(Drehbuch 2010)
(1) Friedhof Day EXT. Lange Friedhofsallee, hohe Bäume rechts und links. Frühherbst, erstes Laub. Am Ende der Allee, rechts des Weges, hinter Bäumen, zehn, zwölf Leute, offensichtlich um ein Grab versammelt. Über diesem Ort, über den Bäumen, die steigende Sonne. Gegenlicht. Keine Rede, keine Musik, Stille. Die kleine Versammlung löst sich auf, geht – alles in großer Entfernung – in verschiedene Richtungen auseinander. Die Allee herauf kommen die Journalistin (25, schwarzes Kostüm mit Rock) und Weinreich (30), (dunkelblaues Kleid). An ihrer Hand Martin (7), (dunkle Hosen mit Latz, weißes Hemd). JOURNALISTIN 17 Tage hätte sie noch gehabt. Dann wäre sie entlassen worden.
Weinreich beugt sich runter zu dem Jungen.
WEINREICHMartin! Nicht anfassen. Die Maus ist tot. Was tot ist, fasst man nicht an.
Sie gehen.
JOURNALISTIN Sie waren ihre Psychologin.
WEINREICH Ja.
JOURNALISTIN Sie sind mit ihr besonders gut klar gekommen?
WEINREICH Überraschter, fragender Blick.
JOURNALISTIN Erzählt man.
WEINREICH Sie ist mit mir klargekommen. So rum stimmt es.
JOURNALISTIN Warum diese Flucht? Wegen des Sonnwendfeuers?
Sie gehen.
JOURNALISTIN Sie hat das Autodafé dort mit dem Handy aufgenommen. Warum?
WEINREICH Sie hat es eben aufnehmen wollen.
JOURNALISTIN Sie wissen mehr, als sie sagen, Frau Weinreich!
Blick Weinreich auf die Journalistin.
WEINREICH Wenn man das, was man weiß, nicht ändern kann …
JOURNALISTIN Was ändern?
WEINREICH Dann behält man es für sich, bis …
JOURNALISTIN Bis?
WEINREICH .. man Klarheit hat.
Weinreich geht. Verschlossenes Gesicht. Blick der Journalistin auf sie. Die beiden Frauen und das Kind von hinten. Das Kind sehr lebhaft. Springt und zappelt an der Hand der Mutter. – Sie treten durch das Friedhofstor hinaus auf eine lebhaft befahrene Strasse. Verabschiedung, man sieht dass die Journalistin auf sie einredet. Weinreich schüttelt den Kopf. Sie trennen sich. Die Journalistin biegt nach links ab, Weinreich mit dem Kind nach rechts. Was bleibt, ist die menschenleere und stille Friedhofsallee mit dem Blick auf die befahrene Straße jenseits des Friedhofstores. Nach einer Weile in die Stille hinein das Geräusch einer marschierenden Kolonne und eine Frauenstimme: Links, zwei, drei, vier … Später das Bild dazu.
(2) Fenster / Hof Day Int./EXT. Hinterm Fenster, Halbprofil, Weinreich. Draußen marschierende Kolonne weiblicher Häftlinge. 13 junge Frauen in blau gestreiften Hemden, einfarbigen Hosen (Camouflageschnitt) und Schnürstiefeln. Die Ausbilderin (Ausbilderuniform / Drillich) läuft nebenher.
SACK Links, zwei, drei, vier … Konzack! Gleichschritt aufnehmen! Zack zack!
Konzack macht einen Ausfallschritt, um wieder in den Gleichschritt zu kommen. Close-up: Dana. Marschiert in der Kolonne. Leeres Gesicht. Marschiert vorschriftsmäßig und exakt.
(3) Versammlungsraum Day Int. Die Rekrutinnen (Camp-Uniform: Blau gestreifte Hemden, einfarbige Hosen, Schnürstiefel ): Stehen neben ihren Stühlen. Vor ihnen Raahl. An der Wand auf Stühlen Sack, Hauser-Kasprick, Weinreich und andere Ausbilderinnen. (alle in Ausbilderuniform).
In der Tür die Journalistin. Hauser-Kasprick geht zu ihr und weist ihr einen Platz neben Sack an. Weinreich beugt sich zu Hauser-Kasprik.
WEINREICH Wer ist das?
HAUSER-KASPRIK Journalistin. Macht einen Bericht für den …
Raahl schmettert los.
Raahl Guten Tag, Mädels!
Rekrutinnen Mehrere Stimmen.
Guten Tag, Frau Raahl!
SACK schmettert Guten Tag, Frau Raahl!
Sack So geht das!
RAAHL Guten Tag, Mädels!
REKRUTINNEN Guten Tag, Frau Raahl!
RAAHL Danke. Setzen.
Die Rekrutinnen setzen sich. Journalistin schaut Raahl gespannt entgegen.
RAAHL Mädels! Ihr seid nun zwei Wochen hier. Und da ist jetzt die Zeit, wo ihr ein paar Dinge wissen müsst. Also: Ich bin Sylvia Raahl. Ich bin aufgewachsen in Wühlhausen in Sachsen-Anhalt in einer Barackensiedlung. Ich hatte 8 Geschwister. Die Familie war asozial. Warum erzähle ich das. Weil es mein Kapital ist. Es wurde mein Kapital – weil ich mich wehrte. Jeder, der mir etwas hinterher rief, wurde verdroschen. Ich drückte jeden Jungen an die Wand als ich zehn war. Als ich elf war, wusste ich, dass ich nur ein Talent hatte: Mich zu schlagen. Jemand riet mir, es mit Boxen zu versuchen. Ich wohnte in Wühlhausen. Dort gab es kein Boxen. Das gab es in Halberstadt. Aber nur für Jungs. Ich überredete den Trainer und durfte mittrainieren. Aber kämpfen? Ich wollte kämpfen.
Dana. Sie hört zu.
RAAHL Niemand in Halberstadt wollte eine Frau boxen sehen. Außer den paar Perversen, die dachten, sich an einer boxenden Frau aufgeilen zu können. Das interessierte mich nicht. Ich fühlte mich als die Größte. Ich war die Größte. Ich kann jede und jeden schlagen. Das sagte ich bei jeder Gelegenheit. Ich handelte mir Spott ein, aber diejenigen, die hofften, dass mir das Maul gestopft würde, wurden mehr.
Die Rekrutinnen. Alle hören zu.
RAAHL Und genau die waren es, die meinen ersten Kampf organisierten. Also: Ich hatte ein Angebot. Und hatte in dem kleinen Nest Wühlhausen ein Bedürfnis geweckt: Man wollte das Großmaul boxen sehen. Man wollte sehen, wie es unterging. Das bedeutete: Ein Markt war geschaffen. Begreift ihr?
WEINREICH Schaut auf das Display ihres Handys: MARTIN IST NICHT ZU HALTEN. ICH WEIß ECHT NICHT WEITER.
RAAHL Ich wurde Boxerin. Mit Höhen und Tiefen. So kam ich durchs Leben. Ich mit meiner asozialen Herkunft! Plötzlich war ich wer! Weil ich mich gewehrt hatte. Und – weil mein Wehren nun Regeln hatte! Boxen, das sind Regeln. Sich schlagen, das ist Anarchie! Durch das Boxen hatte ich mir bewiesen, dass ich mich nicht unterkriegen lass. – Das Leben geht weiter, ich wurde älter. Boxen? – Ging nicht mehr. Was war zu tun?
Blick auf die Journalistin, die mitschreibt.
RAAHL Eine wie ich hat Mädchen wie euch etwas zu sagen. Ich begann Rootstock aufzubauen. Ich vermittelte meinen Weg.
WEINREICH Tippt in ihr Handy: HALTEN SIE DURCH, BITTE. KEINE MEDIZIN! IN ZWEI STUNDEN BIN ICH DA.
RAAHL Was ist zu tun, damit ihr euren Weg gehen könnt? Ihr müsst andere werden! In Rootstock werdet ihr Andere werden! Das garantiere ich euch! Und am Ende werdet ihr Menschen auf den richtigen Weg bringen, wie ich es mach. Davon werdet ihr leben können und niemandem auf der Tasche liegen. – Was ist dazu nötig? Disziplin! Disziplin ist die Grundlage! Ich weiß, ihr seid schon dabei, sie zu lernen. Auch wenn es schwer fällt – ringt sie euch ab! Am Ende – steht der Sieg!
Lässt den Blick über die Versammelten wandern.
RAAHL Rootstock, Mädels, ist eine Chance, die euch nirgendwo sonst geboten wird. Das müsst ihr begreifen. Das war alles. Schönen Tag, Mädels.
SACK Aufstehn! Wegtreten!
RAAHL Locker, Gundula! Stess und Atempause, Gundula! Rhythmus!
SACK Okay, Sylvia.
Zu den Rekrutinnen.
SACK Pause.
Die Rekrutinnen auf dem Weg nach draußen. Journalistin tritt auf Raahl zu.
(4) Hof Day EXT. Marschierende Rekrutinnen. 13 junge Frauen in der Campuniform. Sack. – Konzack versucht vergeblich in den Gleichschritt zu kommen.
SACK Links, zwei, drei, vier … Halt!
Die Kolonne hält.
SACK Ein Team, Konzack, funktioniert, wenn alle an einem Strang ziehen.
Konzack guckt geradeaus über die Kolonne hinweg.
SACK Ich weiß, was du denkst, Konzack. In dem Team, das dir vorschwebt, muss du keinen Gleichschritt halten. Oder? – Was für ein Team schwebt dir vor?
Konzack guckt geradeaus.
Sack Vielleicht willst du ja sogar marschieren in deinem späteren Leben? – Weißt du was? Ich will gar nicht, dass du dann marschierst. Im Gegenteil. Aber wenn du raus willst aus dem Mist, in dem du steckst, wirst du ein Team brauchen. Und aus einem Team einen Chaotenhaufen machen, das geht doch nicht, oder?!
Konzack guckt geradeaus.
Sack Ja oder nein?
Dana in der Kolonne: Finsterer Blick.
Konzack Nein.
Sack Was, nein?
Konzack Nein, geht nicht.
Sack Gut. – Schritt aufnehmen. Links, zwei, drei vier
Die Kolonne marschiert. Konzack darauf konzentriert, keinen Fehler zu machen. Dana, im Marschieren, schaut sich nach Sack um.
(5) Hof DAY EXT. Ausbildungspause. Sack abseits am Einlass mit Coladose. Unterhält sich mit der Security. Die Rekrutinnen stehen zusammen, rauchen.
RIA Mit Blick auf Sack. So ein Arschloch.
DANA Zeig ihr was fürne Fotze sie ist.
SUSAN Du grade. Sagst kein Wort, machst alles.
DANA Eben. Ich bin ne graue Maus. Noch was?
EDDA Pass mal auf, wennden schwarzen Arsch kriegst. Dann kommste kräftiger rüber.
FRANZISKA Schwarzer Arsch, was’n das?
EDDA Schnauze, Zecke.
SUSAN Was isses denn nu?
EDDA Kenn ich von meim Bruder vom Bund. Hose runter, aufs Bett geschnallt, und den Arsch mit Schuhcreme verschönert.
DANA
Wenn schwarz dann schwarz. Alles Paletti.
EDDA
Solln das heißen?
DANA Schwarzer Arsch steht euch auch gut.
SUSAN Ne große Lippe passt gar nicht zu ner grauen Maus.
DANA Wenn grau dann grau. Wenn schwarz dann schwarz. Was andres lohnt nicht. Wirste auch noch merken, wennde erwachsen bist.
RIA He?
DANA Sehr farbenfroh kommst du auch nicht grade rüber. Oder?
Macht Konzack nach:
DANA Nein, geht nicht, Frau Sack! Geht nicht, aus einem Team einen Chaotenhaufen zu machen. – Scheiße, Mann. EDDA Hey, Mäuschen, du bist ja …
Sack kommt von der Security. Schreit:
SACK Rootstock Achtung! Antreten!
Die Rekrutinnen treten an.
(6) Unterrichtsraum day Int. Die Rekrutinnen, Campuniform, im Kreis auf Stühlen. Unter ihnen die Journalistin (Mittellanger Rock, heller Pullover) mit Notizblock. Ebenso Weinreich (Ausbilderuniform). Hauser-Kasprick (Ausbilderuniform) hinter den Sitzenden. – Close-up Linda Paulick.
LINDA Weil meine Mutter eine Schlampe war.
HAUSER-KASPRIK Gut. Lindas Mutter ist also – ich zitiere – eine Schlampe.
Hauser-Kasprick geht hinter den Sitzenden den Kreis ab. HAUSER-KASPRIK War da noch was, Linda?
Linda Ich bin da in was reingeraten.
HAUSER-KASPRIK In was?
LINDA Naja, so’n paar Leute, die rumgehangen haben .. Da bin ich reingeraten. Ne Gang, die haben Straftaten gemacht.
HAUSER-KASPRIK D e i n e Straftat?
LINDA Ich hab eine verkloppt.
HAUSER-KASPRIK Liest vor aus einer Akte. Gebrochener Arm, Schürfwunden im Gesicht. Hämatome am Bauch und an den Seiten. Dann – ein anderer Fall – Schädelfraktur. – Du hast nicht nur eine ‚verkloppt‘.
LINDA Nickt.
Dana guckt auf Linda. Linda guckt zurück. Dana: Leichtes Nicken mit geschürzten Lippen.
HAUSER-KASPRIK Dana weiß, wovon die Rede ist, wie?! Kannst ja mal bekannt machen, wie du Menschen zurichtest.
DANA Undurchdringliches Gesicht. Guckt gerade aus. HAUSER-KASPRIK Ich behalt dich im Blick. Das lass dir gesagt sein.
DANA Undurchdringliches Gesicht.
HAUSER-KASPRIK Gut. – Linda?
LINDA Die haben dämliche Bemerkungen gemacht. Wegen meiner Mutter.
HAUSER-KASPRIK Und da hast du zugeschlagen. Das ist deine Vergangenheit. Gut. – Unsere Chefin sagt, dass eure Vergangenheit zu eurem Weg gehört. Eure Vergangheit sollt ihr korrigieren und auf sie aufbauen. Damit sollt ihr anderen helfen. Jungen Menschen, die in einer Lage sind, in der ihr wart.
Sie steht auf, stellt sich hinter Edda Grabbe.
HAUSER-KASPRIK Hat eine eine Idee, wie das gehen könnte?
Hauser-Kasprik wartet. Die Runde guckt finster vor sich hin, manche spöttisch, manche zweifelnd. Hauser-Kasprik blickt in die Runde. Journalistin gespannt.
HAUSER-KASPRIK Ich sag es euch. Linda, zum Beispiel. Wenn sie hier durch ist, wird sie ehrenamtlich arbeiten. Zum Beispiel: In einem Betreuten Wohnen. Mädchen, die ihre Probleme lösen .. nein, die sie nicht lösen .. indem sie zuschlagen. Sie wird Kollegen kennen lernen. Erfahrungen machen. Sie wird eine Ausbildung aufnehmen in Sozialarbeit.
Stellt sich hinter Linda Paulick. Hände auf deren Schultern.
HAUSER-KASPRIK Aber sie wird keine Stelle bekommen … Nein, das wird sie nicht …
Nimmt die Hände von Paulicks Schulter, läuft hinter den Mädchen.
HAUSER-KASPRIK Die Zeiten sind vorbei. Sozialarbeit erfordert Eigeninitiative. Also ..
Läuft hinter den Mädchen.
HAUSER-KASPRIK .. werdet ihr euch selbstständig machen.
Bleibt stehen.
HAUSER-KASPRIK Selbstständig, das klingt gut, nicht wahr! – Aber wer bezahlt euch? Eure Klienten etwa?
Blick in die Runde. Interessierte, finster konzentrierte Gesichter. Journalistin guckt. Hauser-Kasprik läuft.
HAUSER-KASPRIK Sponsoren!
Bleibt stehen.
HAUSER-KASPRIK Wie findet man Sponsoren? – Nun … Kommt wieder in den Kreis und setzt sich.
HAUSER-KASPRIK .. indem man eine Marke ist. Jede von euch wird eine Marke sein. Eure Marke wird eure Vergangenheit sein. Denn ihr wisst, wovon ihr redet.
Guckt in die Runde.
HAUSER-KASPRIK Dann wirst du, Linda, wenn es so weit ist, die Aufmerksamkeit der in Frage kommenden Sponsoren auf deine Zielgruppe lenken müssen. – Mädchen mit Neigung zur Gewalt! Allein sind sie hilflos. Und irgendwann – gehen sie unter! Aber du – du wirst sie retten!
Beugt sich nach vorn. Suggestiv.
HAUSER-KASPRIK Um in unserer Zeit Aufmerksamkeit zu erregen, wird es außergeöhnliche Aktionen brauchen!
Steht auf, stellt sich hinter Linda. – Dana hört aufmerksam zu.
HAUSER-KASPRIK Ihr wisst, wie es geht, Aufmerksamkeit zu erregen, nicht wahr?!
Wartet. Blickt in die Runde. – Dana hört aufmerksam zu.
HAUSER-KASPRIK Denn ihr habt Aufmerksamkeit erregt. Negative! – Jetzt geht es darum, positive Aufmerksamkeit zu erregen!
Blickt in die Runde. Alles wartet.
HAUSER-KASPRIK Ja?
Alles wartet.
HAUSER-KASPRIK Ja?
Nicken.
HAUSER-KASPRIK Dann lasst es uns in Angriff nehmen!
(7) Hof day EXT. Raahl, Sack, Hauser-Kasprik (alle in Ausbilderuniform) mit Kaffeebechern auf dem Hof. Nähe Kantine. Über den Hof kommt die Journalistin. (Jeans, Bluse, Weste)
HAUSER-KASPRIK Was will die?
RAAHL Interviewtermin.
HAUSER-KASPRIK Mit dir?
RAAHL Klar mit mir. Oder willst du das übernehmen? HAUSER-KASPRIK Nee. Nich mein Ding.
Die Journalistin vor der Dreiergruppe.
Journalistin Haben Sie schon was für mich?
RAAHL Muss erst in mein Kalender gucken.
Journalistin nickt. Schaut sich um.
JOURNALISTIN Die Mädchen sind ..
RAAHL Im Seminar.
HAUSER-KASPRIK Verhaltentherapie. Gestaltherapie. Macht Frau Weinreich.
SACK Wenn sie’s macht.
RAAHL Nanana.
zur Journalistin
RAAHL Theorie und Praxis, naja … Vor Ort sieht manches ein bisschen anders aus.
JOURNALISTIN Ich durfte nicht ins Seminar.
RAAHL Die Mädchen müssen irgendwo einen Freiraum haben. JOURNALISTIN Wie kommt man überhaupt hierher?
HAUSER-KASPRIK Übers Jugendamt.
RAAHL Rootstock ist eine Alternative zur JVA. Man überlegt sich von staatswegen, ob man junge Menschen in den Knast schickt.
JOURNALISTIN Ich hab gehört, die Haftzeit verkürzt sich um einige Monate? Wenn man das hier durchzieht? Da müssen sie sich um die Nachfrage keine Sorgen machen? RAAHL Neenee, das überlegt man sich. Das ist hart hier. – Wir gucken uns unsere Pappenheimer schon an. JOURNALISTIN Und wer wird genommen?
RAAHL Wer wirklich etwas ändern will. Wer ehrlich raus will aus dem Teufelskreis.
Raahl wirft den Kaffeebecher in einen Abfallbehälter. Die anderen tun es ihr nach.
RAAHL Rufen Sie mich an wegen eines Termins. JOURNALISTIN Eine kleine Frage noch. Wer finanziert Sie?
RAAHL Schon unter der Tür. Sponsoren. SMC.
Raahl in der Tür verschwunden. Journalistin guckt ratlos.
HAUSER-KASPRIK Dreht sich unter der Tür um. Social Marketing Consulting. Der Hauptsponsor. Journalistin nickt. Sack, belustiger Blick auf die Journalistin, verschwindet als letzte in der Tür.
(8) Übungsraum Day Int. Die Rekrutinnen, Campuniform, im Kreis auf Stühlen. Weinreich (Zivilkleidung – Jeans, ärmellose Bluse) sitzt unter ihnen. Sie wirft Susan Meyer einen Tennisball zu.
SUSAN Susan.
WEINREICH Und?
SUSAN Meyer.
WEINREICH Lieblingsfarbe? Musik?
SUSAN Lila. Frauenarzt.
WEINREICH Frauenarzt?
SUSAN Aus Berlin. Hip Hop.
WEINREICH Okay. Wer kriegt den Ball.
Susan wirft ihn zu Franziska Kurrulus.
FRANZISKA Franziska Kurrulus. Dunkelblaugrün. Sham 69. WEINREICH Was ist das?
FRANZISKA Eine Band. Lieblingsmusik. War doch gefragt, oder … ?
Abschätzige Blicke einiger anderer, unter ihnen Edda Grabbe. Franziska wirft den Ball zu Dana.
DANA Dana.
Sie wirft den Ball zu Edda Grabbe.
WEINREICH Hey, hey, hey! Und?
DANA Nichts und. Dana. Familie interessiert mich nicht. Also auch nicht den ihr Namen.
WEINREICH Lieblingsfarbe? Musik?
DANA Lieblingsfarbe Grau.
WEINREICH Guckt überrascht auf. Grau?!
DANA Klar.
WEINREICH Blickt nachdenklich auf Dana. Wendet sich dann Edda zu. Edda?
EDDA Ich bin die Edda Grabbe / Stark im Kopf / Kein Sauertopf / Hab eine große Klappe … – Auch wenn’s mir niemand glaubt.
Linda Paulick lacht auf. Auch die anderen, bis auf Franziska Kurrulus, zeigen sich mehr oder weniger erheitert.
EDDA In das Lachen hinein. Lieblingsfarben Rot, Weiß und Schwarz.
Stille. Einige blicken auf Weinreich.
Weinreich Gut. Wie du das zu kombinieren gedenkst, darüber reden wir ja vielleicht noch. – Wer kriegt den Ball?
Edda Grabbe wirft den Ball zu Linda Paulick.
(9) Übungsraum Day Int. Die Mädchen (Sportanzüge) spielen Hasche. Wenn sich ihnen die Fängerin, Edda Grabbe, nähert, versuchen sie sich zu umarmen. Gelingt es ihnen, werden sie nicht abgeschlagen. Andere stehen mit gespreizten Beinen und ausgebreiteten Händen da. Wer so dasteht, ist abgeschlagen. Kriecht eine durch ihre Beine hindurch, sind sie wieder frei. Weinreich (Sportanzug) bewegt sich unter ihnen und beaufsichtigt das Spiel. Die Mädchen bewegen sich lautlos und verbissen. Nur manchmal ein kurzes Lachen. Bei den Umarmungen sehen sie voneinander weg. – Edda Grabbe sprintet hinter Franziska Kurrulus her. Diese will sich zu Susan retten, aber die weicht aus. Bevor Edda Grabbe Franziska abschlagen kann, tritt diese ihr gegens Bein. Edda stürzt, springt auf und schlägt Franziska Kurrulus nieder. Sie blickt triumphierend zu Linda Paulick. Deren Augen leuchten. Edda Grabbe schlägt noch mal zu. Franziska Kurrulus wehrt sich, es kommt zum Schlagabtausch. Weinreich geht dazwischen und fängt sich einen Schlag von Grabbe ein. Edda dreht sich um. Unterdrückt ein Lächeln.
(10) Übungsraum Day Int. Die Mädchen (Sportanzüge), im Kreis auf Stühlen. Weinreich (Sportanzug) sitzt unter ihnen. Ihr Auge ist geschwollen.
EDDA Ich war voll dabei, es ist einfach .. übergeschwappt.
WEINREICH Ich rede nicht von dem Schlag, den ich mir eingefangen hab.
EDDA Sie hat mir ein Bein gestellt, und da hab ich reagiert.
WEINREICH Der Blick, den Linda dir zugeworfen hat? Das hat dich beflügelt?
EDDA Was für ein Blick. Quatsch.
WEINREICH Wie war das, wenn du früher zugeschlagen hast?
EDDA Wie früher?
WEINREICH Bevor du Linda gekannt hast? Du hast sie doch schon vor dem Camp gekannt? Ihr wart doch in einer Gang?
EDDA Das heißt nicht ‚Gang‘.
WEINREICH Wie war es damals, wenn du zugeschlagen hast?
EDDA schweigt.
WEINREICH Hast du dich kräftig gefühlt? Nach einer Schlägerei? Stärker als sonst?
EDDA Zynisch. Ja .. klar.
WEINREICH Und nachdem Linda zu euch gestoßen war?
EDDA schweigt.
WEINREICH Hast du dich nun genauso kräftig gefühlt? Nach einer Schlägerei? Und stark – genau so?
EDDA Stärker hab ich mich gefühlt.
WEINREICH Du hattest jemand, der dich bewundert!
EDDA schweigt.
WEINREICH Und es hielt länger an. Das Gefühl der Stärke, dass du immer gesucht hast – diesmal war es nach ein paar Tagen noch da. Sogar nach Wochen noch. Und sonst nach einer Schlägerei? War es verpufft!
EDDA Was soll das?
WEINREICH Guckt sie an. Auf welche Kraft willst du setzen, Edda? Auf die kurze, rauschhafte nach eine Kick? Oder auf die länger anhaltende, wenn du eine Freundin hast?
Weinreich guckt in die Runde. Skeptische Blicke. WEINREICH Okay. Das wars für heute. Sie steht auf. Auch die Mädchen stehen auf und gehen zur Tür. Weinreich tritt zu Edda Grabbe.
WEINREICH Es wär cooler, du holst dir die Bewunderung deine Freundin durch deine Reimkunst als durch deine Schläge.
EDDA Sie ist nicht meine Freundin. Sie rennt mir nur hinterher.
Lässt Winreich stehen. Geht an den anderen vorbei zur Tür hinaus.
(11) Dienstzimmer Weinreich day Int. Weinreich (Jeans, ärmellose Bluse) hinterm Schreibtisch. Der Drehstuhl zeigt weg vom Schreibtisch – Weinreich fasst in ein geöffnetes Schubfach nach einer angebrochenen Tafel Schokolade. Sie bricht ein Stück ab, schiebt es in den Mund, kaut und wartet. Dann bricht sie das nächste Stück ab. Sie isst in gleichmäßigem Rhythmus. Sie zieht ein weiteres Schubfach auf und bricht eine neue Tafel Schokolade an. Sie schiebt ein Stück in den Mund etc. Sie hört auf zu essen. Sitzt bewegungslos. Sie nimmt einen Stift und schreibt auf ein Blatt Papier: DIE DINGE, DIE ICH SAGE, STIMMEN ….. legt den Stift weg. Sitzt bewegungslos. Starrt die Wand an. Atmet tief ein, schüttelt langsam den Kopf. Streicht den Satz auf dem Papier durch.
(12) Hof Day Ext.Weinreich (Jeans, ärmellose Bluse, Strickjacke) geht über den Hof. An einer Mauer eine großflächige Werbetafel, auf der steht: MACH AUS DIR EIN ANGEBOT – FÜR DIE ANDEREN! – Weinreich geht daran vorbei. Der Ausgang nach draußen ist eine Art Kontrollpunkt. Über / neben dem Tor hängt wieder eine Werbetafel: DU HAST EIN ANGEBOT? – DANN SCHAFF IHM EINEN MARKT! – Am Einlass / Ausgang zwei Frauen in Security-Uniform. Sie heben grüßend die Hand, wenn Weinreich den Durchlass passiert. Weinreich beachtet sie nicht, geht mit schnellen Schritten. Die Security-Frauen sehen hier hinterher, ihre Blicke treffen sich. Eine lächelt und nickt mit gekräuselter Stirn, die andere hebt die Schultern als wolle sie sagen: Kann man nichts machen.
(13) Hof Day Ext. Die Mädchen (Campuniform) marschieren. Sack läuft nebenher. – Wieder hat Ria Konzack Schwierigkeiten Schritt zu halten. Sie bringt die Marschordnung durcheinander, allgemeines Stolpern.
SACK Halt!
Die Mädchen stehen.
SACK Konzack vortreten!
Ria Konzack stellt sich vor die Gruppe.
SACK Ein Team, Konzack, funktioniert, wenn alle an einem Strang ziehen. Das habe ich dir, glaub ich, schon einmal gesagt.
RIA guckt geradeaus. Ich kann das nicht. Es geht nicht.
SACK Doch, es geht. Es wird gehen.
Lauter.
SACK Liegestütze! 30 Stück!
Ria Konzack steht, guckt sich hilflos um.
SACK Runter, sag ich!
Ria Konzack geht runter, stützt sich auf die Arme.
SACK Kinn auf den Boden! Und wehe deine Wampe hängt da auch nur einen Millimeter durch! 30 Stück! Und jetzt ein bisschen plötzlich!
Ria Konzack macht Liegestütze. Sack zählt. Bei 8 bekommt Konzack Schwierigkeiten, bei 11 bleibt sie liegen.
SACK Elf? – Elf?!! Und da wagst du es noch den Mund aufzumachen? Es geht nicht?? Es geht nicht???? – Hoch! Los, komm hoch!
Ria Konzack steht auf.
SACK Und runter! Nochmal elf – für den Anfang! Konzack versucht es, bricht nach dem zweiten zusammen. – Sack steht vor ihr und nickt. Stille. Plötzlich hebt Sack den Kopf.
SACK Hat wer was gesagt?
DANA Ich.
Dana in der Antreteordnung.
SACK Und was hast du gesagt?
DANA Es reicht.
SACK Was?!
DANA Schwerhörig?
SACK Vortreten. 30 Liegestütze.
Dana kommt vor und stellt sich Sack gegenüber.
SACK Willst du nicht anfangen?
DANA Blick auf die Mädchen. Schreit. – Runter, sag ich, Sack! Zack zack! Kinn auf den Boden! Und wehe deine Wampe hängt da auch nur einen Millimeter durch! 30 Stück! Und ein bisschen plötzlich!
Sack steht mit offenem Mund da.
DANA Und mach das Maul zu, Sack! Zack! Zack! Wenn du dich sehen könntest!
Die Mädchen starr vor Schreck, keine rührt sich.
SACK Brüllt. Ruhe!
Zieht Handy, tippt Nummer ein. Handy am Ohr.
SACK Ihr müsst kommen.
Steckt Handy weg. Alle stehen. Keine rührt sich. Sack wartet. Schiefer Blick auf Dana. Nickt. – Zwei Security-Frauen kommen. Kopfbewegung von Sack zu Dana hin. Die Security-Frauen fassen Dana an. Die wehrt sich. Mit zwei Handgriffen liegt Dana auf dem Boden. Bekommt Handschellen. Wird abgeführt.
SACK Alle herschauen!
Sie zeigt auf ihren Kopf.
SACK Das ist der Kopf. Er ist der Chef, klar! – Und ich, solange ihr hier seid, bin der Kopf! – Und wer ist der Sklave? Wer hat zu gehorchen?
Sie schaut fragend in die Runde.
SACK Der Körper! Jawohl! Er hat zu gehorchen! Und wenn der Kopf sagt, dreißig Liegestütze, dann macht er die, klar! – Ja, wird jetzt jemand fragen: Und wenn er die nicht schafft? – Antwort: Dann funktioniert er nicht! Und was nicht funktioniert, das kommt in die Abfalltonne! Ich bin der Kopf, also seid ihr die Körper. Heißt das, ihr sollt in die Abfalltonne? – Nein! Ihr sollt funktionieren! Dafür, dass ihr funktioniert, bin ich da! – Konzack – dreißig Liegestütze!
Konzack geht auf den Boden, stützt sich auf die Arme. SACK Und eins, und zwei und drei ….
Ria Konzack bemüht sich um Liegestütze. – Währenddessen:
SACK So! Und nun noch mal zu der Zeit, wenn ihr hier raus seid. Da ist der Kopf – euer Kopf! Da ist der Körper – euer Körper! Und wenn der Kopf sagt, heute 14 Stunden arbeiten, sonst verdien ich mir die Butter aufs Brot nicht, dann hat der Körper gefälligst 14 Stunden durchzuhalten!
Ria Konzack bricht zusammen.
SACK Das wird schon noch, verlasst euch drauf. Eintreten!
Wenn sie eingetreten ist.
SACK Weiter im Text. Der Kopf, das ist die Kreativität. Die Ideen, falls jemand das Wort nicht versteht. Und der Körper, das ist die Disziplin. Und ohne Disziplin – taugt keine Idee was! Merken! – Und jetzt: Im Gleichschritt marsch! Schritt aufnehmen! Links, zwei, drei vier … !
(14) Dienstzimmer Weinreich Day Int.
Weinreich (großblumiges Sommerkleid) hinterm Schreibtisch. Dana sitzt ihr gegenüber. Weinreich steht auf und stellt sich ans Fenster. Bemerkt Dana Blick.
WEINREICH Das Kleid? – Es wird Sommer, dem sollte man ein bisschen Rechnung tragen, findest du nicht?
Sie nimmt einen Ordner vom Schreibtisch. Blättert darin.
WEINREICH Warum hast du das gemacht?
Dana schweigt.
WEINREICH Du schreist deine Ausbilderin an. – Wolltest du damit zum Ausdruck bringen, du bist genauso viel wert wie sie? Und willst auch so behandelt werden?
Dana schweigt.
WEINREICH Du bist eine, die sich nicht herumkommandieren lässt?
Dana schweigt.
WEINREICH Aber du bist ja nicht herumkommandiert worden. Sondern diese … diese Ria Konzack hat sich geweigert .. naja, nicht geschafft .. die Liegestütze ..
Dana schweigt.
WEINREICH Warum ist Grau deine Lieblingsfarbe?
DANA Ich bin wie alle. Ich bin, was die Sack ist. Grau. Überraschter Blick Weinreich.
WEINREICH Frau Sack – grau?!
Geht ein paar Schritte.
WEINREICH Wie du?
Geht.
WEINREICH Du schreist deinesgleichen an!
Geht.
WEINREICH Warum?
DANA Schreit Weinreich an: Weil ich will! Blöde Fotze! Weinreich steht auf. Geht zum Fenster. Dreht sich um. WEINREICH Du schreist dich an!
Dana, gleichmütiges Gesicht, zuckt mit den Schultern.
(15) DIENSTZIMMER WEINREICH day Int. Offenes Fenster. Weinreich, (im Sommerkleid) hinterm Schreibtisch. Langt in eine Schublade, bricht dort ein Stück Schokolade ab, schiebt es in den Mund, kaut und wartet. Isst in gleichmäßigem Rhythmus. Wenn die Tafel alle ist, sitzt sie bewegungslos. Dann steht sie auf, legt ein paar Sachen (Schlüsselbund etc.) in ihre Handtasche.
(16) Hof day Ext. Weinreich geht über den Hof, vorbei an der ersten Werbetafel: MACH AUS DIR EIN ANGEBOT – FÜR DIE ANDEREN! – Der Schriftzug auf der Tafel über dem Eingang: DU HAST EIN ANGEBOT? – DANN SCHAFF IHM EINEN MARKT! – ist durchgestrichen und überschrieben mit: IF THE KIDS ARE UNITED THEN WE’LL NEVER BE DIVIDED!– Weinreich bleibt stehen. Die Security-Frauen am Eingang heben die Schultern, nicken bedeutungsvoll.
WEINREICH Blickt auf die Security. Nicht die Art von Humor, die Rootstock liebt!
SECURITY 1 Antreten in einer halben Stunde.
Fragender Blick von Weinreich.
SECURITY 1 Hier, unter der Schmiererei.
SECURITY 2 Sie werden stehen, bis sich diejenige meldet, die das gemacht hat.
Weinreich verlässt das Gelände.
SECURITY 1 Ruft Weinreich hinterher. Sind sie nicht dabei?!
Beide Frauen blicken Weinreich hinterher, die sich nicht umdreht.
SECURITY 2 Wort zum Sonntag!
SECURITY 1 Was?
SECURITY 2 Ihr Spitzname. Nicht gewusst?
(17) Toilette Day Int. / Ext. Weinreich (Rock, Bluse) am Waschbecken. Wäscht sich die Hände. Tritt an ein geschlossenes Fenster. Draussen Brachland / Wiese, eingezäunt. Dort stehen die Rekrutinnen vor ausgehobenen Gruben (Urnengröße). Neben den Gruben liegen Spaten, manche haben sie noch in der Hand. Andere haben bereits verschiedene Gegenstände in der Hand (Messer, Wodkaflaschen, Scheren, Blechdosen, Handy, Spritzen, Videospiele, CD’s, Säckchen mit Koks etc.) Zwischen den Mädchen steht Aufsichtspersonal, u.a. Sack und die Campleiterin Raahl. Raahl ruft etwas, was man hinter dem geschlossenen Fenster nicht versteht. Daraufhin beginnen die Mädchen die bereitgehaltenen Gegenstände in die Gruben zu werfen. Dana hält eine Wodkaflasche und einen Schlagring in der Hand. Neben ihr steht Sack. Von irgendwoher scheint ein Ruf zu kommen, denn Sack wehrt mit einer Geste ab. Sie konzentriert sich auf Dana, beaufsichtigt, dass sie beides hineinwirft. Die Mädchen, auch Dana, nehmen die Spaten in die Hand, beginnen die Gruben zuzuschaufeln. Wieder scheint ein Ruf an Sack zu kommen, und nun dreht sie sich um. Blitzschnell ist Dana auf den Knien, kommt hoch, und hat den Schlagring und ein Holzkreuz in der Hand. Gleichzeit geht ihr Blick Richtung Fenster, hinter dem Weinreich steht. Dana bemerkt, dass Weinreich sie beobachtet hat, und steht einen Augenblick erschrocken da. Dann, mit Blick auf Weinreich hinterm Fenster, lässt sie den Schlagring in die Hosentasche gleiten. Im selben Moment dreht Sack sich um und sagt etwas zu ihr, woraufhin Dana das Holzkreuz fallen lässt und weiter die Grube zuschaufelt.
(18) Toilette Day Int. / Ext. Weinreich (Rock, Bluse) am Fenster. – Auf allen zugeschaufelten Gräbern stehen Holzkreuze und die Mädchen stehen vor ‚ihren’ Gräbern mit den Kreuzen. Raahl in der Mitte klatscht Beifall. Die Mädchen verlassen in loser Ordnung den ‚Friedhof’. Schlussbild: Das Brachland mit den Holzkreuzen.
Weinreich geht vom Fenster, verlässt nachdenklich die Toilette.
(19) Dienstzimmer Weinreich Day Int. Weinreich (Jeans, Sommerbluse) steht am geöffneten Fenster. Draußen, weit entfernt Stimmen. Dana (Camp-Uniform) an der Tür.
WEINREICH Wie geht es dem Mann, den du zusammengeschlagen hast?
Dana zuckt mit den Schultern.
WEINREICH Ich kann es dir sagen: Aus dem Krankenhaus ist er entlassen, aber krank geschrieben. Und das bleibt er weiter. – Wie lange ist die Geschichte her?
Dana an der Tür. Verschlossenes Gesicht.
WEINREICH Neun Monate. Neun Monate hat der Mann im Krankenhaus gelegen.
Schweigen. Von draußen hört man – weit weg – die Stimmen der Mädchen. Es scheint sich um ein Fußballspiel zu handeln.
WEINREICH Da kannst du mal sehen.
Schweigen. Weit weg das Fußballspiel.
WEINREICH In der Akte steht, du hast einen Schlagring benutzt?
Geste von Dana, die bedeutet, dass es so gewesen sein kann. Schweigen. Draußen das Fußballspiel.
WEINREICH Ich steh oft hier am Fenster. Weißt du warum?
Dana an der Tür. Undurchdringliches Gesicht.
WEINREICH Ich fühl mich eingesperrt. Das Leben ist draußen. – Da willst du doch auch hin? Wenn du hier was hinter dir gelassen hast? Was losgeworden bist?
Schweigen. Draußen das Fußballspiel.
WEINREICH Du kannst gehen.
Dana will gehen.
WEINREICH Dana?
Dana steht, dreht sich nicht um.
WEINREICH Alles, was schon beerdigt war, und alles, was beerdigt sein soll, sollte es wirklich bleiben.
Dana geht, ohne sich umzudrehen.
(20) Boxhalle Day Int. Boxring. Die Rekrutinnen (Sportanzüge) laufen um den Ring. Ria Konzack läuft auf auf Dana und sagt ihr etwas.
SACK Außerhalb des Kreises der Läuferinnen. War etwas von Quatschen gesagt?!
Weinreich betritt die Boxhalle. – Sack dreht sich zu Weinreich um. Wieder läuft Konzack auf Dana auf. Sack bemerkt dies, dreht sich zu den Laufenden um.
SACK Stop!
Die Rekrutinnen stoppen.
SACK Schneider herkommen!
Dana und Ria Konzack sehen sich an.
RIA Ich hab …
SACK Klappe halten! Schneider! Herkommen!
Dana tritt zu Sack.
SACK Wir haben noch eine Rechnung offen, wie!
Weinreich, besorgt, tritt einen Schritt näher.
SACK Was hast du mit der Konzack zu quatschen? Und nachher reicht die Luft nicht! Haben wir alles schon erlebt! Hängst wie ein schlapper Sack in den Seilen! DANA Da müsst ich so heißen.
SACK Schreit. Liegestütze! 30 Stück!
Danas Hand, die in die Hosentasche greifen will. Weinreich, die einen Schritt näher tritt. Dana, die Weinreich bemerkt und steht – die Hand in Nähe der Hosentasche, als wolle sie jeden Moment dorthin fassen.
WEINREICH Runter, im Stehen gibt’s keine Liegestütze! Weinreich, in Unruhe – kurz davor einzugreifen. Dana, die die Hand in die Hosentasche gleiten läßt. Weinreich, die etwas rufen will. Dana, ihre Augen verengen sich. Sie wendet ihren Blick von Weinreich zu Sack. Sack und Dana Auge in Auge. Langsam zieht Dana ihre Hand aus der Hosentasche.
Weinreich steht mit offenem Mund da.
Dana – ihre Hand ist leer.
SACK Na los, zack zack!
DANA Geht auf den Boden, beginnt mit Liegestützen. Weinreich kommt heran, steht neben Sack. Guckt herunter auf Dana. Dana muss bei 18 aufgeben, quält sich noch zwei ab. Will aufstehen.
SACK Dreißig! Oder hatte ich zwanzig gesagt. Nein, dreißig hatte ich gesagt!
DANA Auf Knien. Guckt auf den Boden. Scheint zu überlegen. Lässt sich wieder herunter. Quält sich fünf Liegestütze ab.
SACK Fünfundzwanzig. Gnade vor Recht. Aufstehn! Eintreten!
DANA Tritt ein.
SACK Laufschritt! Los!
Die Rekrutinnen setzen sich in Bewegung.
Weinreich steht nachdenklich neben Sack.
SACK Ohne Weinreich anzugucken. So wird das gemacht.
(21) Toilette day Int.
Weinreich (ärmelloses kurzes helles Sommerkleid) kommt aus einer Kabine. Geht zum Waschbecken, geht zum Fenster. Draußen eine Grube, in die unter Aufsicht von Hauser-Kasprick von sechs Mädchen das überschriebene Plakat vom Einlass beerdigt wird. (IF THE KIDS ARE UNITED THEN WE’LL NEVER BE DIVIDED!)
(22) Dienstzimmer Weinreich Day Int. Weinreich ( kurzes helles Sommerkleid) hinterm Schreibtisch. Ihr gegenüber, an der anderen Seite des Schreibtisches, Dana (Campuniform). Weinreich blättert in Unterlagen.
WEINREICH Sie beerdigen das überschriebene Plakat. – Haben nicht herausgekriegt, wer das war.
Dana regungslos.
WEINREICH If the kids are united then we’ll never be divided!
DANA Kann kein Englisch.
WEINREICH Sind sich die Kinder einig, werden wir nie getrennt.
Dana guckt sie fragend an.
WEINREICH Lächelt. Ich war’s nicht. – Das am Eingang. Dana nickt.
WEINREICH Was hast du damit gemeint? Letztens. „Ich bin, was ihr seid? Ich bin wie alle“? – Warum willst du nicht was sein, was du bist? Nur du?
Dana guckt Weinreich an.
WEINREICH Die Liegestütze gestern …
Dana guckt weg.
WEINREICH Ich glaub, es war ungerecht .. Dass du sie machen musstest.
Dana zuckt mit den Schultern.
WEINREICH Ich hab Angst gehabt … um dich.
Dana guckt weg.
WEINREICH Und auch .. um mich.
Dana guckt sie an.
WEINREICH „Ich bin, was ihr seid.“ – Trifft das auch hier zu … auf mich? .. Nur andersrum?
DANA Versteh ich nicht.
WEINREICH Wenn alle nicht schlagen, würdest du es auch nicht tun?
Weinreich steht auf, öffnet das Fenster. Lehnt sich auf die Fensterbank.
WEINREICH Bist du geschlagen worden?
DANA Ich hab mich nie schlagen lassen.
WEINREICH Jeder trifft jeden? Meinst du das? – Und dich – trifft nichts?
DANA Guckt Weinreich aufmerksam an.
WEINREICH Setzt sich dann Dana gegenüber. Ich glaube, dass du mich beginnst zu verstehen. Dass es auch andersrum geht. Dass man nicht in eine Hosentasche greifen muss.
Dana schaut in die Luft.
WEINREICH Eigentlich musst du nun nicht mehr kommen.
Dana schaut sie an.
WEINREICH Weil .. man könnte hoffen, du hast dich jetzt im Griff … Dana guckt an Weinreich vorbei aus dem Fenster.
WEINREICH Hast du dich im Griff?
Dana guckt an Weinreich vorbei aus dem Fenster. WEINREICH Du könntest es mir beweisen … – Du weißt, wie?
Dana guckt sie an, schüttelt langsam den Kopf.
(23) Hof / Eingangsbereich Day Ext. Leerer Hof. Weinreich (ärmelloses kurzes helles Sommerkleid)kommt aus dem Gebäude, in dem sich ihr Dienstzimmer befindet. Überquert den Hof. Geht um die Ecke zum Einlass. Dort wird von vier Rekrutinnen (Campuniform) unter der Aufsicht von Hauser-Kasprik ein neues Plakat angebracht: DU HAST EIN ANGEBOT? – DANN SCHAFF IHM EINEN MARKT! – Weinreich bleibt stehen, bemerkt an einer Wand im Schatten jemand, der da steht. Sie geht darauf zu, und nun sieht man, dass es Dana ist. (Campuniform). Weinreich geht auf sie zu, bleibt stehen. Sie stehen sich gegenüber. Dana guckt Weinreich ernst an.
WEINREICH Dana?
Dana geht schnell weg. – Weinreich blickt zum Einlass. Dort hängt das ausgewechselte Plakat: : DU HAST EIN ANGEBOT? – DANN SCHAFF IHM EINEN MARKT!
(24) Boxhalle Day Int. Im Boxring ein Kampf – mit Sack als Schiedsrichterin. Um den Ring herum die zuschauenden Mädchen und Camp-Personal. Raahl und Hauser-Kasprik. In einer Ecke hat der Hausmeister an Sportgeräten zu tun. Ab und zu blickt er hinüber zum Boxkampf. Der Kampf wird beendet. Etwas Beifall. Dana und Susan Meyer treten in den Ring. Weinreich (Jeans, Pullover) betritt die Boxhalle. Geht zum Ring, stellt sich neben Hauser-Kasprik. Oben wird die Schiedsrichterin gewechselt. Für Sack kommt Raahl. Der Kampf beginnt. Dana kämpft mit Ehrgeiz. Wird mehrmals getroffen. Unter den Zuschauenden wendet sich Hauser-Kasprik an Weinreich.
HAUSER-KASPRIK Geht es nach Regeln, sieht die Bestie alt aus.
WEINREICH Bestie?
HAUSER-KASPRIK Ich glaub nicht, dass die sich ändern wird. Ich glaub es einigen nicht. Der aber absolut nicht. – Das Video. Haben Sie es nicht gesehen? WEINREICH Welches Video?
HAUSER-KASPRIK Das Video von dem Überfall auf den Dönerstand. Dafür ist sie verurteilt worden. So was habe ich noch nie gesehen.
WEINREICH Ein Video? Wer hat das aufgenommen?
HAUSER-KASPRIK Zuckt mit den Schultern. Ist von der Staatsanwaltschaft sichergestellt worden.
WEINREICH Wieso kenne ich das nicht?
HAUSER-KASPRIK Hauser-Kasprik hebt die Schultern. Während sie sich auf den Kampf konzentriert:
HAUSER-KASPRIK Vielleicht hat die Chefin gedacht, Sie lesen in der Seele, wofür andere ein Video brauchen. Auch Weinreich guckt auf den Kampf. Eine Zuschauerin ruft:
FRANZISKA Mach die Nazi-Fotze platt!
Dana guckt auf die Ruferin und bekommt einen Schlag, der sie lang legt. Sie knallt mit dem Hinterkopf auf die Bretter. Sofort steht sie wieder. Unten gehen Sack und Hauser-Kasprik zu der Ruferin und reden energisch auf sie ein. Franziska Kurrulus muss die Halle verlassen. Auch Weinreich will gehen. Ihr entgegen kommt der Hausmeister. Oben wird der Kampf beendet, das nächste Paar geht in den Ring. Weinreich bleibt stehen, dreht sich nach den Kombattanten um. Der Hausmeister spricht Weinreich an.
HAUSMEISTER Könnte das letzte Mal sein.
WEINREICH Was?
HAUSMEISTER Es gibt so Gerüchte.
WEINREICH Schweigt.
HAUSMEISTER Finanzkrise.
WEINREICH Guckt ihn an.
HAUSMEISTER Die SMC hat sich verzockt. – Heißt es. – Sie wissen ja. Manches … weiß der Hausmeister zuerst.
Weinreich geht.
HAUSMEISTER Ihr hinterher: Nehmen Sie es ernst. Sie brauchen den Job!
Weinreich dreht sich um. Fragender Blick. Geht.
(25) Dienstzimmer Weinreich Day Int.
WEINREICH Telefoniert. … Bitte! Bitte halten Sie durch! In einer Stunde …. – Nein, er ist kein einfacher Junge .. .
Pause.
WEINREICH Ja, ich hab noch nicht den Platz in einer Schule, die …
Hauser-Kasprick kommt herein und legt ein CD auf den Tisch.
WEINREICH Was ist das?
HAUSER-KASPRIK Im Hinausgehen. Das Video.
WEINREICH Fragender Blick.
HAUSER-KASPRIK Unter der Tür. Dreht sich um. Die Schneider. Überfall auf den Dönerstand.
Schließt hinter sich die Tür.
WEINREICH … Sorry … wo waren wir … Die Schule … Auf eine reguläre kann ich ihn nicht … – Nina, in einer Stunde. Bis dahin … Wir reden dann über alles .. Bitte!
Legt auf. Sitzt. Langt nach der CD. Darauf handschriftlich, mit rotem Stift: D. SCHNEIDER / KEMAL B. Weinreichs Blick geht zum Computer, dann entscheidet sie sich anders. Sie wirft die CD in ein Schreibtischfach.
(26) Sekretariat Day Int.Sekretärin (30, enger Rock, Bluse) am Computer. Im Zimmer steht Dana (Campuniform), linke Hand in der Hosentasche.
Sekretärin Was ist?
DANA Ich war bei Frau Weinreich.
SEKRETÄRIN Und?
DANA Nicht da.
SEKRETÄRIN Musste zu Hause bleiben. Wegen dem Terrorbengel. Findet niemand, der ihn nimmt. – Was willst du von ihr?
DANA Linke Hand in der Hosentasche. Ihr was geben. SEKRETÄRIN Gib’s mir.
Dana schüttelt den Kopf.
SEKRETÄRIN Auch egal. Sowieso alles egal.
Dana steht unentschlossen im Raum.
SEKRETÄRIN Was ist? Entweder du gibst’s mir, oder du gehst.
Dana geht.
(27) Hof day Ext. Die Rekrutinnen auf dem Hof in Gruppen. Essen, Rauchen etc. Pausenatmosphäre. Offene Türen der Gebäude rechts und links. Abseits Sack, Hauser-Kasprik, eine weitere Ausbilderin, die Sekretärin. Die Diskussion erregt. Schließlich schaut Hauser-Kasprik auf die Uhr. Geht zu einer der offenen Türen, klatscht in die Hände. Die Mädchen setzen sich in Bewegung. Sack, mit Blick auf die langsam ins Gebäude gehenden Mädchen, sagt etwas, was bedeuten könnte: Denen würd ich aber Beine machen. Dana geht als Letzte. Steht unter der Tür, guckt auf den Eingang. Der liegt verlassen. Der Wachschutz nicht zu sehen.
HAUSER-KASPRIK Was ist? Extraeinladung?
Dana steht, guckt auf den Eingang.
HAUSER-KASPRIK Wartest du auf wen? – Da kommt keiner mehr. – Rein jetzt.
Dana geht hinein, dann Hauser-Kasprik. Die Tür schließt sich.
(28) Dienstzimmer Weinreich Day Int. Weinreich (dunkler Rock, weisse Bluse)hinterm Schreibtisch. An der anderen Seite des Schreibtisches Linda Paulick.
LINDA Meine Mutter … sie geht zu Leuten .. Türklinkenputzen .. verkauft Versicherungen, Renten .. sowas ..
WEINREICH Und?
LINDA Kaputt ist die .. Sieht Scheiße aus .. brezelt sich auf wegen der Macker .. Jede Woche ein anderer .. Deshalb bin ich ja auch … in die Gang .. Ich wollt was andres .. Die einen sind so blöd und arbeiten sich kaputt, die anderen .. kriegen keine Arbeit … hängen rum ..
WEINREICH Ja, so ist es.
Sitzt. Guckt Linda an. Steht auf, geht zum Fenster. Schaut hinaus. Ohne sich umzudrehen:
WEINREICH Komm morgen wieder. Es ist heute mein erster Tag, nachdem ich ..
Setzt sich ihr gegenüber.
WEINREICH Ich glaube, ich kann noch nicht.
Linda Paulick steht auf. Geht. Weinreich sieht ihr hinterher.
(29) Unterrichtsraum Day Int. Unterrichtsraum. An eine aufgestellte Tafel geschrieben: WENN ICH MEINE ZEIT IN ROOTSTOCK ABSOLVIERT HABE, BIN ICH FREI. DANN BIN ICH FÜR MICH SELBST VERANTWORTLICH. WAS TUE ICH ZUERST? WOHIN WENDE ICH MICH? WAS MEIDE ICH? WORAN WERDE ICH MICH HALTEN? Hauser-Kasprik an einem Tisch neben der Tafel liest Zeitung. Vor ihr die Mädchen an Tischen mit Papier und Schreibgerät. Es wird geredet, über die Tische hinweg. Susan Meyer steht auf und will sich neben Edda Grabbe setzen. Diese rückt zur Seite, rutscht aber im letzten Moment zurück. Susan Meyer fällt neben dem Stuhl auf den Boden. Allgemeines Auflachen. Von der anderen Seite schubst ein weiteres Mädchen Ria Konzack, so dass diese auf Susan Meyer fällt. Hauser-Kasprik schaut auf.
HAUSER-KASPRIK Schreit. Ruhe! Hinsetzen!
Man setzt sich. Unterdrücktes Kichern.
HAUSER-KASPRIK Über die Zeitung hin: Es ist noch nichts vorbei, Leute. Es steht noch einiges auf dem Spiel. Die Mädchen tauschen Blicke untereinander. Hauser-Kasprik liest Zeitung. Ohne von der Zeitung aufzuschauen: HAUSER-KASPRIK Entlassung oder der Rest im Knast! Das sind die Alternativen.
Die Mädchen vor ihren Blättern. Manche versuchen zu schreiben, andere geben es auf. Dana sitzt still auf ihrem Platz ohne zu schreiben. Schaut zum Fenster hinaus. Allmählich fangen die Mädchen wieder Gespräche an. Lachen. Es wird lauter. Hauser-Kasprik liest Zeitung.
(30) Speiseraum Day Int. Vierertische. Die Rekrutinnen beim Essen. Lebhafte Unterhaltung an den Tischen. Veränderte lebendigere Atmosphäre. Küchenpersonal hinter einer Durchreiche. Daneben Sack in Campuniform. Offensichtlich hat sie Aufsicht. – Dana mit Linda Paulick, Ria Konzack und Edda Grabbe am Tisch in der Mitte. – Dana guckt wie zufällig zur Fensterfront, plötzlich steht sie auf, beugt sich herüber, um das nächste Fenster in den Blick zu bekommen. Draußen läuft Weinreich vorüber (dunkler Pulli, Jeans).
LINDA Ist was?
DANA Nee.
LINDA Die Weinreich is schon zwei Tage wieder da. Verbarrikatiert sich in ihrem Zimmer.
DANA Setzt sich.
Alle außer Ria Konzack löffeln. Dana blickt mehrmals zum Fenster. Close-up Ria Konzack.
LINDA Was’ los?
RIA Antwortet nicht.
EDDA War bei der Raahl.
RIA Hört auf zu essen, richtet sich auf, hebt die Augenbrauen.
EDDA Gehört zu denen, die es erwischt.
LINDA In den Knast?
EDDA Nickt.
Alle außer Konzack löffeln. Close-up Dana über den Teller gebeugt. Sie ist geistesabwesend.
LINDA Zu Dana. Und du, warst du schon?
DANA Was?
LINDA Bei der Raahl? – Ob du schon bei der Raahl warst?
DANA Nickt.
LINDA Und?
EDDA Raus, Rest erlassen.
RIA Hat sie ihrer Freundin zu verdanken.
EDDA Freundin?
RIA Skeptischer Blick auf Dana. Weinreich.
Keine sagt mehr was. Sie essen.
LINDA Mensch, raus! Und du sagst nichts?
DANA Geste, die bedeuten kann: Ja, ich sag nichts.
(31) HOF / VORM FENSTER DIENSTZIMMER WEINREICH Day Ext. / Int. Dana, Hand in der linken Hosentasche, läuft auf das Gebäude zu. Bleibt stehen. Man hört, dass hinter dem Fenster ein Telefongespräch geführt wird. – Fenster, das halb offen steht. Dahinter Weinreich, geht hin und her, telefoniert. Dana neben dem Fenster, draußen.
WEINREICH … ja, ich geb’s zu … ja, seit sechs Wochen hab ich dich nicht besucht .. – Ja, glaubst du, das ist immer so leicht?! Ich kann mich nicht einfach so loseisen! Wenn du einmal! ein bisschen mitdenken würdest! Wenn du einmal! nicht nur an dich denken würdest! Da müssten wir da überhaupt nicht drüber reden! – Ja, Martin! Natürlich, Martin! – Ja, darf ich ihn denn mitbringen?! Das halten ja deine schwachen Nerven nicht aus! – Klar, hast du das gesagt! – Naja und jetzt?! Du weißt doch, was los ist! Dass ich meinen Job los bin. In 37 Tagen pack ich. – Ja, ich hab wieder jemand für Martin! Aber weißt du, was die diesmal kostet?! Und wie lange sie bleibt, das …. – Ja, natürlich kann ich das dann selber machen … Aber wo das Geld herkommt ….
Gereizt. Schreit fast.
WEINREICH Nein! Es ist nicht meine Schuld, dass Martins Vater nicht zahlt! – Noch mal! N i c h t meine Schuld!
Hört. Dann ruhiger.
WEINREICH Es ist einfach eine Katastrophe. – Ja, ich habe mich hier nicht wohlgefühlt. – Trotzdem. Die Chefin, sie kann sein, wie sie will … Die Boxerin, ja … Bei ihr hab ich Freiräume gehabt .. – Na, ich konnte wegbleiben, wenn ich für Martin niemand hatte … – Neeneenee, kein Stein im Brett … Die hat mich nur für überflüssig angesehen …
Erregt. Laut.
WEINREICH Aber sie hat mich bezahlt! – Ja, ohne Geld geht’s nun mal nicht!
Hört. Geht hin und her.
WEINREICH Nee, mit Martin …
Hat Tränen in den Augen.
WEINREICH Keine Chance. Im Klinikum, ja, war ich … bei der Ärztekammer … Leonore, meine Studienkameradin .. die hat sich niedergelassen … na, ich versteh sie ja, sie kann sich das nicht leisten. Eine, die immer wieder weg ist ..
Hört.
WEINREICH Martin ein Leben als Hartz-IV-Kind – das mut ich dem nicht zu. – Nein, Mama, ich dramatisiere nicht. Schreit.
WEINREICH Nein, da ist nichts zu hoffen! Da hilft auch kein Beten! Das einzige, was helfen würde, ist, dass dieses beschissene Camp bleibt!
Während sie weiter telefoniert, schließt sie das Fenster. Schnitt, Close-up Dana. Angestrengtes Gesicht. Drinnen Weinreich sehr laut, durchs geschlossene Fenster:
WEINREICH Mama! Hör auf! Nein, Mama nein!
Sie knallt den Hörer auf den Tisch, kommt aus der Tür, sieht Dana, bleibt stehen. Derangiertes Gesicht. Geht weiter. Biegt um die Ecke. – Leerer Hof. Dana. Geht ins Gebäude mit Hand in der linken Hosentasche. Leerer Hof. Dana kommt wieder heraus. Geht rasch über den Hof weg.
(32) SCHLAFRAUM / HOF / BRACHLAND Night INT. / EXT.Zwei Doppelstockbetten rechts und links. Schmaler Gang. Dana (T-Shirt, Slip) wacht auf, sitzt mit einem Ruck im Bett. Steht auf, macht das Licht an. Die anderen Betten leer. Sie geht hinaus. Der Hof, im Mondlicht, leer. Geht über den Hof, am Einlass niemand zu sehen. Im Wachhäuschen scheint ein Fernseher zu laufen. Dana kehrt um, geht durch einen Durchgang. Tritt heraus auf freies Land. Nirgendwo Licht. Vor Dana Bewegung. Das Geräusch von Spaten. Reden, Kichern, unterdrückte Rufe. Im Schein von hier und da aufleuchtenden Taschenlampen sieht man noch stehende, an anderer Stelle bereits umgelegte Kreuze. Aufgewühlte Erde.
(33) BRACHLAND / DIENSTZIMMER WEINREICH DAY EXT. Zeitiger Morgen. Raahl, Sack, Hauser-Kasprik in tauigem Gras, frösteln. Vor ihnen das Brachland mit aufgewühlter Erde, aufgebrochenen Gräbern. Sämtliche Holzkreuze sind umgestoßen. Nur zwei stehen noch – zwischen ihnen ist ein Spruchband gespannt: HIER AUFERSTAND DER WIDERSTAND! Vor Widerstand ist mit anderer Farbe eingefügt: NATIONALE. – Abseits Weinreich. Sie macht kehrt, geht.
(34) Dienstzinmmer Weinreich DAY INT.Weinreich betritt ihr Dienstzimmer. Auf dem Tisch liegen Papiere und die CD mit dem Video D. SCHNEIDER / KEMAL B. – Sie hält es in der Hand, scheint zu überlegen. Als sie es wegräumen will, bleibt ihr Blick auf dem Schreibtisch haften. Dort liegt Danas Schlagring.
(35) Schlafraum NIGHT INT.Zigarettenrauch. Linda Paulick, Ria Konzack, Edda Grabbe, Dana Schneider. Die Mädchen, teils in Unterwäsche, teils in Zivilkleidung). Sie sitzen auf den unteren Betten und feiern. Musik.
LINDA Mit voller Flasche Korn, zu Dana: Weißte, wo die her ist?
DANA Mit Zigarette. Nickt.
LINDA Genau, aus deinem Grab! Prost!
Die Flasche geht reihum.
RIA Auf die Auferstehung dieser Flasche!
EDDA Deutscher Korn!
Trinkt.
EDDA Auf den Untergang des kommunistischen Lagers!
LINDA Jawohl! In das sie uns feige eingesperrt haben!
EDDA Aber nicht mehr lange!
Zu Dana:
EDDA Trink!
DANA Trinkt.Wieso habt ihr mich schlafen lassen?
EDDA Zieht Grimasse. Geste des Abwägens. Na, wir wussten nicht ..
DANA Was?
EDDA Wie du so drauf bist …
DANA Wie soll ich denn drauf sein?
LINDA Still, kein Spaß mehr …
RIA Wenn’s hier Macker gäb, würd ich denken, du hast dich verknallt ..
EDDA Die Zecke hast du auch in Ruhe gelassen ..
DANA Welche Zecke?
LINDA Die Lange, die dich Nazi-Fotze genannt hat …
DANA Verständnislos.
EDDA Beim Boxen.
DANA Gar nicht gehört.
LINDA Geht die in Knast zurück?
EDDA Wer?
LINDA Na die Lange. Die Zecke?
RIA Nee, entlassen.
EDDA Ich würd sagen, die soll das Lager nicht gesund verlassen. Ist aber deine Sache, Dana.
Sie trinken, stecken sich neue Zigaretten an.
EDDA Steht auf. So!
RIA Was los?
EDDA Ich pack jetzt. Und dann geh ich. Hab mich doch nicht umsonst so fein gemacht, oder?
RIA Dein Ernst?
EDDA Stopft Sachen in einen Plastikbeutel. Dabei fällt ihr eine Zeitung in einer Plastiktüte in die Hand. – Nimmt sie heraus. Steht, blättert.
LINDA Was’n das?
EDDA Musst ich auch in die Grube schmeißen.
Steht. Blättert.
EDDA Ne ordentliche Zeitung, würd ich sagen.
LINDA Nimmt ihr die Zeitung weg. Zeig mal. Liest:
LINDA Heiße Sachen in Pretzien. – Was’n das?
EDDA Musste lesen.
LINDA Liest: Daß Sonnenwendfeiern nicht nur nach dem üblichen Schema F veranstaltet werden müssen, sondern durchaus auch auf sehr originelle Weise gestaltet werden können, erlebte man am 24. Juni im sachsen-anhaltinischen Pretzien. Dort hatte der „Heimatbund Ostelbien (HBO)“ zu einer Tanzveranstaltung zur Sonnenwende mit kulturellem Programm und Sonnenfeuer eingeladen gehabt. Bei dem HBO handelt es sich um einen örtlichen Verein ohne Bezug auf die nationale Szene. EDDA Riesenrummel! Kam überall im Radio und im Fernsehn – nischt mitgekriegt? Der Oberhäuptling von Anhalt hat sich furchtbar aufgeregt.
Trinkt.
EDDA Ich war in so’ner Wohngruppe gewesen. Mit Sozialarbeitern und so. Hattense zugemacht.
RIA Und?
EDDA Und dann habense die wieder aufgemacht.
DANA Nach dem .. Rummel?
EDDA Hamse wieder Geld locker gemacht.
LINDA Sponsorenrekrutierung würde H.-K. sagen.
EDDA Mann, die ham Fahnen verbrannt in Pretzien. Die Judenflagge und die amerikanische … Hier … Liest: EDDA …. leben wir doch schließlich in einer Zeit, wo drastischer Meinungsterror zu solchen Aktionen doch förmlich herausfordert. Das Anne-Frank-Zentrum wird daher damit leben müssen, dass es neben dem gewöhnlichen Recycling nun auch noch eine andere Verwendungsmöglichkeit gibt, um Publikationen dieser Art wenigstens einem nützlichen Zweck, in diesem Fall war es eben eine öffentliche Lustbarkeit, zuzuführen. Könnte man sich dazu entschließen, die Anne-Frank-Tagebücher künftig auf weicherem Papier zu drucken, wüssten wir auch noch eine andere Verwendungsmöglichkeit.
Steht. Dreht die Musik lauter.
EDDA Los, wir knallen die lange Zecke auf! Die könn’ uns sowieso nichts mehr! Die sind am Ende!
Alle tanzen wild. Dana in der Ecke. Denkt konzentriert nach.
EDDA Macht die Tür auf, steht auf dem Flur, schreit: Eh, Kurrulus! Aufklatschen, los!
Türenklappen auf dem Flur. Rufe. Ruf Vom Flur
Eh, kommst dir wohl stark vor, wie!
Alle außer Dana nun auf dem Flur. Getöse. Lärm einer Schlägerei. – Dana im Zimmer liest in der Zeitung. Lässt dann die Zeitung sinken. Denkt angestrengt nach.
(36) Hof Night Ext. Dunkler Hof. Hinten in den Unterkünften der Lärm der Schlägerei. Dort auch bald Scheinwerfer. Eine Sirene geht. Licht nun auch in der Wache am Einlass. Die Security von dort eilt über den Hof. Am Einlass zurück bleibt nur ein Wachposten. Im Dunkel sieht man Dana. Sie bewegt sich im Schutz einer Gebäudewand auf den Einlass zu. Der verbliebene Wachposten steht ein Stück entfernt von der Wache und schaut in Richtung der Unterkünfte, wo die Security nicht Herr der Lage zu werden scheint. Der Posten geht noch einen Schritt in den Hof hinein. Dana springt hervor, sprintet durch den Kontrollpunkt. Der Posten bemerkt es, pfeift aus voller Kraft hinterher. – Leerer Hof, in der Mitte der zurückgebliebener Wachposten. Am Einlass das bekannte Plakat: DU HAST EIN ANGEBOT? – DANN SCHAFF IHM EINEN MARKT!
(37) Festgelände mit Theaterbühne. Sitzgelegenheiten Wie Kreuze. Day EXT.
Dana (Jeans, dunkles T-Shirt) am Ende der Sitzgelegenheiten. Schaut über die Fläche. Park und Freilufttheater menschenleer. Geht zwischen den Reihen hindurch. Bleibt stehen, dreht sich um. Sucht das Areal ab. Geht zurück.
(38) Stillgelegte Lagerhalle. DAY INT. Dana öffnet eine Tür, kommt herein. Schaut sich um. Durch Fenster im oberen Bereich der Längswand fällt Licht. In der leeren Halle hier und da etwas Eisen (Stangen, Wellen, das Rad einbes Schienenfahrzeuges etc.). Sie geht suchend durch die Halle. Gelangt in einen kleineren Nebenraum. In einer Ecke steht ein niedriger schmieriger Tisch, ein Sofa und drei ausrangierte Sessel. Auf dem Tisch und auf dem Boden Zigarettenreste, leere Flaschen und Bierdosen. Sie steht eine Weile. Geht zu einem Wandschränken, öffnet es, schaut hinein. Geht durch die Halle zurück. Geht hinaus durch die Tür.
(39) Park. Day EXT. Asphaltweg durch den Weg. Am Rand Bänke. Ab und zu Radfahrer, Spaziergänger, Kinderwagen etc.). Dana. Setzt sich auf eine Bank. Hält eine SIM-Karte in der Hand. Überlegt. Steckt die SIM-Karte ein. Steht auf, geht.
(40) reihenhaussiedlung. Baustil 90iger Jahre DAY EXT. Dana läuft die Straße entlang. Geht durch ein kleines Vorgärtchen an die Tür, klingelt. Eine Frau (30), hochgewachsen, gepflegt, öffnet.
Frau Ja?
DANA Marcel da?
FRAU Wer bist du?
DANA Ich such Marcel.
FRAU Ist nicht da.
Geht hinein. Die Tür geschlossen. Dana steht, dreht sich um, geht.
(41) Media-Markt DAY INt. Dana zwischen den Angeboten. Geht zur Handy-Auslage. Sieht sich um, steckt ein Handy ein. Geht zu den Staubsaugern. Hier ist niemand. Macht etwas am Handy. (Sicherung entfernen). Dreht sich um. Niemand, der sie beobachtet. Wird dann aufmerksam. Geht zu den Fernsehern. Auf den Bildschirmen laufen Sportsendungen, Talkshows, Kinderfilme. Auf einem eine Nachrichtensprecherin. Dana geht dorthin. Nachrichtensprecherin .. kam es gestern im Camp Rootstock zu einer Massenschlägerei zwischen den – ausschließlich weiblichen – Insassen. Die Auseinandersetzungen konnten erst durch das Eingreifen der Polizei beendet werden. In einer ersten Stellungsnahme aus dem Rathaus hieß es, dass die Schlägerei mit der bevorstehenden Schließung des Camps im Zusammenhang stehe. – Neben mir Solveig Kerner, die vor kurzem eine Reportage über das Camp veröffentlicht hat. – Solveig, warum soll das Camp geschlossen werden.
JOURNALISTIN (Solveig) Weil schlicht und einfach der Sponsor des Camps Pleite ist.
NACHRICHTENSPRECHERIN Wer ist der Sponsor?
JOURNALISTIN Die SMC. Social Marketing Consulting. Das Unternehmen berät und fördert Soziale Dienstleister des Privatsektors. Die Firma hat sich mit verschiedenen Projekten einen Namen gemacht, und die Aussichten standen eigentlich nicht schlecht. Der Markt auf diesem Gebiet gilt als expandierend.
NACHRICHTENSPRECHERIN Wie kam es dennoch zur Insolvenz?
JOURNALISTIN Tja, das wird den beiden Geschäftsführern der SMC zur Last gelegt. Die sollen mehrere Millionen bei der British Linen Companie angelegt haben, die ja im Zuge der Finanzkrise zusammengebrochen ist.
NACHRICHTENSPRECHERIN Wie geht es nun weiter?
JOURNALISTIN Ja, die Campleitung sucht händeringend nach einem neuen Sponsor. Das allerdings dürfte schwierig werden. Niemand ist so spezalisiert auf dem Gebiet, wie es die SMC war.
NACHRICHTENSPRECHERIN Kann der Staat helfen?
JOURNALISTIN Darauf hoffen jetzt alle. Aber – wenn nicht etwas Entscheidendes passiert – sieht es schlecht aus. Ja, so muss man wohl sagen.
NACHRICHTENSPRECHERIN Danke, Solveig. Und nun weiter mit …. Dana dreht ab. Geht rasch aus dem Mediamarkt.
(42) Park NIGHTFALL EXT. Dana auf einer Bank. Legt SIM-Karte in das Handy ein. Ruft an.
DANA Dana hier. – Ja ich bin’s. – Erzähl ich später. Wo kann ich euch finden? – Wann? – Warum nicht heute? – Achso … Gut. Dann Morgen. – Nein, alles okay. – Ja, war ich schon. – Nee, nach Hause nich. Ich schlaf da.
Steckt das Handy weg. Guckt sich um. Es wird dunkel. Sitzt. Denkt nach. Steht dann auf. Geht weg.
(43) Strasse Night Ext. / Int. Blick auf die Fenster einer Parterrewohnung. Keine Gardinen. Drinnen Weinreich (Jeans, Pullover) und ihre Mutter (60, dunkle Hosen, Pullover). Weinreich, im Stehen, gießt Tee ein. Die Mutter tut Kognak dazu. Das Gespräch zwischen beiden wird heftig geführt. Plötzlich steht Martin in der Tür. Er steht und weint. Weinreichs Mutter weist ihn zurecht. Weinreich verbietet ihrer Mutter das Wort. Der Junge schreit wie am Spieß. – Die Mutter steht auf, geht hin und her, macht Weinreich Vorwürfe, schreit den Jungen an. Weinreich schreit die Frau an. Nimmt den Jungen auf die Arme, der schlägt um sich. Weinreich hält das aus, bis er nicht mehr schlägt, aber weiter laut weint / schreit. Sie geht mit dem Jungen hin und her.
(44) Strasse Night Ext. / Int. Dana überquert die Straße, bemüht, nicht im Licht zu erscheinen, das durch die Fenster der Parterrewohnung kommt. Die Haustür geht auf und heraus treten Weinreich und ihre Mutter. Dana springt in die daneben befindliche Toreinfahrt. Weinreich zündet sich eine Zigarette an, gibt der Mutter das Feuerzeug. Beide rauchen, vermeiden es, sich anzugucken.
Mutter Warum kann sich dieses Kind nicht benehmen wir andere Kinder.
WEINREICH Schluss jetzt, Mama, ja.
MUTTER Dieses Kind macht uns alle kaputt.
Sie rauchen.
WEINREICH Es ist ein Syndrom. Und nicht sein chaotischer Vater, wie du behauptest.
MUTTER Das müsste man ja feststellen können. Da muss es ja irgendein Gen geben, das defekt ist.
WEINREICH Es gibt kein Gen und es ist keine Verhaltensstörung. Das habe ich dir schon oft gesagt. Er ist einfach, wie er ist. Martin.
Sie steht wie erstarrt. Horcht zur Seite.
WEINREICH Dana?
MUTTER Was ist?
WEINREICH Geht um die Ecke, schaut in die Toreinfahrt. Kommt zurück. Schüttelt langsam den Kopf, raucht. Sagt: Sein müssen, was die anderen sind. Das ist der Fehler. Obwohl man sich einredet, dass man anders ist.
MUTTER Was?
WEINREICH Ich hab eben so meine Gedanken.
MUTTER Um warum guckst du um die Ecke.
WEINREICH Weil ich’s so intensiv gedacht hab, das ich dachte, da wär jemand.
MUTTER Guckt sie entgeistert an.
WEINREICH Ja, ich bin wahrscheinlich … sehr gestresst. Zu sehr gestresst.
Vorwurfsvoll.
WEINREICH Iat ja kein Wunder.
MUTTER Schüttelt den Kopf. Kind, Kind, Kind.
(45) Hinterhof Night Ext. Dunkel. Ein Feuerzeug geht an. Dana raucht. Close-up. Ihr Gesicht konzentriert und entschlossen.
(46) Abrißgebäude. Night Ext. Rampe an der Außenmauer eines Abrissgebäudes. In einer Tonschüssel brennt ein Feuer. Gegen die Mauer gelehnt und auf dem Geländer, das die Rampe entlangläuft, sitzen Ronny, Marcel, David, Conny und Mandy. Alle tragen Jeans, dunkle wadenlange Hosen (Chinohosen) oder Shorts. Verschiedene T-Shirts. Musik aus einem Handy oder I-pod: Metal. Rauhe Stimmen. Ben, Nicolas und Jenny spielen hinten auf der Rampe Fußball. Plötzlich bleiben sie stehen – Dana steigt die Stufen zur Rampe hoch.
DANA Zeigt auf das Feuer. Coole Beleuchtung.
Sie stehen alle vor Dana. Sprachlos.
Ronny Abgehauen!
DANA Klar.
Marcel Mensch, Dana!
David Willkommen in der Freiheit!
Sie stehen, wissen nicht, was sie sagen sollen.
RONNY Schreit: Du hast sie gefickt!
Alle schreien, heulen durcheinander, tanzen, schlagen die Flaschen gegeneinander.
DANA Zeigt auf das Feuer: Habt ihr auch noch was andres als das?
DAVID Was?
Mandy Was meinst du?
DANA ’N bisschen klein, oder?
RONNY Solln wir’ne Dönerbude abfackeln?
DANA Ich hab an das Kaff gedacht, wo du herkommst.
MARCEL Sag mal ….
Sie stehen, schauen sich an.
Conny Hast dir was ausgedacht im Knast. Hattest nicht viel zu tun da, wie?
DANA Schaut Ronny und Marcel an. Tja, ich hatte Zeit. Haben eben nicht alle Bewährung gekriegt.
Stehen voreinander. Keiner sagt was.
DANA Ronny, ich hab an dein Dorf gedacht. Der wievielte ist heute?
CONNY 18. Juni.
DANA In drei Tagen muss alles stehen.
RONNY In drei Tagen?
DANA Na ist da Sonnwendfeuer oder nicht? Wir warn doch schon mal da, oder? Dein Bruder, isser noch dabei? RONNY Was hast du vor?
DANA Gibt ihm Eddas Zeitung aus dem Camp. Na d a s werden wir nicht ins Feuer schmeißen, oder …
RONNY Liest, die anderen beugen sich ebenfalls darüber. – Lässt die Zeitung sinken. Blick auf Dana. Mensch, Dana!
(47) Auto Day Int. Ronny fährt und raucht. Auf dem Beifahrersitz Dana. Raucht auch. Im Fond Marcel, David. Musik. (Bayon / Borchert: STELL DICH MITTEN IN DEN REGEN.)- Ben hält nacheinander die israelische und dann die amerikanische Flagge hoch. Ronny, der Fahrer dreht sich um. Dana nimmt die Szene auf per Videofunktion ihres Handys.
DANA Wo ist Nick?
MARCEL Verstaut die Flaggen in einer Tasche. Hat Schiß. Fahnen verbrennen, sagt er, dafür kriegen sie uns am Arsch.
RONNY Der ist nur mitm Maul groß. Hab ich schon immer gesagt. – Und wir mit unserer Bewährung!
DAVID Hat er gesagt!
MARCEL Ich hab noch mit ihm diskutiert. Das sind Flaggen von Ländern, die andere Länder mit Krieg überziehen und unterjochen, sag ich. Und strafrechtlich … da müssen wir schon irgendwie ne Botschaftsfahne verbrennen oder so. So eine feige Sau!
Sie fahren eine Weile ohne zu reden.
DANA Dreht sich um, hält ihr Handy in Richtung Marcel.
Zeig mal die Schwarte, Marcel.
MARCEL Hält das Tagebuch der Anne Frank in die Kamera.
RONNY Von vorn: Wo hastes her?
MARCEL Bibliothek.
RONNY Okay.
Sie fahren. Dana schaut zum Fenster raus.
RONNY Ironisch: Und wie wollt ihrs zurückgeben?
DAVID In ner Urne.
RONNY Lacht auf. Stupst Dana. Eh, hör dir das an!
Lacht. Trommelt mit den Fäusten aufs Lenkrad. Dana richtet die Kamera / Handy auf ihn. – Sie fahren. – David beginnt – mit Nachdruck und Militanz – zu singen, die anderen fallen ein.
Alle Stell dich mitten in das FEUER,
glaub an dieses UNGEHEUER
in des Herzens rotem Wein
und versuche GUT zu sein.
DANA Lehnt den Kopf ans Seitenfenster. Auch die anderen singen nicht mehr. Das Auto fährt.
(48) Sportplatz Day Ext. Sportlerkneipe mit Terrasse. Zwei Männer beim Bier. Über den Sportplatz laufen Jugendliche mit Grillzubehör in Richtung der Sportlerklause. Unter ihnen Hermann. – Auf den Platz fahren zwei PKW, die Insassen steigen aus, Türenschlagen. Mann am Biertisch Was’n da los?
Beide blicken zu den Autos, von wo Dana und ihre Gang, sich umschauend, langsam näher kommen. Währenddessen wird aus dem anderen Wagen eine Kiste ausgeladen, wie sie Diskjockeys benutzen.
Anderer Mann am Biertisch Komm mal raus, Bürgermeister.
Aus der Tür tritt Erna (60, heller Rock, geblümte Bluse). Hinter ihr, sich die Hände trocknend, der Wirt (Jeans, dunkles Unterhemd). Beide blicken schweigend auf die Szenerie. Ronny kommt auf die Terrasse. Boxt dem Wirt gegen die Brust.
RONNY Hey!
WIRT Guten Tag, Ronny.
RONNY Is Reiko da?
WIRT Noch mal kurz weg.
RONNY Sonst alles klar?
WIRT Ihr könnt aufbauen.
Ronny dreht ab. – Bürgermeisterin guckt den Wirt an, atmet tief durch, guckt ihn an, schüttelt den Kopf.
WIRT Keine Angst, die machen nur Musik. Geht rein. Bürgermeisterin steht mit sorgenvoller Miene auf der Terrasse.
MANN AM BIERTISCH Der Ronny gehört sozusagen zum Dorf, Erna. Kannste nischt machen.
Hermann (20, Jeans, T-Shirt)) kommt, will in die Kneipe. Bleibt kurz stehen, zur Bürgermeisterin, ironisch: Hermann Hat Reiko wieder seine Leute bestellt?
WIRT Kommt aus dem Gastraum mit Wasserglas voll Branntwein.
HERMANN Dein bester Kunde wieder?
WIRT Wenn dich der Hafer sticht, kannste mal um die Ecke bei mir aufn Hof gehen. Da liegen paar kleine Gerippe. Sind die Katzen vom Frühjahr. Bin ich geübt drin, Hänflinge gegen die Wand zu klatschen.
Geht in den Gastraum. Bürgermeisterin und Hermann stehen auf der Terrasse und schauen besorgt zu, wie von Ronny und anderen eine Diskoanlage unten auf dem Rasen aufgebaut wird.
MANN AM BIERTISCH Geht klar. Geht alles klar. Keene Angst, Erna.
(49) Sportplatz Nightfall Ext. Ein Podest. Um das Podest herum Tische und Stühle, auf denen das Dorf sitzt. Zwei sehr alte Männer – schauen hinauf auf das Podest, wo getanzt wird. An der Stirnseite die Diskoanlage. Der Discjockey: Ronny. Auch andere aus Danas Gruppe halten sich hier auf. Reiko (25) kommt. Schwarze Jeans, schwarzes Hemd. Er beugt sich zu Ronny herunter und flüstert ihm was ins Ohr. Ronny nickt. Aus den Lautsprechern der Schneewalzer. Es wird getanzt. – Der Wirt tanzt angetrunken mit einem jungen Mädchen. Ist zudringlich, sie wehrt ihn ab. Tanzt aber weiter. – Die Musik stoppt. Der Wirt und das Mädchen stehen. Auch alle anderen: Stehen. Ronny nimmt das Mikrofon.
RONNY Liebe Vietzener, liebe Gäste. Dieses Jahr soll das traditionelle Feuer zur Sonnwende nicht einfach so angezündet werden, nein, diesmal soll dieser alte Brauch einen kulturellen Rahmen erhalten. Und zwar, was hat mir mein Bruder Reiko hier aufgeschrieben … Entfaltet mit einer Hand einen Zettel.
RONNY … eine Theateraufführung .. die vier Jahreszeiten …. eine Sinnstiftung …. – Nachbarn, gehen wir hinüber.
Die Dorfbewohner setzen sich in Bewegung. Die zwei sehr alten Männer, einer mit Stock, den anderen hinterher. Alle versammeln sich um eine drei Meter hohe Säule aus Holz und Stroh. Auf vier Ecken verteilt Marcel, David und zwei andere. Tragen brennende Fackeln in der Hand. Der Wirt grüßt die Fackeln mit gehobener Bierflasche. Reiko bahnt sich einen Weg zu den beiden sehr alten Männer. Winkt, Stühle zu bringen. Vorn guckt die Bürgermeisterin besorgt in die Runde. Die beiden Alten nehmen auf den gebrachten Stühlen Platz. Reiko bringt einen Stuhl für Erna. Während sie sich setzt, sagt sie etwas zu ihm, er schüttelt den Kopf. – Reiko tritt vor den noch nicht angezündeten Holzstoß.
Raiko Ewig dreht das Rad des Lebens
Ewig kreisen Zeit und Erde
Ewig neut sich so des Jahres
und des Menschen „Stirb und Werde“.
Nachbarn!
Die Bräuche der Sommersonnenwende gehören mit zum ältesten überlieferten Brauchtum unseres Volkes. Den Germanen war der Lauf des Jahres bestimmend für Arbeit und Feier. Das Frühlings- oder Osterfest, die Sommersonnenwende und die Totengedenktage waren Tage der grossen Rats- und Gerichtsversammlungen aller freien Männer eines Volksstammes. Seien wir uns dieser Verpflichtung zur Freiheit bewusst. – Nachbarn! Es ist nötig, sich der alten Bräuche zu erinnern! – Das Entzünden des Feuers bedeutet Feier. Da sind wir, wenn ich euch hab tanzen sehen, gut dabei. Und es bedeutet Innehalten! Dabei soll uns das Symbol für die Sonne, das Licht und die Wärme unterstützen! – Bitte, Kameraden!
Marcel, David und die anderen Jugendlichen halten ihre Fackeln in den vorbereiteten Holzstoß, bis dieser brennt.
Dana nimmt die Szenerie auf Video auf. Die Bürgermeisterin mit besorgtem Blick. Entdeckt die filmende Dana.
Bürgermeisterin An einen Nachbarn gerichtet. Wer ist das?
Nachbar Mit dem Ronny gekommen.
Das Feuer brennt. Die Fackelträger an den Ecken. Von abseits beobachtet Hermann die Szenerie.
RAIKO Die Sonnenwende ist Anlass, um seine Wünsche zu äußern. Die Sonnenwende soll für uns eine Wende sein in der wir die Mißstände vergessen und der Zukunft optimistisch entgegensehen. Jeder hat seine persönlichen Hoffnungen und Ziele und damit auch Dinge, die ihn bei der Verwirklichung dieser Ziele im Weg stehen. Am Sonnenwendtag werfen wir alles von uns.
MARCEL Tritt mit einer Art Zeltplatzhülle ans Feuer. Sonnenwende, komm und ende
alles Dunkel, mach uns frei!
Wende ab den Schlaf der Satten,
wende ab den Tod der Schatten,
wende ab die Nacht der Träume,
sende Licht in alle Räume!
Er öffnet die Tasche entnimmt ihr eine amerikanische Flagge und wirft sie ins Feuer. – Die Bürgermeisterin starr vor Schreck. Dana nimmt auf. Die Bürgermeisterin macht eine Geste, das Dana aufhören soll. Der Wirt steht stramm und salutiert. Dana nimmt das auf. David tritt ans Feuer.
David Versteckt nur in Tälern dürfen sie brennen?
Holt sie hervor, ihr sollt euch zum Mal der Flammen bekennen!
Verbrennet die Lüge, die fahl und bleich
Und tragt der Wahrheit Fackel ins Reich!
Er öffnet seine Tasche entnimmt ihr eine israelische Flagge und wirft sie ins Feuer. Die Bürgermeisterin steht auf. Schaut sich hilfesuchend um. Dana nimmt das auf. Die zwei sehr alten Männer blicken regungslos gerade aus. Der Wirt nickt zu der Szene. Wird heftiger im Nicken. Hat Tränen in den Augen. Dana nimmt das auf. – Reiko vorm Feuer.
RAIKO Kameraden! Gemäß der alten Sitte! Werft ins Feuer, was ihr für verbrennungswürdig haltet!
RONNY Geht mit dem Tagebuch der Anne Frank zum Feuer, hält es hoch. Ich übergebe dem Feuer: Anne Frank! Die Bürgermeisterin eilt auf Ronny zu. Kann nicht verhindern, dass Ronny das Buch ins Feuer wirft. Die beiden sehr alten Männer gucken mit starrem Gesicht geradeaus. Der Wirt, Tränen in den Augen, salutiert mit Hitlergruß. Dana nimmt das auf.
Erster sehr alter Mann Als du noch LPG-Vorsitzender warst? Was hättest du gemacht?
Zweiter sehr alter Mann Frag mich mal, was ich im Krieg gemacht hätte.
RAIKO, Ronny, Marcel, David und andere Sprechen, skandieren.
Leuchtender Schein!
Siehe, wir singenden Paare
schwören am Flammenaltare,
Deutsche zu sein!“
Bürgermeisterin geht zu Dana, will ihr das Handy wegnehmen.
WIRT Lass sie, Erna. Soll sie ihren Spaß haben. – Heute, wo alle ihren Spaß haben.
BÜRGERMEISTERIN Mit Wut im Leibe mit Hitlergruß vor dem Wirt. So! So bist du da drauf! Was denkst denn du, wenn das irgendwie rausgeht, wenn das irgendwie … Willst du dich so im Fernsehen sehen?
DANA Nimmt die Szene auf.
BÜRGERMEISTERIN Zu ihr: Hör auf sag ich dir! BÜRGERMEISTERIN Zum Wirt: Ist mir egal, wenn sie dich durch den Kakao ziehn! Aber hast du auch mal an Vietzen gedacht? Und du? Nur von deiner Kneipe kannst du nicht leben! Und wie willst du Futtermittel verkaufen in ganz Deutschland, wenn das ins Fernsehn kommt?!
WIRT Ins Fernsehn? Erregt, zu Dana:
WIRT Wer bist du? Er geht auf sie zu. – Dana läuft vor ihm her, nimmt auf. – Ein Stein, der im Gras liegt. – Dana dreht sich um, rennt weg, nimmt von anderer Stelle das Feuer auf.
RAIKO, Ronny, Marcel, david und andere Sprechen, skandieren – lauter jetzt und fanatischer:
Siehe, wir singenden Paare
schwören am Flammenaltare,
Deutsche zu sein!“
(50) Sportplatz Nightfall Ext.
WIRT Versucht Dana das Handy zu entreißen. Her! Das Ding her!
DANA Weg!
WIRT Hier wird nicht gefilmt! Hier nicht! Eure Scheiße bleibt draußen! Fernsehn!
Steht vor ihr.
WIRT Her! Du machst nicht alles kaputt! Du nicht! Versetzt ihr einen Stoß. Sie taumelt.
DANA Hör auf! Du bist besoffen!
WIRT Du machst mich nicht kaputt! Du nicht! Er packt sie, hebt sie hoch. Hält sie mit einem Arm, versucht ihr mit der anderen Hand das Handy zu entreißen. Sie zappelt in seinem Arm. – Ronny kommt angerannt.
RONNY Vater!
WIRT Dreht sich um.
DANA Beißt dem Wirt in den Arm. Schreit: Nazischwein! Du Nazischwein!
RONNY Bleibt abrupt stehen. Close-up. Ungläubiges Gesicht. Reiko – in einiger Entfernung. Steht. Undurchdringliches Gesicht.
WIRT Hat das Handy.
DANA Springt ihn an. Mein Handy! Her!
WIRT Seine Faust schnellt gegen die anspringende Dana. Trifft sie.
Dana Stürzt. Dana. Liegt mit dem Kopf auf dem Stein. Im Gras unter ihrem Kopf: Blut. Das Dorf, ein schweigender Kreis um Dana.
WIRT Hat das Handy in der Hand. Blickt sich ratlos um.
HERMANN Geht zur Seite. Nimmt Handy wählt.
RAIKO, Ronny, Marcel, david und andere Stehn mit mit gesenkten, brennenden Fackeln. In das Bild hinein der Ton der nächsten Szene: Auf einem Spielbrett werden die Schritte eines Mensch-ärger-dich-nicht-Männchens abgezählt.
STIMME WEINREICH Und du bist raus!
(51) Wohnung Weinreich Night Int. Weinreich (ärmellose Bluse, Jeans) und Martin (im Schlafanzug) sitzen am Tisch. Spielen Mensch-ärger-dich nicht.
Martin Und du?
WEINREICH Ich bleibe, und ….
Zählt Schritte ab ins Kästchen.
WEINREICH .. hab gewonnen!
MARTIN Gemein. Immer du.
WEINREICH Nee. Gar nicht immer ich.
Sie sitzen sich am Tisch gegenüber (Weinreich die Unterarme auf der Platte, übereinander gelegte Hände) und gucken sich an.
WEINREICH Spät. Zeit ins Bett zu gehen.
MARTIN Nickt.
WEINREICH Was denn? Gar kein Gemaule?
MARTIN Nee.
WEINREICH Steht auf. Ich komm mit.
Sie verlassen das Zimmer.
(52) Bad Night Int. Martin wäscht sich das Gesicht.
MARTIN Was ist Beten?
WEINREICH Wie kommst du denn darauf?
MARTIN Oma sagt, sie betet für uns.
WEINREICH Komm jetzt. Zähne putzen.
MARTIN Undeutlich (Zahnbürste im Mund).
Was isses denn nu?
WEINREICH Machen manche Leute. Wenn sie sich ganz sehr was wünschen.
(53) Schlafzimmer Night Int. Martin liegt im Bett. Weinreich sitzt auf der Bettkante.
MARTIN Und du?
WEINREICH Nee, ich nicht.
MARTIN Wünschst du dir nichts?
WEINREICH Doch, ich wünsch mir vieles. Sehr vieles sogar.
MARTIN Und wie willst du’s dann kriegen?
WEINREICH Ich geb erst mal. Man muss geben, was man kann. Und hoffen, dass man irgendwann auch mal was kriegt.
MARTIN Du hast noch nichts gekriegt?
Weinreich nachdenklich. Close-up. In ihren Augen Trauer und Resignation. Sie beugt sich über Martin. Gibt ihm einen Kuss.
WEINREICH Schlaf schön.
(54) Wohnzimmer Night Int. Weinreich an ihrem Arbeitstisch. Dort liegt eine CD. D. SCHNEIDER / KEMAL B. – Weinreichs Finger, die auf die Tischplatte trommeln. Sie macht den Computer an, legt die CD ein. Lehnt sich ans Fenster, guckt von dort. Auf dem Bildschirm Nacht. Jugendliche von hinten aufgenommen, offensichtlich im Gehen. Gehen in dunklen Jacken und ohne Kopfbedeckung. Der Ton ist leise eingestellt.
(55) NÄCHTLICHER PLATZ. DÖNERBUDE Night Ext. Die Dönerbude, erleuchtet. Ein Mann kommt heraus mit Eimer. Schüttet den Inhalt des Eimers in einen Abfallkübel. Aus dem Vordergrund springen heran die Jugendlichen mit Geschrei und Beschimpfungen. Der Ton ist so leise gestellt, dass man nicht versteht, was sie sagen. Sie schlagen auf den Mann ein, der versucht zu fliehen. Biegt um die Ecke. Hier steht Dana. Sie schlägt zu, der Mann fällt. In ihrer Hand sieht man einen Schlagring.
(56) Wohnzimmer Night Ext. Weinreich, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, langt nach einer offenen Tafel Schokolade. Bricht ein Stück ab.
(57) Nächtlicher Platz. Dönerbude Night Ext. Marcel reißt den Mann hoch. Dana schlägt zu mit der schlagringbewehrten Hand. Der Schlag hinterlässt eine klaffende Wunde im Gesicht des Mannes. Ronny kommt hinzu. Sie halten den Mann, der zusammensacken will, gemeinsam hoch. Dana schlägt mehrmals zu. Bis das Gesicht des Mannes unkenntlich ist. Ronny, Marcel halten den Mann, dessen Gesicht vornüber gekippt ist. Dana macht ein Zeichen. Die Jungs fassen dem Mann in die Haare, präsentieren sein unkenntliches Gesicht der Kamera.
Dana Das war ich.
Marcel, Ronny lassen den Mann fallen. Stellen sich neben Dana. Dana legt die Arme über ihre Schultern. Guckt nach rechts und links auf Marcel und Ronny.
Dana Ich bin, was ihr seid.
(58) Wohnzimmer Night Int. Weinreich Lehnt am Fenster. Hat die Tafel Schokolade in der Hand. Bricht ein Stück ab. Schiebt es langsam in den Mund. Der Computer ist an. Desktopoberfläche.
Weinreich Bricht ein Stück Schokolade ab. Schiebt es langsam in den Mund. Bricht noch ein Stück ab. Kaut langsam. Guckt. Hört auf zu kauen.
Ende.