Steine in meine Träume und kein Wasser. – Der Traum, von dem ich euch erzählt habe.

Pause. Geräusche der Wüste.

MARIE: Sasi Kalas Mann hängt sich auf in Vanjari, und in Frankfurt regnet es Steine auf das Bankenviertel?

MALAIKA: Ich sehe Sasi Kala in vielen Träumen. In einem schwimmt sie im Ozean einem Luxusliner hinterher. Und wir stehen auf dem Deck und schließen Wetten ab, ob sie es schafft. Ist es da nicht gerecht, wenn wir gesteinigt werden?

FREDERICK: Es ist alles Ursache und Wirkung, aber mit Umwegen, Abstürzen, Aufschwüngen. Alles ist mit allem verbunden.

MARIE: lacht Manchmal konstruierst du Kausalitäten direkter!

FREDERICK: He?

MARIE: Du stolperst in der Provence, und in Amerika bricht Lehman-Brothers zusammen! Erinnerst du dich?

FREDERICK:  Ja, das stimmt. – zu Malaika Ich habe Marie folgendes erzählt: Ich wollte weg aus der Bretagne. Also heiratete ich. Eine Architektentochter aus Arles. Ich nahm einen Kredit auf und wir bauten ein Haus.  Dann kams: Ich verdiente nicht mehr so gut. Urlaubsgegend. Zu viele Architekten hatte es dorthin gezogen, zu wenig Aufträge. Meine Bank war eine gute Bank, sie hatte Geduld mit mir. Bis sie verkaufte. Meinen Kredit – an Société Générale. Die waren nicht so human, die nahmen mein Haus, als ich die Anleihe nicht mehr bediente und setzten mich vor die Tür. Ich flüchtete aus meiner Niederlage nach Deutschland. Flüchtete vor der Architektentochter, die meine Frau war und nicht leben konnte ohne Swimming Pool und mediterrane Atmosphäre. Société Générale verkauften meinen Kredit an die Deutsche Bank, und die an Lehman Brothers. – Ich hab den Kredit also nicht zurückgezahlt und Lehmann Brothers gibt es nicht mehr. Solche Kausalitätsketten lass ich mir gefallen.

Pause. Geräusche der Wüste.

MARIE: Wenn ich so hier sitze .. in solcher Weite ..  die Sternenwiese, das Riesenfunkeln über mir … 

MALAIKA: Was?

MARIE: Ich weiß nicht. Ich kann’s nicht ausdrücken.

FREDERICK: Da hat man das Gefühl, dass die Welt einen größer will. Das richtige Bewusstsein von sich …. das ist verschüttet ….

MALAIKA: Das richtige Bewusstsein? Soll das das Bewusstsein von Sarah sein?

FREDERICK: Kann sein. Ich weiß nicht. Ich hab keine Worte dafür.

 Geräusche der Wüste. Black.

4

Gegen Morgen. Heruntergefahrenes Licht. Handscheinwerfer. Heftiger Wind. Sarah kommt und macht Morgentoilette (mit Sand) und gymnastische Übungen. Im Hintergrund steht Claire auf, während Jannis ihr etwas Zorniges hinterher ruft  – Sie tritt zu Sarah 

SARAH: Ihr streitet euch?

CLAIRE: Er gibt mir die Schuld, dass wir hier sind! Und dabei bin ich nur wegen ihm mitgekommen!

SARAH: Du bist mitgekommen, weil du Angst gehabt hast, ihn zu verlieren!

CLAIRE: Es ist unfassbar. – Ey ich hab nichts mit Leuten wie du eine bist. Ich bin zufällig hier.

SARAH: Was bin ich denn für eine.

CLAIRE: Du willst die Welt retten. Ich will nur Jannis nicht verlieren … – Was guckst du mich so an?

SARAH: Aber nun bist du eine Geisel wie wir alle. 

CLAIRE: Geisel der KK. 

SARAH: Nein. Wir sind Geiseln einer Welt, die wir zu dem gemacht haben, was sie ist. Wir sind in unsere eigene Falle gegangen. Wenn du das begreifst …

CLAIRE: Ja?

SARAH: .. dann war dein Leben nicht umsonst. Auch wenn wir hier nicht mehr rauskommen.

An anderer Stelle Johanna, Torsten, Frederick.

JOHANNA: Dieser Wind, der nichts bringt als Trockenheit! – Ich muss mich mal kurz bei dir festhalten.

TORSTEN: Setz dich doch hin.

JOHANNA: Ich bin die Projektleiterin. Ich stehe.

TORSTEN: Hier sieht keiner deine kleine Schwäche außer uns.

JOHANNA: Gerade deshalb. Wenn du Verantwortung hast, dann hast du Verantwortung. Dann hast zu stehen – auf dem Platz, auf den du gestellt bist.

FREDERICK: Du wirst es noch weit bringen im Leben.

JOHANNA: Ironie?

FREDERICK: Ich mein es ernst. Du wirst es weit bringen. Wenn wir hier rauskommen.

JOHANNA: Wir kommen hier raus.

TORSTEN: Und dann?

JOHANNA: Was “und dann“

TORSTEN: Wofür leben?

JOHANNA: Ich weiß es. Für mich weiß ich es. Und du?

TORSTEN:  Für mich weiß ich es auch.

FREDERICK: Er hat einen Traum von Architektur, und er will ihn verwirklichen. Die Dynamic Towers  in Dubai. Wir haben sie gesehen, als wir hierher gekommen sind. So etwas will er bauen. – So etwas wollte er bauen. Als erster. Aber jetzt ist es gebaut. Und nun überlegt er, wie er es toppen kann.

JOHANNA: Bei jedem anderen würde ich lachen.

Pause.

JOHANNA: Kiruna. Liegt am Nordpolarkreis. Acht Monate Winter.  Eisenerz wird da abgebaut. Eine gigantische Grube, so groß wie das Tote Meer. Wir wohnten in einem Häuschen etwas oberhalb; blickten von unserem  Fenster direkt in die Mine. Eine Eis- und Erzwüste, ein Planet der Leere. Mein Vater soff, vielleicht weil er die Leere nicht aushielt. Einmal im Monat tickte er vollkommen aus und verwüstete das Haus. – Meine Kindheit war Wüste. Manchmal denke ich, etwas Großes, etwas ganz Großes muss errichtet werden über der Wüste in mir.

Die Anderen stehen auf und schauen in den Himmel.

ŸŸ einige haben im Gefühl, dass das Flugzeug heute kommen wird.

ŸŸ andere zweifeln daran

ŸŸ was machen, wenn kein Flugzeug kommt, wenn sie hier sterben müssen

ŸŸ Frederick: selbst im Arsch des Teufels will Dante, was er wahrnimmt, wissen

Ÿ Erläuterung, was das Zitat meint

ŸŸ Sarah wird überleben, weil es auf der Welt noch so viel zu tun gibt

ŸŸ Frederick: Du musst nicht die Welt retten. Du musst leben – nur vielleicht nicht ganz so, wie die Welt es will.

Sie stehen. Black. – Bis hierher heftiger Wind. Auf einmal Stille.

5

Stille. – Licht von unten (Lichtsäulen zwischen den Volunteers). Die Volunteers stehen mit dem Rücken zum Publikum.

CLAIRE: dreht sich um

Wir stehen und warten auf das Flugzeug.

Ich zähl die Stunden.

Herunter auf den Punkt nach dem mein Körper

Blutbahnen, Zellen, Muskeln, Zunge

Schreit:

Wasser!

Ich sehe.

Unsre Blutgefäße

Trocken wie versandete Flussläufe.

Sauerstoff, Nährstoffe, Mineralien, die in die Muskeln, in Arme und Beine, in unsere Hirne transportiert werden sollen

An den Rand gespült jetzt

An hitzegebleichten Gestaden gestrandet

Wartend auf Wasser wie wir

Doch nichts. Kein Wasser.

Kein Wasser, in dem die Stoffe, aufgelöst, schwimmen können in Muskeln, in Hände, Füße, in die Hirne, Herzen, Zungen

Wie Kadaver die Zungen in den Höhlen unserer bleichen Schädel

Der Wind, aus der Zentralwüste herüberwehend, hat sich gelegt

Ich denke nicht in dieser Stille

Es denkt mich

In einem Wort:

Wasser!

SARAH: dreht sich um

Auch ich denk nur das eine: Wasser!

Und sehe

Am Golf von Persien

Dubai, Katar, Bahrein, Abu Dhabi

Den Überfluss

In Türmen

In Hotels, Geschäften

Und in den Toiletten

Wo ich die Hände übers Becken halt und habe:

Wasser.

Die Waage.

Auf der einen Seite wir

Zu leicht befunden, ausgetrocknet

Hochgeschnellt gen Himmel

(Bald gehören wir den Toten)

Und unten auf der Schale in den Städten die

Durchtränkt vom Überfluss und satt.

Ich gehe mit den Sklaven aller Kontinente

Denen alles

 – Sie sich selbst –

Genommen ist.

Auf dem letzten Gang mit ihnen

Denk ich:

Auf dem letzten Gang gemeinsam

Denken wir:

Für alle!

Wasser!

TORSTEN: dreht sich um

Die Blutgefäße in uns

Trocken wie versandete Flussläufe:

Nichts mehr über die erreicht das Hirn.

Was heißt:

Die Synapsen

Klicken nicht mehr ein

Binden sich nicht in der alten Weise

Werden

–  Gewohntes überspringend –

Frei

In Dubai die Türme

Dynamic Towers

Die wir gesehen haben auf der Herfahrt.

Gewunden, autonom, Segmente,

Gegeneinander stehend

Und doch bis an den Himmel sich verbindend

Steigen auf

– in meinem Bild –

Aus einem Ozean

Von Wasser, trinkbar

Das nehmen sie bis an den Himmel mit

Und schicken es als Regen in die Wüste

SARAH:

Für alle

Die dort leben

Wasser!

Alle drehen sich um.

ALLE:

Die Synapsen

Klicken nicht mehr ein

Binden sich nicht in der alten Weise

Werden

Hindernisse überspringend

Frei

Ich sehe mich und euch

Ich seh den Ozean von Wasser, trinkbar

Und den Turm

Der nimmt es an den Himmel mit

Und schickts als Regen in die Wüste!

Frederick hat nicht mitgesprochen.

MALAIKA: Frederick? Und du? Was siehst du?

FREDERICK: Ich atme.  Verfolge den Weg meiner Atemluft: Wie der Hauch einströmt in die Lunge, wie die Lunge den Atem durch ihre Oberfläche ausgießt, verstreut, verbreitet, wie ihn mein letztes Blut aufnimmt, zu Zellen und Gewebe weiterleitet, und wie Kohlendioxid zurückgeben wird in den Kreislauf, der noch noch noch arbeitet. Ich atme aus. – Ein Netzwerk, ein Verbund, der ich bin:  Lunge, Blut, Herz, Zellen und Gewebe. Ich, mein Kopf, bin Teil des Ganzen, nichts ohne die. Wie viel Tage noch, bis alles aufhört? Wie viele Tage noch, in denen ich dies denken kann: Dass so Natur ist: Ein Netzwerk, in dem sich keiner überheben darf.  – Was ich sehe: Ein Glas Wasser. Für den Kreislauf. Und keinen Ozean und keinen Turm.

[Noch einfügen: Sarah]

Alle, bis auf Frederick, blicken nach oben. Nach einer Pause.

ALLE:

Wir wollen den Ozean, der trinkbar ist.

Und ja: Für alle.

Und sehen aus dem See

Groß wie der Ozean 

Gewaltig

Stahlarme sich erheben

Von denen

In sich tragend Wasser

Seitenträger führen, die 

Hunderte Meter in die Wüste

Weit hinaus

Wannen halten:

Felder, Fußballfelder, Waldungen und Wiesen

Dazwischen

Vor Behausungen am Rand von Gärten

Treiben Fellachen, treiben wir, Menschen

In einem milden Klima

Feldbau

Und schauen auf in einen Regen, der

Aus Wolken, die die Felder still umkreisen

Stiller niedergeht.

Black. Sound. Harmonie.

6

4 Leicht- Scheinwerfer im Karree. – In diesem Karree steht die Gruppe der eingeschlossenen Volunteers.

TORSTEN  mit matter Stimme Eine solche Konstruktion wäre denkbar!  – Niemand reagiert auf ihn.  Ein Trichter, seine Oberfläche 30 Quadratmeilen, in dem sich Wasser sammelt. Das Wasser gelangt über ein Kapillarsystem in Stahlträger, die hunderte Meter in die Wüste hinausreichen. Er wird lauter, leben­diger  Bifurkationen, die von den Hauptarmen abgehen, und die Hauptarme selbst, tragen Scheiben, eigentlich Wannen, Flächen, gefüllt mit Humus und anderer fruchtbarer Erde in der Größe von Fußballfeldern. Auf den Scheiben befinden sich Wiesen, Parks, Behausungen. Zwischen den Behausungen wird Feldbau betrieben in einem milden Klima, er spricht jetzt in ein Mikrofon, die anderen stellen sich an den Seiten auf ….. erzeugt im vertikalen und horizontalen Verbund der  Scheiben, unterhalten von einem Regen, der aus Wolken, die die Siedlungsflächen umkreisen, von Zeit zu Zeit niedergeht. – Die Ideen, die diesem Bauwerk zugrunde liegen, Nach­haltigkeit, Heterarchie, Solidarität, Balance, sollen auch für den Arbeitsprozess, für die  Errichtung des vorgestellten Bauwerkes gelten.  – Eine Kameradin von mir hat regelmäßig einen Albtraum: Eine indische Baumwollbäuerin, der eine globale Wirtschaftskrise den Mann genommen hat, schwimmt als Schiffbrüchige einem Luxusliner hinterher, den sie nicht erreicht. Millionen Menschen erleben in der Realität, was die Kameradin träumt. Oder soll ich sagen: Sie erleiden die Wirklichkeit so, müssen sie  so erleiden, dass sie sich in unsere Träume niederschlägt? – Ich erwarte, dass die mit diesem Entwurf verbundene, vorgeschlagene Art des Arbeitens Vorbild wird für alle Schaffenden rund um den Globus. Damit die Menschheit  dem Luxusliner, auf dem sie eigentlich leben sollte, nicht hoffnungslos in Kälte des Weltraums  hinterher treibt!  – Klatschen. – Ist jemand unter ihnen, der sich von diesem Projekt herausgefordert fühlt? Der an es glauben kann und will?

Ein Moment Pause. Dann Licht von vorn. Es erfolgt von weit hinten der feierliche Auftritt von Isaak Faulkner, eine Märchenfigur.

JAMES ISAAC FAULKNER Mein Name ist James Isaac Faulkner. Ich nehme an, sie kennen mich aus dem Fernsehen, dem Internet etc. Sie wissen also, wer ich bin, und das ich schuld bin an der Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko. Sie wissen, wie es um den Strand von Galvestone Island steht nach der Havarie der Deepwater Horizon. Diese Bohrinsel, wie viele andere, gehörte mir. – Ich habe im Ölgeschäft Milliarden verdient. Ich suche nach einer Gelegenheit, mich von den Heimsuchungen Gottes zu erlösen, die, als Strafe für mein Erfolgsstreben, meine Seele verwüsten. Ich danke Ihnen, Mr. Rätz, dass Sie mir  – über die Finanzierung ihrer kühnen Idee – Gelegenheit dazu geben.

Black. Allmähliches Einsetzen von Baulärm

7 Baustelle / Beginn „Kompromisse“ / Diskussion darüber

Baulärm. Licht von unten (Lichtsäulen zwischen den Volunteers) – Zwei, drei von ihnen stehend sterbend. Die anderen im „Wüstenbüro“. – Marie und Frederick außerhalb des Karrees.

TABEA: Hier noch mal Faulkner – Rätz Foundation … ja, wegen des Unterbaus für die Wohn- und Sanitärcontainer .. wir würde nun doch ein Kantholzfundament vorziehen ..  Nein, keinen Sockel …

ELSA-FLORENCE: Ja, natürlich Raupenbagger …. Wie? Die Bezahlung erfolgt über unser  Büro in Austin … Nein nein nein – die Rüttlerplatten sind erst nach dem 24. bestellt worden … Ja, auch die Grabenfräßen .. Das geht dann hierher … Ja, sobald hier das Büro steht, erfolgt das Management von hier ..

SARAH:  Das Büro von Amir Ben Jussuf? Wegen der Pipeline … Wird aus Saudi-Arabien geliefert? Gut! Danke!

SARAH zu Jannis Wie doch amerikanische Dollars in den Herzen arabischer Prinzen den Kurs zu verändern vermögen!

JANNIS: Was willst du! In der Wüste leben auch nur Menschen!

JOHANNA: In dieser Wüste wird der Begriff Mensch gerade neu erfunden!

JANNIS: Bleib auf dem Boden, kleine Schwedin! Der Mensch, schon x-mal neu erfunden, bleibt immer derselbe!

MALAIKA ruft zurück Ruf Isaac an! Ab morgen brauchen wir den Korridor!

  • MAXIM: ruft hinüber zu Malaika  Der Gouverneur!
  • MALAIKA: Weswegen?
  • MAXIM: Er will Militär hierher verlegen für unseren Schutz.
  • CLAIRE: Mr. Faulkner bitte!
  • MALAIKA: zu Maxim Halt ihn hin! Ich will erst wissen, was mit dem Korridor wird.
  • CLAIRE: Mr. Faulkner?
  •  
  • Faulkner (Märchenfigur)  sitzt auf Brett zwischen Leitern (Beginn des Gerüstbaus)
  •  
  • JAMES ISAAC FAULKNER:  Ah Claire! Ich habe sie an der Stimme erkannt! Worum geht’s?
  • CLAIRE: Morgen sollen die ersten Transporte kommen! Und wir haben noch keinen Korridor durch die Zentralebene. Die bleibt von der KK besetzt.
  • JAMES ISAAC FAULKNER:  Ich ruf meinen Mittelsmann in Saudi-Arabien an.

TABEA: Faulkner-Rätz Foundation, Sitz Bāb-ilim … ruft  Malaika!

MALAIKA: Ja?

TABEA: Der Gouverneur. Er ist äußerst liebenswürdig. Er bettelt faktisch darum, Militär zu unserem Schutz hierher verlegen zu dürfen.

CLAIRE: Faulkner-Rätz Foundation, Sitz Bāb-ilim … Mr. Faulkner!

JAMES ISAAC FAULKNER: Na, zufrieden Kindchen?!

CLAIRE: Wie haben Sie das gemacht Mr. Faulkner?

JAMES ISAAC FAULKNER: Die KK interessieret sich nicht mehr für den Norden, also für euch. Sie verlagern ihre Aktivitäten in die südliche Zentralebene und darüber hinaus, bis nach Uruk hinein.

CLAIRE: Auf einmal!

JAMES ISAAC FAULKNER: Sie bekommen dafür Waffen. Und Schiffe, um Uruk  von der See her sichern zu können.

CLAIRE: Was?! Um ihren Machtbereich nach Afrika hinunter auszudehnen? – Malaika!

MALAIKA: Ich hab’s gehört.

Lichtwechsel. – 4 Leicht- Scheinwerfer im Karree. – Marie und Frederick außerhalb des Karrees.

  •  
  • MARIE: Was treibt durch unsere Träume?
  • FREDERICK:  Frag, was liegt dahinter!
  • MARIE: Was liegt dahinter?
  • FREDERICK: Unser Wissen, wie die Dinge laufen.
  • MARIE: Unser Nachbar in der Steiermark stellte um auf Öko, aber Futter ohne Antibiotika kommt von zu weit her und ist zu teuer. Er fängt trotzdem an. Und gibt seinem Fleisch das Label: Ökologisch!
  • FREDERICK: Wir leben nicht auf einer Insel.
  • MARIE: Nach zwei Jahren hat es mein Bauer geschafft. Er findet einen Betrieb in Norditalien, der ihm das Futter liefert, das er braucht.
  • FREDERICK: Das Wissen, das hinter deinem Beispiel liegt?
  • MARIE: In zwei Jahren werden Hunderttausende es nicht geschafft haben. Sie verlieren ihr leben durch die KK.
  • FREDERICK mit Verweis auf die Volunteers Wie werden sie sich entscheiden?
  •  

Lichtwechsel. Licht von unten (Lichtsäulen zwischen den Volunteers. Alle blicken auf Malaika. Schließlich nickt sie.

  •  

CLAIRE: Mr. Faulkner? Alles okay. Grünes Licht.

JAMES ISAAC FAULKNER: Super Kindchen. Morgen kommt der erste Konvoi. – Und noch etwas Kindchen … Atlantik Food  .. sagt Ihnen das was?

CLAIRE: Ja.

JAMES ISAAC FAULKNER:  Sie wollen einsteigen, bieten  Beteiligung an …

CLAIRE: Moment, Mr. Faulkner ..

JAMES ISAAC FAULKNER:  Hallo Missis Onondaga. Ich habe noch mal 50 Milliarden für Sie. Atlantik Food …

MALAIKA: Wer?

JAMES ISAAC FAULKNER: .. sie sagen auch, es ist ein Jahrtausendprojekt. Und sie wollen dabei sein!

Pause, dann Chor.

CHOR: leise Helft mir. Mein Mann. Aufgehängt an einem Baum. In einem Wäldchen. Gleich nebenan.  / die Sintflut. / Arbeitet sich voran.

MALAIKA: Atlantik Food, Mr. Faulkner … das geht nicht.

JAMES ISAAC FAULKNER: Springen Sie über ihren Schatten, Onondaga.  Geld für eine gute Sache kann man nie genug haben!

MALAIKA:  Erinnern Sie sich, Mr. Faulkner. Nachhaltigkeit, Heterarchie, Solidarität, Balance .. ?

JAMES ISAAC FAULKNER: Okay, okay, um meiner Sünden willen .. Lassen Sie die 50 Milliarden liegen  ..

Black. – Sound: Baugeräusche. Schwächer werdend. Dann Stille.

  •  
  •  
  •  

8

4 oder 6 Scheinwerfer im Karree. – In diesem Karree steht die Gruppe der eingeschlossenen Volunteers. Schon  schwankend setzen sie das Gedankenspiel des Cone of Babel fort.

CLAIRE: Vor zwei Jahren hatten 11 Freiwillige aus Europa in Bāb-ilim in Vorderasien eine von ihrem Konstrukteur, Dr. Torsten Rätz, so genannte „sozio-utopische Architektur“ zu errichten begonnen. Inzwischen arbeiten dort ca. 500 Freiwillige aus Afrika, Amerika und Europa unter der Leitung der weltweit renommiertesten Konstruktionsbüros und Bauunternehmen. Ein gigantischer in den Wüstensand getriebener Trichter soll einen Teil des infolge der Klimaveränderung desertifizierten Landes zwischen Rotem und Kaspischem Meer neu bewässern. Die Freiwilligen, die dieses von manchen auch als 9. Weltwunder bezeichnete Projekt errichten, wollen hier Raum für die Klimaflüchtlinge des Globus schaffen.  Eine von dem texanischen Ölmilliardär James Isaac Faulkner ins Leben gerufene Stiftung ermöglicht es den Refugees, auf  finanziell unbelastetem Land zu wirtschaften. – Jannis, du bist endgültig mein Held!

JANNIS: Wieso?

CLAIRE: Ich stell mir vor, ich hätte dich alleine ziehen lassen! Ich wär nicht berühmt geworden!

JANNIS: Wenn ich „Noah’s Ark“ fertig komponiert habe, bist du berühmt! Als Frau des größten Komponisten des 21. Jahrhunderts, dessen Werke selbst den Trichter von Babel in den Schatten stellen. Bis dahin üb dich in Bescheidenheit!

FREDERICK: Ja!

CLAIRE: Was ja?!

FREDERICK: Da sie nun zogen gen Morgen, fanden sie ein ebenes Land im Lande Sinear, und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, laß uns Ziegel streichen und brennen! Und nahmen Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk und sprachen: Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, daß wir uns einen Namen machen! Da fuhr der HERR hernieder und sprach: Sie haben das angefangen zu tun; sie werden nicht ablassen von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, laßt uns herniederfahren daß sie aufhören müssen die Stadt zu bauen.“

MALAIKA: Was erzählst du da?

FREDERICK: Es ist aus der Bibel: Der Turmbau zu Babel.

MALAIKA: Warum zitierst du das?

FREDERICK: Es ist gefährlich, was wir tun.

CLAIRE: Wir träumen nur.

Einsetzen von Baulärm. Sie fangen an, die Bohrung herzustellen. – Auf Höhe der Schweinwerfer werden weitere Bretter auf  Leitersprossen gelegt. – Baulärm im Hintergrund und aus der Tiefe.  – Während des Umbaus der Scheinwerfer läuft der Dialog.

TORSTEN: wie die anderen mit der Montage der Schweinwerfer beschäftigt Warum zitiert er das?!

MALAIKA: Er dreht Gott das Wort im Mund um!

TABEA: Ja, das hier ist was anderes. 

FREDERICK: Wirklich?

TABEA: Dort ist ein Ende, hier ist ein Anfang, die Auferstehung.

FREDERICK: Das meinst du nicht im Ernst.

TABEA: Ich hatte mal einen Unfall. Auf dem Highway nach Portsmouth. Als ich gegen die Scheibe flog, wusste ich, jetzt ist es vorbei. Aber da war kein Unterschied. Zwischen dem, was davor war, und dem, was jetzt kam.  Denn mein Leben vorher war ….   Townhouse mit meinem Mann, der Großstaubsauger und Absauganlagen bis nach Ontario hinauf verkaufte, ich selbst Filialleiterin bei Starbucks.  Als ich aufwachte auf der Intensivstation, lebte ich … Aber da war kein Wunder … Das Wunder findet hier statt. Elf so unterschiedliche Leute. Und inzwischen sind wir ja mehr. Alles  Egoisten. Aber alle arbeiten hin auf ein Ziel.  Das hier – zu Frederick –  ist nicht der Turmbau zu Babel; das geht nicht in die Höhe, sondern in ein Ergänzen und Erweitern, ein Miteinander. Das erreicht mich, das geht in mich, wie nichts in Massachusetts je in mich gekommen ist. – Jetzt – nicht nach meinem Erwachen auf der Intensivstation – habe ich das Gefühl zu leben! Zu erwachen. Aufzuerstehen. Jetzt zum ersten Mal! Der Nobelpreis ist mir egal.

Während der Umbau läuft, kommt Malaika nach vorn. Sie bekommt Licht von vorn. –  Malaika allein.

MALAIKA: Wenn das Leben sich so schlagartig verändert, wenn es so intensiv wird, wie hier bei uns in Bāb-ilim, dann lebt man wie im Traum. Und wenn man dann noch zusätzlich träumt … – Sasi Kala, die indische Witwe, kam in meinen Träumen jede Nacht vor. Ich sah sie in immer neuen Konstellationen; der Traum spann sich fort, es war wie ein Roman. Ihr neuer Mann – ja, sie hatte wieder geheiratet – arbeitete mittlerweile in den Erzgruben von Jhakandar. Er verdiente so, dass es reichte, die Kinder gingen in die Schule … – Manchmal, wenn ich aufwachte, wusste ich nicht, kehre ich in die Realität zurück, oder wechsle ich nur in einen anderen Traum? Habe ich, wenn ich von Sasi Kala träume, die Realität verlassen, und wechsle nun, im Erwachen, hinüber in einen Traum? Träume ich, wenn ich mich auf der riesigen Baustelle des Trichters von Babel bewege?  Manchmal, das heißt immer, sehe ich mich auch, sehe ich uns alle in der Wüste stehen. Wir sind am Verdursten, und dann gibt es keinen Mr. Faulkner mehr und es kommt kein Flugzeug . Aber es muss kommen! Unsere ausgetrockneten Körper verlangen das! – Vielleicht bin ich in solchen Momenten so intensiv am Verdursten, dass ich den Anfang des Streites zwischen dem Bauleiter von Flatino Construction und Frederick nicht mitbekomme  …

An dieser Stelle sollte das Licht fertig gestellt sein. Blaue Schweinwerfer auf  Stativen nach unten  gerichtet stellen die Bohrung dar.  – Der Bauleiter ist während des Monologs von Malaika aus der Tiefe der Bühne gekommen. Er trägt einen westernmäßigen Hut. Weißärmeliges kurzes Hemd, schwarze Hosen. – Mit Beginn des Gesprächs mit dem Bauleiter werden schon die Vorbereitungen getroffen, die Scheinwerfer unten zu installieren.

BAULEITER: Warum sollen wir den Trichter nicht die 5000 m3 größer machen, wenn wir einmal dabei sind? Es ist machbar!

MALAIKA: Das bedeutet Siedlungsfläche für mindestens 600 weitere Menschen! Menschen, die sonst vertrieben und heimatlos bleiben würden!

FREDERICK: Du denkst an diese Menschen? Nicht an dich?

MALAIKA: An mich?

FREDERICK: Du bist die Bauleiterin des vielleicht größten Unterfangens von Menschen in diesem Jahrhundert. Du darfst mit Nachruhm rechnen!

TORSTEN: Den Trichter noch mal vergrößern – das wird scheitern. Die Legierung, die für die Wandung eines so gigantischen  Trichters gebraucht wird .. Dafür wird Rubamin gebraucht. Und das gibt es faktisch nicht.

BAULEITER: Rubamin wird gefördert!

MALAIKA: In Jhakandar!

TORSTEN: Die Fördermenge ist viel zu gering! Wenn wir den Trichter vergrößern, müssen wir überall nachlegen, bei den Wannen, den Auslegern. Da geht nichts ohne  Rubamin. Das geht nicht ohne neue Legierungen. Eine ganze Industrie muss dafür hochgezogen werden!

BAULEITER: Vergrößert die Förderung! Investiert! Sichert, dass der politische Willen dafür da ist!  Ihr spielt in der Liga, in der ihr das könnt!

TORSTEN: Selbst wenn wir diese Industrie aus dem Boden stampfen, das Rubamin liegt unter dicht besiedeltem Land und unter dem Urwald von Jamshedpur.

BAULEITER: Na und? 

Pause. Spannung:

FREDERICK zu Torsten Und? Industrien aus dem Boden stampfen? Bevölkerungen umsiedeln? Urwälder verschwinden lassen?

TORSTEN: Nein. 

[Noch einfügen: Sarah]

MALAIKA: Ihr habt die Flüchtlinge aus meiner Heimat nicht gesehen. Kongo, Ruanda, falls das jemandem was sagt. Ich habe sie vor Augen. Ihre Verzweiflung, ihre Angst, das grausame Bewusstsein, alles verloren zu haben, keine Heimat mehr zu finden, nie wieder Mensch sein zu dürfen. Sechshundertmal einem solchen Elend die Chance zu bieten sich zu wandeln in ein Aufgenommensein – das ist mir alles wert!

Sie geht, um sich am Umbau zu beteiligen.

MALAIKA: dreht sich um Ich akzeptiere dieses Nein nicht!

Lauterer Baulärm. Black.

9

Baulärm. 4 oder 6  Scheinwerfer im Karree. – Maxim und Malaika arbeiten noch. – Zehn stehend hinten verdurstend. – Frederick und Marie vor dem Karree stehen mit dem Rücken zum Publikum. Wenn sie zu sprechen beginnen, drehen sie sich um.

MARIE: Der Mensch des 21. Jh. weiß mehr, als er zu wissen meint.

FREDERICK: Der Mensch des 21. Jh. weiß mehr, als er wissen will.

MARIE: Während wir in der Wüste stehen und auf ein Flugzeug mit Wasser warteten, und, um uns zu unterhalten, The Cone of Babel, ein Strategiespiel spielen, sehen wir, sterbend, dass wir weit über alle Strategien, die Einzelstrategien, hinausdenken müssen.

FREDERICK: Während in den Gedanken meiner Mitgefangenen der Trichter im Wüstenboden, der Trichter in Babel sich mit Wasser füllt ..

MARIE: .. und die letzten Arbeiten eines Heeres von internationalen Arbeitern laufen, um den 1. Ausleger sich aus dem Wasser erheben zu sehen ..

FREDERICK: Hören wir ..

MARIE: Hören wir alle ..

FREDERICK: Was sich ankündigt, was möglich ist ..

MARIE: Aber nicht eintreten muss  ..

FREDERICK: Und dennoch eintritt, Eingang findet in unser Spiel, weil wir es, aus unerklärlichen Gründen der Wahrheit verpflichtet, eintreten lassen wollen.

Intensives Hören von Marie und Frederick. Schlagartig der Baulärm weg. Das Licht wird weit heruntergefahren.

Leise, langsam und mit kleinen Schritten aus dem Hintergrund der Chor der Einzelstimmen.

CHOR:

SARAH: Ein seit Wochen stabiles Hochdruckgebiet über Russland zieht warme Luft aus dem Süden an.

JOHANNA: Eine Millionenstadt steht unter Wasser, Häuser stürzen ein:

JANNIS: China kämpft mit einer Hochwasserkatastrophe im Nordosten des Landes.

CLAIRE: Auch den Nachbarstaat Nordkorea hat die Flut erwischt.

ELSA-FLORENCE: In Deutschland steigt nach heftigen, anhaltenden Regenfällen und dem Bruch eines Staudammes auf polnischer Seite die Neiße rasant an.

TABEA: Zahlreiche andere Flüsse und Bäche treten über die Ufer.

ELSA-FLORENCE: Die Prognosen sagen ein „Land unter“ für die Städte Görlitz und Zittau in Sachsen voraus.

CLAIRE: In weiten Teilen Russlands herrscht die größte Hitze seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.

JANNIS: Im Gebier Rjasan und im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen  kommt es zu Großbränden.

SARAH: Die schnelle Ausbreitung der Brände wird durch den vertrockneten torfigen Untergrund in diesen Gegenden begünstigt.

JOHANNA: Infolge der Hitze sterben in Moskau 10.900 Menschen.

SARAH: Die extreme Hitzewelle über Russland, die Überschwemmungskatastrophe in Nordchina und Nordkorea, sowie die Überschwemmungen im Dreiländereck Deutschland / Polen / Tschechien sind über eine Omegalage ursächlich miteinander verbunden.

CLAIRE: Eine Omega-Wetterlage ist eine stabile Hochdrucklage, bei der sich ein blockierendes Hoch über Mitteleuropa etabliert. Dabei bewirken Hitzewellen auf der einen Starkniederschläge auf der anderen Seite.

SARAH: Alle europäischen und asiatischen Wetterdienste weisen darauf hin, dass die Omegalage über dem eurasischen Kontinent Niederschläge von nie da gewesenem Ausmaß auf dem indischen Subkontinent nach sich ziehen wird; gleichzeitig ist mit einer Verstärkung des jahreszeitgemäßen Monsuns durch das La Niña – Phänomen zu rechnen.

JOHANNA: Im Gebiet von Jamshedpur wurden innerhalb von 9 Monaten – um Rubamin zu fördern –  Waldflächen abgeholzt, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen

Ein Handy klingelt.

MAXIM: mit dem Umbau beschäftigt Ja?

MALAIKA: auf die gleiche Weise beschäftigt Was ist?

MAXIM: Die nepalesische Botschaft.

MALAIKA: Schon wieder!

MALAIKA: zu Maxim Stell rüber! – Herr Adhikari? – Ich habe ihre Beschwerden weiter gegeben. Sämtliche Subunternehmer sind angewiesen – es ist Ihnen von mir persönlich befohlen worden, Herr Adhikari – alle Gastarbeiter nicht mehr als zehn Stunden auf den Baustellen ….

Während des Telefonats von hinten, rechts und links außen, der Reporter und Ingenieur Seiler. Seiler gekleidet wie der Bauleiter. Seiler mit Headset, Reporter mit Mikrophon. Gleiche Kleidung wie Seiler, nur ohne Hut.

REPORTER: Bāb-ilim, das kleine Emirat am Shatt el Arab ist vom Baufieber befallen: The Cone of Babel, das größte Rekultivierungsprojekt der Geschichte, in der Welt ohne Beispiel, hat Bauunternehmen und Logistikbüros aus der ganze Welt angelockt. Auch mit dabei bei fast all diesen Projekten sind Ingenieure aus Deutschland. Einer davon ist Frank Seiler, angestellt bei Tief / Tief, einer Tochter des US-amerikanischen Tiefbauunternehmens Flatino Construktion. Flatino Construction fungiert in  Bāb-ilim als Generalunternehmer; die Masse des Arbeiterheeres wird von Subunternehmern angestellt und bezahlt. – In einem Toyota-Jeep holpert Seiler über die Baustelle in Bāb-ilim. Während der Fahrt versucht er das Megaprojekt knapp zusammenzufassen.

SEILER: Die Schwierigkeit hier ist nicht die bauliche Komplexität, die ist zwar technisch hochanspruchsvoll, die wirkliche Schwierigkeit ist die Logistik . Die Materialien kommen aus den USA, aus Europa, aus Indien, aus den Golfstaaten, aus Australien, aus Süd­ostasien, und alles muss zur rechten Zeit am rechten Platz sein.

REPORTER: Langsam rollt der Jeep an der bau­stellen­eigenen Moschee vorbei, dann am Krankenhaus.

SEILER: Bisher gab es nur zwei lost time accidents …

REPORTER: Lost time accident?

SEILER: So nennt man das, wenn nach einem Unfall am nächsten Tag die Arbeit nicht wieder aufgenommen werden kann.

REPORTER: Was war passiert?

SEILER: Ein Arbeiter ist von einem der Ausleger ge­stürzt. Die sind zwar bisher nicht aufgerichtet, liegen  noch neben dem Trichter, aber ihr Umfang beträgt mehr als 50 m. Der Mann aus Indonesien führte Nach­arbeiten an der Kapillartechnik durch und  rutschte ab. Für ihn kam jede Hilfe zu spät.

REPORTER: Der andere Fall?

SEILER: Ein Hilfsarbeiter aus Eritrea. Er ist an Herz­versagen gestorben. – Zwei Lost time accidents – bei zusammengerechnet 43 Millionen geleisteten Arbeits­stunden ist das für die Baubranche ein unglaublich guter Wert. 

Dann alle (auch Seiler und Reporter): Der Chor. Leise und klar.

CHOR:

[Ergänzung. Beginn des Textes: Alle Kompromisse aufführen und damit einleiten ]

Hier

Träumen wir.

Wieso

Findet immer noch

Wirklichkeit und Wahrheit

Zugang 

In den letzten Traum.

Versprechen nicht die Toten

Letzter Traum

Sei schöner Traum! 

: Und sahen aus dem Trichter

Groß wie der Ozean 

Gewaltig

Arme sich erheben

Tragend

Felder, Fußballfelder, Waldungen und Wiesen

Und zwischen ihnen 

Aus Asien, Afrika, Europa

Menschen.

Aufschauend die 

In einen Regen, der

Aus Wolken, die die Felder still umkreisen

Still herniedergeht.

Hier leben wir!

Im Traum!

Wieso findet

Wirklichkeit 

Noch immer

Zugang in die Träume!

Sollte es das Ende nicht sein?

Es soll das Ende sein!

Marie und Frederick – noch immer auf ihrer Position von Anfang der Szene (also nicht nebeneinander). 

FREDERICK: Jetzt wird sich der erste Ausleger aus dem Wasser erheben wie das Ungeheuer aus dem See Loch Ness! Es ist soweit. – Sie haben es durchgezogen!

MARIE: Ich möchte nach Hause. – [TEXT ergänzen zu: Einfach und verantwortungsvoll leben in Grenzen]  – Frederick?

Pause.

MARIE: Frederick?

Pause.

FREDERICK: Ja.

Langsam gehen die Strahler an. Nicht mehr blau, sondern weiß, erreichen sie, nun nicht mehr sich verjüngend, sondern sich erweiternd, den Himmel.  – Claire und Jannis.

CLAIRE: nach oben blickend Dass ich das erleben darf!

JANNIS: Ich möchte auf die Arche. Noah’s Arc. Ich möchte in meinem Werk wohnen. Ich möchte mein Werk sein und seinen Schöpfer nicht kennen. Wir alle sind Noahs Arche.

CLAIRE: Deine Arche reicht mir nicht. – Ich werde dich verlassen, wenn sich der neue Planet aus dem Wasser erhebt!

JANNIS: Ja, das wirst du.

CHOR: alle nach oben schauend:

Und sehen aus dem Trichter

Groß wie der Ozean 

Gewaltig

Stahlarme sich erheben

Von denen

In sich tragend Wasser

Seitenträger führen, die 

Hunderte Meter in die Wüste

Weit hinaus

Wannen halten werden:

Felder, Fußballfelder, Waldungen und Wiesen

Dazwischen

Vor Behausungen am Rand von Gärten

Fellachen, wir: Menschen

Aus Asien, Afrika, Europa

In einem milden Klima

Schaun sie auf in einen Regen, der

Aus Wolken, die die Felder still umkreisen

Stiller niedergeht.

[anfügen: Ein Utopie-Schluss: Wasser, Leben für alle, etc.)

Black. – Sound.

10

Noch Black. Audio-Einspiel.

AUDIO-EINSPIEL, FRAUENSTIMME: … waren wir zum vierten Mal in Kairo und bei den Pyramiden in Giseh. Und zum Tauchen in El Gouna. Von überall sah man am Horizont den Trichter von Bāb-ilim. Wobei Trichter wohl nicht das richtige Wort ist. Denn bei diesem Trichter, dessen Größe ein Drittel des Roten Meeres betragen soll, handelt es sich um den von unserem Standort aus unsichtbaren Teil. Was wir sahen, waren die Gebilde über ihm. Wie Raumschiffe standen sie über dem Horizont. Wir befanden uns in über 1200 km Entfernung, und sahen dennoch die gesamte Konstruktion sehr deutlich. Mein Freund wollte uns überreden, einen Flug dorthin zu buchen, aber in der Travel Agency in Kairo vertröstete man uns.  Noch ist das Gelände nicht für den Besucherverkehr geöffnet …

Baulärm. – Licht Ausleger. Sie strahlen nach oben. Zusätzlich 4 oder 6  Scheinwerfer im Karree. – Die Volunteers mit imaginären Keyboards. – Frederick und Marie vor dem Karree stehen mit dem Rücken zum Publikum. Wenn sie zu sprechen beginnen, drehen sie sich um.

MARIE: Der Mensch des 21. Jh. weiß mehr, als er zu wissen meint.

FREDERICK: Der Mensch des 21. Jh. weiß mehr, als er wissen will.

MARIE: Während wir in der Wüste stehen und auf ein Flugzeug mit Wasser warten, nimmt das weitere Baugeschehen den Lauf, den es genommen hat, bei der Errichtung der Fußballstadien in Katar, bei der Errichtung der Formel I Rennstrecke in Bahrein, bei der Errichtung der Dynamic Towers in Dubai.    

ELSA-FLORENCE:  am Keyboard beschäftigt In Bāb-ilim IV …  einer der Schwerlastwägen .. das Gleisbett .. damit ist irgendwas … die gesamte Konstruktion … gekippt ….   Arun … ich kenne ihn … er war bei mir  in Behandlung …  wegen Unterernährung und Brandwunden, die er sich bei Schweißarbeiten zugezogen hat … 

FREDERICK: vor dem Karree. Was ist?

ELSA-FLORENCE: Es gibt ihn nicht mehr. Nichts mehr zu sehen, was da noch sein könnte. Begraben unter einem Schwerlastwagen.

Pause.

SARAH: 36 Unfälle in einem Monat. Tote: Sieben. – Wir haben den Wanderarbeitern eine Moschee hingesetzt. An ein Krankenhaus und eine Leichenhalle haben wir nicht gedacht.

MALAIKA am Keyboard beschäftigt : Ein solches Krankenhaus ist inzwischen gebaut. Ein High-Tech-Krankenhaus.

SARAH: Womit bewiesen ist, dass wir anders , besser, dass wir humaner sind.  Auf den Großbaustellen in Katar und Bahrein gibt es solche Krankenhäuser nicht!

MALAIKA: Und ist es nicht so?  Keine Universitätsklinik hält unserem Standart Stand!

SARAH: Und das für ein Fußvolk, das lebt und arbeitet wie die Arbeitskräfte beim Pyramidenbau! Die Menschheit schreitet voran!

Pause. – Malaika kommt nach vorn. Licht nur auf Frederick und Malaika. Weiter Baulärm.

MALAIKA: zu Frederick Du bleibst merkwürdig ruhig! Gibst du mir die Schuld, dass es so gekommen ist! – Los, gib mir die Schuld!

FREDERICK: Es ist ein Traum. Wir träumen. Und dir hat der Traum diese Rolle zugewiesen.

MALAIKA: Welche?

FREDERICK: Welche? – Du spielst die, die den Urwald von Jamshedpur hat abtragen lassen. Was, wie wir wissen, Folgen haben wird. Du spielst die, die die Subunternehmer herein nahm ins Baugeschehen.

Pause.

FREDERICK: Ich weiß, was du sagen willst: Wie hätte man sonst bauen sollen bei so einem großen Projekt.

MALAIKA: Ich frag mich, warum ich meine Rolle angenommen habe.

FREDERICK: Weil es deine ist. Weil sie bereit stand für dich. Weil du bereit warst für sie.

MALAIKA: Es ist nicht mein Traum. Ich komm nur drin vor.

FREDERICK: Dieser Traum, nicht unsrer, der zum Albtraum geworden ist, wird von Kindern geträumt, die immer – wie Kinder eben sind – alles haben wollen. Und alles nehmen. Und keiner weist sie in die Schranken. Die Ansprüche ihrer Eltern und Voreltern zirkulieren in ihnen: Eine zweite Blutbahn.

MALAIKA: Reiß sie heraus, und es gibt uns nicht mehr.

FREDERICK: So ist es.

Pause.

FREDERICK: Was macht die Omega-Lage über Europa?

MALAIKA: Was Omega-Lagen so machen:  Sie sind da und weichen nicht.

FREDERICK: In Indien hat der Monsun eingesetzt. Der Regen fällt in die Erzgruben  und auf die Industrieanlagen in Jamshedpur. Früher soll da Urwald gewesen sein.

MALAIKA: Da lässt sich nichts ändern.

FREDERICK: Wie geht es Sasi Kala? Träumst du von ihr?

MALAIKA: Jede Nacht.

FREDERICK: Und?

MALAIKA: Es geht ihr gut. Ihr zweiter Mann arbeitet in den Gruben vom Jamshedpur.

FREDERICK: Schön.

MALAIKA: Ich werde sie retten. Wir werden sie retten. Wir werden hier das neue Land errichten, den neuen Planeten. Da kann sie wohnen.

Hinten geht das blaue Licht an. In ihm die Börsianer.

MALAIKA: Was ist das? – Frederick, was kommt jetzt noch?

Black. – Sounds.

11 – Börse / Atlantik Food

Akustik Börse. Blaues Licht. Zwei Darsteller hinter lebensechten Masken schauen konzentriert auf imaginäre Bildschirme. Ab und zu tippen sie auf ein imaginäres Keyboard. – Licht Ausleger bleibt. Aber schwächer.

MALAIKA: Frederick? Was kommt jetzt noch?

ALLE  leise: Hör zu.

Pause.

ALLE: Atlantic Food.

MALAIKA: Hat Sasi Kalas ersten Mann auf dem Gewissen.

ALLE: Besitzt die indische Agrarwirtschaft.

ALLE: Verdient Milliarden an Millionen Pächtern.

ALLE: Die dem Konzern gehören.

Malaika: Und bezahlen mit dem Leben.

ALLE: Jetzt bezahlt.

ALLE: Atlantic Food.

ALLE: Denn.

ALLE: Das Indien, das wir kennen.

ALLE: Ist auserkoren.

ALLE. Für den Untergang.

ALLE: Das Flankenphänomen.

ALLE: Melden alle Wetterdienste.

ALLE: Spült den Kontinent hinweg.

ALLE: Atlantic Food.

ALLE: Verliert das Land, das es geplündert hat.

ALLE: An die Sintflut.

ALLE: Der Aktienkurs.

ALLE: Im Sturzflug.

ALLE: Malaika!

Malaika hebt den Kopf.

ALLE: Sasi Kala.

MALAIKA: Ja?

ALLE: Ist auf der Flucht.

ALLE: Heute noch.

ALLE: Steht Jamshedpar.

ALLE: Morgen nicht mehr.

ALLE: Malaika!

ALLE: Sasi Kala und die Kinder.

ALLE: Werden sterben.

ALLE: Unterwegs..

ALLE: In einem Flüchtlingslager.

ALLE: In Persien, Bangladesh, Afghanistan.

Pause.

MALAIKA: Ich werde sie retten.

Pause.

ALLE: Wenn du ihr den Weg weist.

ALLE: Weist du ihn für 5 Millionen.

ALLE: 500 000.

ALLE: Kannst du retten.

Pause.

ALLE: Sasi Kala, ihre Kinder und der zweite Mann.

ALLE: Plus 499 496.

ALLE : Das sind 500 000.

ALLE: Die rettest du.

ALLE: Bleiben 4 einhalb Millionen.

ALLE: Wer hält die draußen?

Ein Handy klingelt.

MALAIKA: Ich geh ran.

Das Klingeln hört auf.

STIMME: Wir haben ein Problem. Unsere Aktien. Sie befinden sich im Sturzflug.  – Sie haben ein Problem. Das Heer der Verzweifelten aus Asien. Diese Heuschreckenschwärme werden ihr Weltwunder ins Schwanken bringen. Das Wunder wird nicht lange schwingen. Und noch in seinen Trümmern wird man versuchen zu überleben. Und dann sterben. Von dem Wunder wird nichts bleiben.  – Das Geschäft,  das wir vorschlagen ist folgendes: Drei großen Armeen [genauer] hat die Region: Wir nehmen sie in unseren Dienst. Lassen die 500 000, für die Platz ist, rein. Und halten 4 Millionen draußen.

MALAIKA: In der Wüste.

STIMME: Für zehn Jahre. Die überleben das, bis bessre Zeiten kommen. – Voraussetzung: Sie verkaufen: The Cone of Babel an Atlantic Food.

Hektische Aktivitäten bei den Börsianern.

BÖRSIANER 1: Talfahrt der Atlantic-Food-Aktie gestoppt!

BÖRSIANER 2. Dow Jones  auf  7161 Punkte geklettert!

BÖRSIANER 1: Das entspricht dem Wert der Vorwoche!

BÖRSIANER 2. Dow Jones  bei  8124!

BÖRSIANER 1: Höhenflug der Atlantic Food Aktie hält an!

STIMME: Und wir: Investieren noch einmal. Kräftiger als sie es könnten. In zehn Jahren: Ist hier Platz für 10 Millionen.

MALAIKA: Zehn Millionen?

STIMMER: Pächter. – Baumwolle, Reis und Soja.

Pause.

ALLE leise Ertragreicher als alles.

ALLE: Was bisher war.

ALLE: Intensivierung.

ALLE: Der Weg.

ALLE: Bei sich an die Sintflut verlierender Erde.

Schwächer werdendes Licht (Ausleger). Licht von vorn nur auf Malaika.- Die Börse verschwindet. Black – Sounds.

12

Licht Karree. Alle stehen im Arrangement von Szene 5.

JANNIS: Als wir die Wassermassen hörten, die über Indien hereinbrachen, als wir von ihnen mitgerissen wurden und in ihnen schwammen, als wir .. nein, nicht ertranken in ihnen, sondern tranken …. da wussten wir, dass all das Wasser, auch das im Trichter, unsere nach Flüssigkeit schreienden Körper herbeigezwungen hatte. Und nun war es da …. Ja, es war da ….

Audioeinspiel

NACHRICHTENSPRECHER: leise, im Hintergrund  …  gerade ein Video gezeigt. Es ist im 4. Stock, als das Wasser den Boden, auf dem sie steht, anhebt. Sie sehen, wie die Sachen aus den Regal fallen. Dann hören sie das Brausen und Heulen. Das ist das Wasser und der Sturm. Jetzt erst bemerken sie, dass der Strom unterbrochen ist.  Das Zimmer neigt sich, scheint sich zu drehen. Sie schreit die Schüler an, sie sollten aufs Dach laufen! Das Zimmer neigt sich und schiebt ihr die Fenster vor die Augen. Da ist nur noch Himmel. Dann sackt das Schulzimmer ab und nun sieht sie das Wasser.  Die Schüler versuchen, ihre Eltern anzurufen, aber es entsteht keine Verbindung.  Nun nur noch Angst, Geheule und der Blick in die steigenden Wasser …

Noch während das Audioeinspiel läuft:

Frederick: Und während sich die Lungen der vielen in den Tälern unterhalb von Jamshedpur mit Wasser füllten und ihnen der Luftmangel die Schädel zu sprengen schien, und während in meinem ausgetrockneten Hirn wieder und wieder die Leere, die ich zuerst für Weite, für Erweiterung gehalten hatte, mit Momenten sich abwechselte, in denen ich klar, in denen ich die Sandwellen sah bis zum Horizont und kein Flugzeug am Himmel – während ich all dies zum letzten Mal aufnahm, verfolgten die Gedanken den Weg meiner Atemluft: Wie der Hauch einströmte in die Lunge, wie die ihn durch ihre Oberfläche ausgoss, verstreute, verbreitete, wie das Blut den Atem aufnahm und zu Zellen und Gewebe weiterleitete, und wie Kohlendioxid zurückgeben wurde in den Kreislauf, damit es durch mich ausgeatmet wurde.

Pause.

Frederick: Und ich sah: Ein Netzwerk, ein Verbund, der ich bin:  Lunge, Blut und Herz, und Zellen und Gewebe. Und ich, der all dies denkt, ist Teil des Ganzen, nichts ohne die. Wie viel Augenblicke noch, bis alles aufhört? Wie viele Augenblicke noch, in denen ich dies denken kann: Dass so Natur ist: Ein Netzwerk, in dem sich keiner überheben darf. Wie viel Augenblicke noch, zu fragen: Ich und die anderen – und das denkt sich weit hinaus  –: Sollten wir nicht ebenfalls  Natur, Verbund und Netzwerk sein, vernetzt mit allem: Atem wir der Erde.

MARIE: Und ich dachte ähnlich. Und dann erlosch mein Körper, sank in den Wüstensand, und ich – das, was ich gedacht hatte, was ich war – wollte weiter denken, weiter da sein, und ich begriff – in dem Moment, im letzten – ohne die anderen, ohne den Verbund, waren sie nicht, gab es mich nicht ..  

MAXIM: So, mit Heiterkeit gesegnet, starb sie. Und auch ich.

JOHANNA: Und ich.

NACHRICHTENSPRECHER: …   geht sie, im Treck der Hunderttausende. Sie weiß nichts von den hunderttausenden Toten,  nichts davon, dass keiner ihrer Schüler mehr lebt. Sie weiß nichts mehr von sich, sie geht einfach, setzt einen Schritt vor den anderen. Sie wie es die Unzähligen um sie tun. So wie der ganze Exodus vonstatten geht. Und sie alle wissen nicht, dass vor ihnen, wo einst die Tiefebene Terai sich erstreckte, nun ein Meer sich hinzieht, das ihren Exodus verhindern wird.  Das Wasser hat sie eingekesselt …..  Andere, und es sind Millionen, haben den besseren Weg gewählt. Ihr Zug bewegt sich durch Afghanistan und nimmt – wie Heuschrecken tun – mit, was die Felder, was die Dörfer, noch bieten an Reis und Brot, Gemüse…

CLAIRE:  Als mich all die Gedanken an Ruhm und an Nachleben verlassen wollten, wie die Millionen den indischen Subkontinent – stemmte ich mich gegen sie! Stemmte mich gegen den Strom! Er sollte bleiben! Sie, die Millionen, waren ich! Aber wo sollten sie, die Ideen, die Einfälle, diese Fülle, wo sollte alles, was je gedacht worden war, nun wohnen?! Mein Herz würde nicht mehr lange schlagen! Die Heimstatt, die ich gewesen war, würde hingesunken, weggerutscht sein in die Wüste, wie das Land in Indien weggerutscht war in die Sintflut, in die unablässig niedergehenden Wasserströme. Wir alle waren ohne Heimat.

Pause.

CLAIRE:  So, endlich in mir die Welt sehend, sterbe ich.

SARAH: Und ich.  [Hinzufügen: 4 bis 5 Sätze – sie erinnert sich an den Fellachen aus Szene 2 – vielleicht hat er recht, und die Natur lässt sterben, wen sie nicht ernähren, nicht gebrauchen kann]

ELSA-FLORENCE: Und auch ich sterbe.

TABEA: Und ich

Stille.

MALAIKA: Wieso stand diese Rolle bereit für mich? Wieso glaubte ich, dass man für ein Bild von sich selbst – und dieser Trichter ist ein Bild, ist unser Bild, ist ein Bild von dem, was wir sein können und von dem, was uns fehlt – wieso glaubte ich, dass man dafür Menschen bezahlen lassen darf?

Stille.

MALAIKA: Wieso stand diese Rolle bereit für mich? Was hat mich zu dem gemacht, was ich bin?

Stille.

TORSTEN: Mit dieser Frage starb sie.

Eine ziemlich monochrome Musik erklingt

JANNIS: Da ist es. Mein Werk. Noahs Arc. Wenn alle Sintfluten gewesen, wenn alle Menschen gegangen, wenn alle Natur nur noch stumm dahintreibt in der Kälte des Alls – wo segelt, wo landet die Arche? – Das fragt mein Werk.

Alle Toten stehen mit weit geöffneten Augen.

TORSTEN: Hätten wir – in unseren letzten Tagen – etwas anderes träumen sollen, träumen können, als den Traum von einem neuen Turmbau zu Babel?

Und nun auch er.

Musik „Noahs Arc“. [Heiter!]

 Ende.