Miriam zahlt Cash

(Das Stück)

Miriam

Ihre Mutter                                                        

Ihre Großmutter                                               

Lilith                                                                     

Schlot                                                              

Ron                                                                       

Buntspecht                                                         

Polizist                                                             

ein Mann                                                          

  

Prolog

Miriam und Polizist vor dem Vorhang

Miriam: Das ist der Polizist, bei dem mich meine Großmutter anzeigen wollte

Polizist: Das ist Miriam.

Miriam:  zeigt auf den Polizisten Ich rede nicht mit ihm, weil …  Er versteht überhaupt nichts.

Polizist: Aber mit euch will Miriam reden. Vielleicht versteht ihr, warum sie …

Miriam: Stopp. Meine Geschichte erzähle ich.

1. Szene

Miriam am Tisch.

Miriam: Der Morgen, an dem ich meine Großmutter besuchte, begann beschissen. Draußen war es kalt und es lag Schnee. Und ich konnte meinen Pullover nicht finden. Den dunkelgrünen.  Der hier so weit geschnitten ist. Hier – an den Schultern. 

Und dann kein Frühstück. Meine Mutter hatte wieder mal vergessen, einzukaufen. Obwohl sie bei Plus arbeitet.  Sie sitzt dort an der Kasse.

Sie steht auf, geht umher. Steht am Fenster, dreht sich um.

Ich wartete, dass sie von der Nachbarin zurückkam, wo sie Dillkäse für mein Pausenbrot borgen wollte. Dillkäse esse ich am liebsten.

Auf der Straße hupt es.

Herr Keyserling. Er kommt sie abholen. Das macht er oft. Er ist der Chef bei Plus.  – Gestern hat sie sich wegen ihm ein neues Kleid gekauft.

Mutter: kommt herein Was denn, du bist noch nicht angezogen! Er hupt schon! Zieh dich an, ich mach dir dein Brot inzwischen.

Miriam: Blutwurst!

Mutter: Einmal geht das schon; Tante Sybille hatte keinen Dillkäse.

Miriam: Ich eß keine Blutwurst!

Mutter: Dein Rollkragenpullover, wo ist der?!

Miriam: Robert hatte auch mal Blutwurst mit. Da haben sie alle um seine Bank gestanden: Blutwurst! Blutwurst! Blutwurst! Seitdem heißt er Blutwurst!

Es hupt.

Mutter: Wann du dich endlich anziehen willst, will ich wissen!

Miriam: Wenn ich meinen Pullover hab.

Mutter: Welchen Pullover?

Miriam: Den dunkelgrünen mit dem weiten Kragen.

Mutter: Der ist in der Wäsche. Und außerdem ist es ein Sommerpullover.

Miriam: Das ist kein Sommerpullover

Mutter: Zieh deinen gelben Rollkragenpullover an, der ist schön warm

Miriam: Nein.

Mutter: Zieh an nun!

Miriam: Den zieh ich nicht an!  – Grade heute nicht.

Mutter: Grade heute nicht?

Miriam: Jennifer hat Geburtstag.

Mutter: Und da kannst du nicht gehen, wie du immer gehst?

Miriam: Nein.

Mutter: Aha!

Miriam: An ihrem Geburtstag kommt sie ganz toll angezogen in die Schule.

Mutter: Diese Jennifer Nietsche kommt immer ganz toll angezogen, nicht nur an ihrem Geburtstag.

Miriam: Eben.

mutter: Und du? Läufst du etwa schmuddlig rum?

Miriam: Nicht so wie Jennifer.

Mutter: Wir haben auch nicht so viel Geld wie dieser Herr Nietsche!  Zieh dich an!

Es hupt.

Mutter: Der Rollkragenpullover! Hier!

Miriam: Nein.

Mutter: Anziehn, los! Und hier das Brot! Blutwurst, ja! Und das mir das gegessen wird!

Miriam: Nein.

Mutter: Miriam!

Pause.

Miriam: Nur wenn du mir 20 Euro gibst.

Es hupt.

Mutter: Was?!

Miriam: 20 Euro. Für ein Geburtstagsgeschenk für Jennifer. Ich bin eingeladen.

Mutter: 20 Euro?! Das Geld können wir weiß Gott anders gebrauchen!

Miriam: 10 Euro!

Mutter: Ich hab das Geld nicht.

Es hupt.

Mutter: Im Moment nicht. Ich hab es wirklich nicht.

Miriam: Dann geh ich nicht in die Schule.

Mutter: Miriam, hör mal …

Es hupt.

Mutter: Ich kann es mir nicht leisten, zu spät zu kommen.  Los!

Sie will Miriam  packen.

Miriam: Ich geh nicht in die Schule!

Es hupt.

Mutter: Wir sprechen uns heute Abend, Fräulein!

Mutter eilig ab.

Miriam: Aber Geld, dir ein neues Kleid zu kaufen für diesen … diesen Herrn Keyserling, das hast du!

Sie sitzt da im Unterhemd.

Und ich? – Ich muss so toll aussehen wie Jennifer. Ich muss! Und die 20 Euro hol ich mir auch! Und kauf mir einen Pullover! Einen dunkelgrünen, warmen, ganz tollen!

2. Szene

Aus einem TV-Apparat Musik und eine Stimme, die Fitness-Übungen ansagt. Die Großmutter turnt. – Es klingelt.

Großmutter:  Wer ist denn das? Um diese Zeit!

Sie versucht schnell aufzuräumen, auf dem Tisch liegende Sachen zu ordnen: Handtaschen, Schlüsselbund, Portemonnaie.  Es klingelt wieder. Sie geht nach draußen und öffnet.

Miriam:  draußen Tag, Oma.

Großmutter:  draußen Angela, nein Doreen, nein … ach mein Gott! – Miriam!

Miriam kommt herein.

Großmutter:  folgt ihr Miriam! Mit Schuhen im Wohnzimmer!

Miriam schleudert die Schuhe von den Füßen; die Großmutter bringt sie in den Korridor. – Miriam entdeckt auf dem Tisch das Portemonnaie.

Großmutter:  kommt wieder herein Musst du nicht in der Schule sein?

Miriam: Oma, ich wollte dich fragen. ob du mir nicht  ..

Sie blickt auf das Portemonnaie und setzt sich auf die Tischkante neben das Portemonnaie. – Die Großmutter macht schon wieder Turnübungen.

Großmutter:  Hach, das ist eine schwere Übung, da muss ich mich ganz schön anstrengen. Aber geht nicht, gibt’s nicht! Nicht bei mir! So! So! So! Na siehst du! Wär doch gelacht, wenn wir das nicht schafften! – Kannst du das auch, Doreen, ä .. Miriam, so bis hier runter?

Miriam:  Klar doch, Oma.

Großmutter:  Naja, wenn man so jung ist wie du, da ist man noch ganz anders gelenkig. Da muss man sich nicht anstrengen, um fit zu bleiben. Da ist man fit, wie!  – Naja, ich weiß, warum ich mich anstreng.

Miriam:  Warum?

Großmutter: Hach, Kind, ob du das verstehst. – Sie turnt. – Damit noch mithalten kann im Alter. Damit man nicht einsam wird. Im Café Lauterbach, da geh ich manchmal hin, da sieht man sich im Spiegel, wie man so allein dasitzt …  – Aber dann seh ich, dass ich noch ganz gut ausseh. Nach mir drehn sich sogar noch manche Männer um!  – Aber was ich erzähl ich dir da! Kümmer dich nicht um deine Großmutter, hörst du!  – Willst du was trinken?

Miriam: Nee, jetzt nicht.

Pause.

Miriam: Oma?

Großmutter: Ja?

Miriam: Küsst du noch?

Großmutter: Was?!

Miriam: Naja, die Männer, die sich nach dir umdrehn?

Großmutter: Küssen! Kind, ich hab zu tun, dass ich meine Turnübungen schaff! Du stellst Fragen!

Pause.

Großmutter: Weshalb bist du eigentlich gekommen? Nur, um mich zu fragen, ob ich …

Miriam: Ist schon gut, Oma.

Miriam hat das Portemonnaie in der Hand.

Großmutter: Leg das Portemonnaie wieder hin. Und den Schlüsselbund auch! Der hat da gar nicht zu liegen. Das gehört aufgeräumt. Aber ich konnte ja nicht wissen, dass du kommst. – Immer alles ordentlich an seinem Platz. Da musst du nie suchen.

Miriam:  Mama sagt auch manchmal, sie wird langsam alt.

Großmutter:  Was?! Na hör mal! Das ist nicht das Alter! Ich bin ziemlich fit, was das angeht! Ich kann noch alle Gedichte, die ich in der Schule gelernt habe. Hör mal:

     Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

     Von des Frühlings holden, belebenden Blick ..

Miriam: Hör auf, Oma. Jetzt ist Winter. 10 Grad minus.

Großmutter: Nur mit Zahlen sieht’s nicht so gut aus. Zahlen konnt ich mir schon als junges Mädchen nicht merken. – Leg den Schlüsselbund hin, Miriam!

Miriam:  fingert an einer ledernen Schutzhülle Hier hast du was.

Großmutter: Leg das hin, Miriam!

Miriam: Was ist das?

Großmutter: Leg das hin!

Miriam legt den Schlüsselbund weg.

Großmutter: Die Geheimnummer von meiner EC-Karte. Wo ich mir doch keine Zahlen merken kann. Hab ich extra dort reingemacht, und nicht ins Portemonnaie. EC-Karte und Geheimzahl, das darf man nie am gleichen Ort aufbewahren.  – So, jetzt hab ich aber einen Durst! Nach dem ganzen Sport! Miriam, holst du mir aus der Küche den Orangensaft.

Miriam: Klar, Oma.

Unterwegs fällt ihr etwas ein.

Miriam: Aber ich weiß doch nicht, wo du ihn hast, Oma.

Großmutter: Kind! Im Kühlschrank, wo denn sonst!

Miriam: zögert Achso.

Geht dann doch in die Küche. Ruft von dort:

Miriam: Hier ist aber nichts. – Im Kühlschrank ist nichts!

Großmutter: sie turnt noch einmal Ich hab ihn doch dort reingestellt  .. – Du musst nur richtig gucken.

Miriam: Hier ist wirklich nichts.

Großmutter: Na, ich komme.

Die Großmutter geht in die Küche.

Großmutter: aus der Küche Na sage mal … !

Miriam kommt eilig zurück ins Wohnzimmer. Sie zieht einen Zettel aus der Lederhülle am Schlüsselbund der Großmutter. Während sie den Zettel in die Hosentasche steckt, ruft sie nach draußen:

Miriam: Sag ich doch! Da ist kein Orangensaft!

Sie nimmt die EC-Karte aus dem Portemonnaie und steckt sie ein. – Die Großmutter kommt mit dem Orangensaft.

Großmutter: hält die Flasche hoch Das ist aber auch!  Im Geschirrschrank! Dabei war ich mir sicher, ihn in den Kühlschrank gestellt zu haben!

Miriam: Na gut, Oma. Ich geh dann. Tschüß!

Großmutter: Was denn, schon?! – ruft ihr nach  Warum warst du nun eigentlich da?

Die Großmutter macht den TV-Apparat aus und setzt sich. Schaut sich um. Ist allein.

3. Szene

Ein Kaufhaus. Lilith mit Gitarre neben dem Eingang. Schaufenster mit Oberbekleidung. – Miriam kommt.

Lilith: Hast du einen Euro?

Mann: abseits Kinder anbetteln. Schämt euch was.

Miriam: Einen Euro? – Hab ich.

Lilith: Du siehst mir bald aus, als würdest du nicht einen, sondern eine Million Euro besitzen?

Miriam: Besitz ich.

Lilith: Ich brauch nur einen.

Miriam: Okay, ich zahle Cash. Hier. Sie streckt Lilith mehrere Scheine hin.

Lilith: So, du zahlst Cash. Immer?

Miriam schweigt.

Lilith: Ich nehm den. Sie nimmt einen 5 Euro Schein. Wenn ich Geld hätte, würde ich Dir rausgeben.

Erwachsener: der die Szene aus der Ferne beobachtet So viel Geld kann kein Kind haben. Das ist etwas faul.  – ruft zu Lilith Machst du dir gar keine Gedanken, wo das Kind das Geld her hat?!

Lilith: Über Geld mach ich mir nie Gedanken.

Erwachsener: abseits Ruf ich die Polizei oder ruf ich die Polizei nicht. – Ach was, man macht sich nur Ärger.

Ab.

Lilith: zu Miriam Wenn du gezahlt hast, kannst du eine Gegenleistung verlangen. Soll ich ein Lied singen ?

Miriam: Wenn ich dabei überlegen kann?

Lilith: Kannst du.  – Das Lied heißt: »Das hässliche junge Entlein«. Ich hätte es übrigens auch gesungen ohne dein Geld.

singt

Zu groß, zu hässlich, zu grau

Gebissen, gestoßen und ausgelacht

He, Kameradin

Willst du wegziehen und Zugvogel werden?

Ich will ich will

Unterm Sternenmeer ziehn

Winter war und der Himmel weit

Und Schwingen zu fliegen zu schwach

Eis kam und ging, der Himmel anders blieb weit.

Zu stark, zu grausam, zu klug

Gemieden, gefürchtet, dann niedergemacht

He, Kameradin

Willst du wegziehen und Zugvogel werden?

Ich will ich will

Unterm Sternenmeer ziehn

Winter war und der Himmel weit

Und Schwingen zu fliegen zu schwach

Eis kam und ging, der Himmel anders blieb weit.

Lilith: Und? Was hast du überlegt?

Miriam: Ob ich mir eine dunkelgrüne Jacke kauf. Die hier ist ganz schön schäbig.

Lilith: Dunkelgrün ist deine Lieblingsfarbe?

Miriam: Und dann brauch ich noch ein Geschenk für Jennifers Geburtstag..

Lilith: Wer ist Jennifer?

Miriam: Die Jungs finden sie alle toll.

Lilith: Toller als dich?

Miriam: Jennifer hat schon geküsst.

Lilith: Wen?

Miriam: Schlot.

Lilith: Wer ist Schlot?

Miriam: Er gefällt mir.

Lilith: Und Jennifer hat es nicht ernst gemeint?

Miriam: Was?

Lilith: Dass sie Schlot geküsst hat?

Pause.

Miriam: Ich muss jetzt das Geschenk für Jennifer kaufen.

Lilith: Na gut. Kauf das Geschenk.

Miriam: zögert Kannst du mir nicht einen Tipp geben, was ich kaufen soll?

Lilith: Keine Ahnung, was man einer Jennifer schenkt.. – Was schenken denn die anderen?

Miriam: Paula schenkt einen blauen Lippenstift. – Den hat sich Jennifer gewünscht.

Lilith: Und was hat sich Jennifer von dir gewünscht?

Miriam: Weiß nicht.

Pause.

Lilith: singt

So schön, so kraftvoll, so klug

Bewundert, gefeiert, der Sonne so nah

He, Kameradin

Wo willst du hin?

Ich will ich will

Unterm Himmel hinziehn

Denn Frühling ist und der Himmel weit

Und Schwingen zu fliegen so weiß

Da muss ich, da muss ich

Unter der Sonne hinziehn.

Miriam:      Tschüß!

Miriam ins Kaufhaus. Lilith ab.

4. Szene

Weiter das Kaufhaus. Eingang, Passanten. Schlot, er ist dünn angezogen und friert. Steht  vor einem Schau­fenster mit Sportschuhen.

Schlot: Eh die Schuhe sind cool

Wo krieg ich die her

Das ist gar nicht schwer

An der Kasse drei Scheine

Und sie sind meine

Ich steh auf der Sprem[1]

Vor H & M

Ich hab keine Kröten

Am Akkordeonspieler vorüber

Eiln geschlossne Gesichter

In den Schaufenstern Lichter

Vom Himmel fällt Schnee

Ich heiße René

Meine Turnschuh zerrissen

Ich fühle und weiß

Auf den Gehplatten Eis

Miriam in einer dunkelgrünen Jacke kommt aus dem Kaufhaus. Sie bemerkt Schlot.

Miriam: Schlot, was machst du denn hier? Bist du nicht in der Schule?

Schlot: He, Rotfuchs!

Miriam: Du bist blöd.

Sie will an ihm vorbei.

Schlot: He, nun sei nicht gleich beleidigt! – Weil ich Rotfuchs zu dir gesagt habe? – Man wird ja wohl noch die Wahrheit sagen dürfen!

Miriam: Las mich in Ruhe!

Schlot: Coole Jacke! Grade gekauft? Da hast du doch was übrig! Wenn du so viel Geld ausgegeben hast? Ich bin abgebrannt.

Miriam: Ich hab nichts übrig.

Schlot: Mann, die hat mindestens 200 gekostet. Wo hast du so viel Geld her? Ich denk, ihr seid arm? Konntest nicht mal die Klassenfahrt bezahlen!

Miriam: Und du? Du hast auch kein Geld!

Schlot: Ist was anderes. Ich setz alles in Zigaretten um. Heiß nicht umsonst Schlot. – Wo hast du das Geld her?

Miriam: Wer viel fragt, kriegt nichts.

Schlot: Heißt das ..  Du hast was für mich? – Du? Rotfuchs?

Miriam: Gib mal ’ne Zigarette.

Schlot: Ausgegangen.

Miriam: Aha. – Na gut, dann ..  Tschüß!

Schlot: Halt! Warte mal. – wühlt an sich herum Tut mir leid. Bin echt abgebrannt.

Miriam: Wirklich?

Schlot: Du rauchst doch gar nicht.

Miriam: Hast du nun eine?

Schlot: Gestern .. Ich hab mit Ron ne Ziehung gemacht ….

Miriam: Du hast für ihn bezahlt!

Schlot: Er ist schlecht bei Kasse im Moment. Er hat da was mit dem Aut ..

Miriam: Auto? Was für ein Auto?

Schlot: Nichts.

Pause.

Schlot: Zigaretten sind alle.  – Aber sonst  .. Ich würd alles für dich machen, Rotfuchs.  Alles, was du willst.

Miriam: Wie heiß ich?

Schlot: Ro .. – Miriam.  – Miriam. Schöner Name. Klingt irgendwie .. feminin.

Miriam: Was?

Schlot: Klingt nach ’nem echten Mädchen.

Miriam: Aha.

Pause.

Miriam: Findest du wirklich?

Schlot: Find ich. Hab ich immer schon gefunden. Hab ich mir bloß nicht getraut zu sagen vor den anderen.

Miriam: Ich kann dich auch leiden.

Schlot: Aha.

Miriam: Schon lange.

Schlot: Aha.

Pause.

Miriam: Deine Schuhe sind ganz schön fertig, wie. – Zeig  mal den Zeh.

Schlot: Was?

Miriam: Den Zeh. Ich hab doch gesehen, dass du keine Socken anhast.

Schlot: Klar doch.

Zeigt den nackten Zeh.

Miriam: Echt cool.

Pause.

Miriam: Wenn ich meine Jacke nicht hätte, wär mir ganz schön kalt.

Schlot: Mir nicht. Ist in Ordnung so.

Miriam: Ich hab drin paar Dinger gesehen. Blau, rote Streifen.

Schlot: Nike.

Miriam:  Nike.

Schlot: Kosten 95.

Miriam: Kein Problem.

Schlot: Du bist verrückt, wie.

Miriam: steht unter der Tür zum Kaufhaus Frag nicht, Schlot.

Schlot: Wenn du unbedingt willst.

Miriam: Ich will.

Schlot folgt ihr, kommt noch einmal zurück.

Schlot: Eh die Schuhe sind cool

Wo krieg ich die her

Gar nicht schwer

An der Kasse drei Scheine ..

Miriam: im Kaufhauseingang Komm endlich.

Schlot: Okay.  – Ist aber dein Ding, Miriam. Ich mein, wenn’s Ärger gibt ..

Miriam: Komm schon.

Sie verschwinden im Kaufhaus.

5. Szene

Miriams Mutter im Wohnzimmer der Großmutter.

Großmutter: So, Geld borgen willst du bei mir! Weil du deiner Tochter heute morgen nicht mal 10 Euro geben konntest! Weil du mit deinem Freund nach Italien fliegen willst! Und es muss auch gleich Italien sein. Wie alt bist du?

Miriams Mutter schweigt.

Großmutter:  Zweiunddreißig. Und gehst zu deiner fünfzigjährigen Mutter ..

Mutter:     Achtundfünfzigjährigen …

Großmutter: Und gehst zu deiner achtundfünfzigjährigen Mutter, jawohl, rennst weg von deiner Arbeit in der Mittagspause, und pumpst sie an um eben mal fünfhundert Euro! – Zweiunddreißig! Da müsste man langsam in der Lage sein, für sich und für das Kind, das man in die Welt gesetzt hat, zu sorgen!

Mutter: Ich kann nichts dafür, dass Miriams Vater unser Geld durchgebracht hat.

Großmutter:  Durchgebracht, ja … mit Autos, die nicht seiner Brieftasche angemessen waren! Wollte mehr sein als er war, der Herr Rangierer! Immer den großen Mann spielen!

Mutter: Mutter! Hör auf!

Großmutter: Eine Verkäuferin bei Plus und ein Arbeiter auf dem Rangierbahnhof! Und leben als wären sie Rockefeller!

Mutter: Wir waren das schönste Paar in der Stadt!

Großmutter:  Bis du das Kind hattest ja! Dann brauchte er andere Frauen, um bewundert zu werden!

Pause.

Mutter: Ich möchte die Zeit nicht missen. Nun weißt du’s. 

Pause.

Großmutter: Und von mir gibt’s kein Geld. Nun weißt du’s.

Mutter: Dass du mir das vorwirfst! Immer wieder vorwirfst!

Großmutter:  Was?

Mutter: Dass ich tanzen geh, wegfahre. Dass ich in Restaurants gehe. Dass ich Freunde habe. 

Sie will gehen.

Großmutter ruft ihr hinterher:  Du lebst, und ich hab nur das Geld, ich weiß!

Miriams Mutter bleibt stehen.

Großmutter:  Und keine Erinnerungen als an Arbeit. Und jetzt sitz ich alleine hier.

Pause.

Großmutter:  Ach fahr doch mit deinem, deinem … wie heißt er nicht gleich …

Mutter: Norbert.

Großmutter:  Und noch .. ?

Mutter: Keyserling.

Großmutter:  Fahr doch mit deinem, diesem .. Keyserling, fahr doch, fahr – und von mir aus bis nach Ägypten!

Mutter: Heißt das, du gibst mir das Geld?

Großmutter:  Frag nicht so blöd.

Sie nestelt an ihrer Börse.

Großmutter:  500 hab ich nicht hier. Wir fahren an der Sparkasse vorbei.

Mutter: Und an der Schule. Ich will Miriam die 10 Euro geben für das Geburtstagsgeschenk.

Großmutter:  Miriam war übrigens hier. Ich glaube, sie wollte auch Geld haben von mir.

Sie sucht in ihrem Portemonnaie.

Großmutter:  Wo ist denn …

Mutter: Deine EC-Karte? Wer weiß, wo du sie hingesteckt hast.

Großmutter: Immer an den gleichen Platz. Hier in dieses Fach, und die Geheimnummer in den Schlüsselbund.

Mutter: nimmt das Portemonnaie AOK, Bibliothek .. – Was ist das für eine Karte? Von der GWG?  … Weiter … nichts!

Großmutter: Keine EC-Karte?

Mutter: Keine EC-Karte!

Sie gucken sich an. Schweigen.

Mutter: Ich sag’s nicht. 

Großmutter: Und ich guck nicht am Schlüsselbund nach!

Schweigen.

Mutter: Guck nach!

Großmutter nimmt den Schlüsselbund.

Großmutter:  Weg.

Mutter: Die Geheimnummer weg!?

Pause.

Großmutter: Miriam? Sag du’s mir – war das Miriam?

Mutter: Meine Tochter macht so was nicht.

Pause.

Großmutter: Was machen wir?

Mutter: Fahr in die Schule und frag sie. – erregt Da kannst du von ihr hören, dass sie so etwas nicht macht!  nimmt aufgebracht ihren Mantel  Ich muss zurück auf die Arbeit! 

6. Szene

Miriam unschlüssig vor den Schaufenstern des Kaufhauses.  – Passanten. – Lilith, etwas abseits, mit Gitarre.

Lilith: I went to the Garden of Love,
And I saw what I never had seen:
A Chapel was built in the midst,
Where I used to play on the green.

So I turn’d to the Garden of Love.

And I saw it was filled with graves,
And tomb-stones where flowers should be:
And Priests in black gowns, were walking their rounds,
And binding with briars, my joys & desires. [2]

Sie dreht sich um nach Miriam.

Lilith: Du bist ja schon wieder da.

Miriam: Und du? Fragst die Leute gar nicht mehr nach Geld?

Lilith: Du hast mein Lied, und ich habe deine 5 Euro. Mehr als 5 Euro brauche ich nicht.

Miriam: Ich brauch immer Geld.

Lilith: Du hast ja immer welches.

Miriam: Nein, nicht immer. Gar nicht i …

Pause.

Lilith: Und du hast eine neue Jacke! Dunkelgrün! Bestimmt teuer. Wie hast du die bezahlt?

Miriam: Cash.

Lilith: Und ein Geschenk für Jennifer auch schon?

Miriam schüttelt den Kopf.

Lilith: Aber du weißt inzwischen, was du schenken willst?

Miriam: Einen schwarzen Lippenstift.

Lilith: Einen schwarzen! Da muss sie aber aufpassen beim Küssen!

Miriam: Sie hat gesagt, sie will sich die Haare färben lassen. Schwarz.

Miriam setzt sich neben Lilith.

Miriam: Wieso brauchst du kein Geld?

Lilith: Wieso brauch ich denn kein Geld? Na klar brauch ich Geld.

Miriam:  Hier ein Euro, da ein Euro .. das ist doch kein Geld!

Lilith:  Klar ist das Geld.

Pause.

Miriam: Und wenn du dir mal was Schönes kaufen willst?

Lilith: Was Schönes … – Was willst du dir denn Schönes kaufen?

Miriam: Einen roten Pullover. So mit weiten Schultern und ganz warm.

Lilith: So ein Weinrot, dass zu deiner neuen Jacke passt?

Miriam: Genau.

Pause.

Miriam: Schlot findet Jennifer nicht toll. Nicht mehr.

Pause.

Lilith:  Aber er geht zu Jennifers Geburtstag?

Miriam: Eigentlich will er nicht.      

Pause.

Miriam: Wie heißt du?

Lilith: Lilith.

Miriam: Lilith, was heißt feminin?

Lilith: Feminin? Wer hat das gesagt?

Miriam: Hab ich gehört.

Lilith: Feminin bedeutet so viel wie .. wie eine … wenn man richtig eine Frau ist …

Miriam schweigt. – Pause.

Lilith: Zufrieden mit der Antwort?

Miriam nickt. –Pause.

Miriam: Und wenn du dir mal was Schönes kaufen willst? Wenn du mal schön aussehen willst?

Lilith: Ich will nicht schön aussehn.

Pause.

Miriam: Und warum nicht.

Lilith: Darüber rede ich nicht.

Pause.

 Miriam: Tschüß, Lilith.

Geht.

Lilith: greift hart in die Saiten Zu groß, zu hässlich, zu grau

Gebissen, gestoßen und ausgelacht

Zu stark, zu grausam, zu klug

Gemieden, gefürchtet, dann niedergemacht

Aber Frühling ist und der Himmel weit ..

Ab.

7. Szene

Auf der Polizeiwache. Miriams Mutter und Großmutter streiten. Ein Polizist versucht vergeblich zu Wort zu kommen.

Mutter: Es ist überhaupt nicht erwiesen, dass Miriam das war!

Großmutter: Außer ihr war niemand in meiner Wohnung!

Mutter: Du, du, du ..! Du mit deiner Vergesslichkeit! Wer weiß, wo du die EC-Karte hingelegt hast!

Großmutter: Ich vergesslich?!

Mutter: Jawohl du! Und weißt du, warum du so vergesslich bist?! Weil du hundertmal am Tag dein Geld zählst! Da muss man ja durcheinanderkommen!

Großmutter: Ich zähl mein Geld? – Ich hock auf meinem Geld?! Das meinst du doch!

Mutter: So war das nicht gemeint, Mutter. Ich weiß ja, dass …

großmutter: Ich hock auf meinem Geld, ja?! Wenn dieser Diebstahl nicht dazwischen gekommen wär, hätt ich dir eben 500 Euro geschenkt?!

Mutter: Geschenkt?! – Geborgt!

Großmutter: Geschenkt!

Mutter: Geschenkt oder geborgt! Mensch, hier geht es um mein Kind, das gestohlen haben soll!

Großmutter: Hier geht es überhaupt nicht um dein Kind! Meine Enkeltochter setz ich nicht auf die Anklagebank! Dich setze ich dahin! Um dich geht es! Weil du Miriam diesen lockeren Umgang mit dem Geld angewöhnt hast! Weil du ihr vorgelebt hast, dass man sich das Geld nimmt, wo man es braucht! Weil du ihr nicht gesagt hast, dass Geld erstens verdient und zweitens gespart werden muss!

Mutter: äfft sie nach Verdient werden muss! Gespart werden muss! – Was denkst du denn, wo ich mein Geld herhab? Auf der Straße gefunden?

Großmutter: 1000 Euro bekommst du im Monat, damit kommt ein normaler Mensch hin! Guck mich an!

Mutter: Ich hab für 2 zu sorgen, und du bist allein! Das ist der Unterschied!

Großmutter: Wenn ich zusammen rechne, was ich dir gegeben hab, hab ich auch für zwei zu sorgen!

Mutter: Sei es wie es sei, aber dass du mein Kind als Diebin bezeichnest  ..!

Großmutter: Mach ich ja nicht! Dich, dich bezeichne ich als  … Verschwenderin! Als Mutter, die unfähig ist, ihr Kind zu erziehen!

Mutter: Du vergisst, dass du meine Mutter bist! Die Ursache allen Übels! Jawohl du! Du, du bist ..

Polizist: steht auf und brüllt Ruhe! – setzt sich wieder Worum geht es! wendet sich an die Großmutter So viel ich verstanden habe, hatten Sie heute Besuch von ihrer Enkeltochter.

Großmutter: So ist es, Herr Wachtmeister.

Polizist: Danach vermissten sie Ihre EC-Karte?!

Großmutter: Genau so, Herr Wachtmeister.

Mutter: Sie vergisst immer alles, da ist es doch gar nicht erw …

Polizist: springt auf, brüllt Ruhe! – sitzt, wendet sich an die Großmutter Sie entdeckten den Verlust, als sie Ihrer Tochter mit Geld aushelfen wollten … ?  da Miriams Mutter etwas sagen will Ich warne Sie! – zur Großmutter  Daraufhin fuhren sie in die Schule, um ihre Enkeltochter zur Rede zu stellen.

Großmutter: So ist es, Herr Wachtmeister.

Polizist:  Aber sie war nicht da, richtig?!

Großmutter: Richtig, Herr Wachtmeister.

Polizist: Und nun – erstatten Sie Anzeige?

Die Großmutter zögert.

Polizist: Ja oder nein?

Großmutter: Wenn ich vielleicht vorher mit ihr reden könnte …. Aber sie ist nirgends aufzufinden ..

Pause.

Großmutter:  Eigentlich – jetzt fällt’s mir ein! – wollte ich keine Anzeige erstatten!

Polizist: Und weshalb sind sie hier?

Großmutter: Um eine Suchmeldung aufzugeben!

Polizist: Eine Suchmeldung? – Suchmeldungen nehmen wir erst entgegen, wenn das Kind 24 Stunden vermisst ist.

Großmutter: Aber bis dahin …

Pause.

Polizist: In einer halben Stunde beginnt mein Streifendienst. Ich kann mich ja .. mal umschauen.

Großmutter: Danke, Herr Wachtmeister! Danke!

Großmutter und Mutter wollen gehen.

Polizist: in ihrem Rücken Aber wenn Sie das nächste mal hier sind, benehmen Sie sich! Da wird sich nicht noch einmal so gestritten!

Mutter: gleichzeitig mit Großmutter Sicher, Herr Wachtmeister!

Polizist: Ihre Tochter, bzw. Enkeltochter, hätte sich da besser benommen!

Mutter: Sicher, Herr Wachtmeister!

Großmutter: Vielleicht, Herr Wachtmeister!

Im Hinausgehen streiten sich Mutter und Großmutter wieder:

Mutter: Wie kannst du denn so was sagen! Vielleicht!

Großmutter: Genau! Vielleicht! Denn sicher bin ich mir da wirklich nicht ! Bei der Mutter!

Mutter: Aber hallo! 100 pro! 100 pro kannst du dir sicher sein, dass meine Tochter  .. !

usf.  – Ab.

Szene 8

Park. Buntspecht steht Wache. Vorne Ron und Schlot. – Ron ist deutlich älter als Schlot.

Schlot: Ich mache nicht mit.

Ron: Du warst dabei, als wir das Auto geknackt haben.  Mitgefangen, mitgehangen.

Schlot: Ich will nicht.

Ron: Tja, leider hab ich das Auto zu Schrott gefahren. Das ist nicht schlimm, wenn keiner weiß, wer’s war. Aber es  weiß einer.

Schlot: Wer?

Ron: Das geht dich nichts an.  – Er will mich verpfeifen, wenn ich ihm nicht zwei Mille zahl. Dafür brauch ich das Geld, kapiert?!

Schlot: Ich mach da nicht mit!

Ron: Tja, da hättst du mir nicht erzählen dürfen, wo du das Geld für deine Turnschuhe her hast!

Schlot: Ich mach da nicht mit!

Ron: Wenn mich mein Erpresser verpfeift, verpfeif ich dich! Dass du Schmiere gestanden hast, als ich das Auto geknackt hab!

Buntspecht: von vorn Sie kommt!

Ron: schnell, zu Schlot Pass auf, ich sag dir was. Alles, was du machst im Leben, kostet Geld. Und wenn es nicht optimal läuft, kostet es noch mal Geld. Du bist immer gezwungen, Geld zu beschaffen. Und wenn’s viel ist, was zu beschaffen ist, darfst du nicht fein sein. Da musst du einfach zulangen! Und wenn du das nicht willst, darfst du gar nichts machen. Darfst gar nicht erst anfangen, was zu machen. Darfst nicht anfangen zu leben. Legst dich am besten gleich in den Sarg, Bruder! Ich will hoffen, dass deine Freundin …

Schlot: Sie ist nicht meine Freundin.

Ron: Schon gut, Grünschnabel.

Miriam ist heran; Buntspecht in ihrem Rücken.

Miriam: Schlot?

Schlot: kleinlaut Hallo Miriam.

Pause.

Ron: Wo hast du sie?

Miriam: Was?

Pause.

Miriam: Was soll ich haben?

Buntspecht: in ihrem Rücken Frag nicht so blöd!

Ron: tippt ihr von hinten auf die Schulter Wenn du mitspielst, geht es ohne Schmerzen ab, klar!

Miriam: verunsichert Wobei mitspielen?

Buntspecht: von hinten Na guck dir das an!

Schlot will abhauen, Ron packt ihn.

Ron: Ich hab dich gewarnt!

Und versetzt ihm einen Faustschlag; Schlot geht zu Boden; Buntspecht kommt von hinten, tritt Schlot.

Buntspecht: Auf unschuldig machen, au fein!

Ron: Nun mal halblang, Buntspecht; es handelt sich hier um mein Business!

Miriam: Was für Business?

Ron: zu Buntspecht, die noch einmal tritt Hast du gehört, Vogel! Ist mein Geschäft!

Buntspecht: Ist gut, Ron; ich mach’s gerne.

Ron: So eine brutale Sau!

Buntspecht: Ich mach’s für dich, Ron.

Ron: Aha! – wendet sich an Miriam Und du? Fragst dämlich?

Miriam: tapfer Was für ein Business?

Ron: Was für ein Business? Kann ich dir sagen: Geld! Geld, das du deiner Urgroßmutter geklaut hast! zeigt auf den am Boden liegenden Schlot Der hier hat’s mir verraten.

Pause.

Ron: Die EC-Karte, du Unschuldslamm!

Miriam: Ich hab keine EC-Karte. Ich zahle Cash.

Ron: Du zahlst Cash! zeigt auf Schlot Wenn du auch so aussehen willst?

Miriam gibt ihm zögernd die Karte. – Schweigen. – Sie warten.

Ron: zu Buntspecht Die hält uns für blöd! – Die Geheimnummer!

Miriam gibt den Zettel mit der Geheimnummer heraus.

Ron: nickt befriedigt Verpfeifen wirst du uns nicht, so dumm wirst du ja nicht sein.

Mit Buntspecht ab. – Schlot rappelt sich auf. Sie sitzen abgewendet, lange. Schlot betrachtet seine Schuhe.

Schlot: Eh die Schuhe sind cool

Wo krieg ich die her

Gar nicht schwer

An der Kasse zwei Scheine ..

Er dreht sich um zu Miriam, zwinkert, sie reagiert nicht.

Szene 9

Kaufhaus. Miriam wartet vor dem Eingang. Schlot abseits.  – Lilith kommt mit Döner.

Miriam: spricht Lilith an Haste mal fünf Euro?

Lilith: Nee, was’n los? Wo ist dein ganzes Geld hin?

Miriam: Weg.

Lilith: Weg? Hat es dir jemand geklaut?

Miriam: Weg ist es und basta. Haste 5 Euro?

Lilith: Hab mir grad ’nen Döner gekauft … 2, 50 hab ich noch.

Sie gibt ihr das Geld.

Miriam: Reicht das für’n schwarzen Lippenstift?

Lilith: Glaube nicht.  – Und dein ganzes Geld ist wirklich weg?

Miriam: Weg, sag ich doch.

Weint.

Lilith: Was hast du denn? Auch wenn es weg ist … Wegen Geld heulen!

Miriam: Ich heul nicht wegen dem Geld.

Blick zu Schlot.

Lilith: bemerkt den Blick Aber er hat es nicht etwa?

Miriam schüttelt heftig den Kopf.

Lilith: Dann ist es was anderes? – Na, ich las euch mal allein.

Sie geht. Dreht sich noch mal um.

Lilith: Im übrigen, die Jacke – wenn du die verkaufst .. Springen mindestens zehn Lippenstifte raus!

Miriam: schreit Die Jacke ist von gestohlenem Geld gekauft!

Lilith: Hab ich mir fast gedacht. Und nun hat man dir das Geld gestohlen.

Miriam schweigt.

Lilith: Na, nun weißt du, wie beides ist: Stehlen und bestohlen werden. Schön, dich getroffen zu haben, kleine Miriam!

Ab. – Miriam und Schlot zu beiden Seiten des Kaufhaus-Einganges. Gucken grade aus. Schweigen. Schließlich:

Schlot: Wenn du unbedingt zu diesem Geburtstag gehen musst .. Ich mein, wenn du unbedingt ein Geschenk brauchst .. Können wir ja auch meine Turnschuhe verkaufen.

Miriam: Nee, las mal.

Schlot: Musst du denn da unbedingt hin.

Miriam: Was soll ich denn sonst machen? Wo soll ich denn sonst hin? Ich kann ja nirgendwo mehr hin!

Langes Schweigen. Schließlich zieht Schlot seine neuen Turnschuhe aus. Barfuss steht er auf der Sprem und versucht Passanten seine Turnschuhe zu verkaufen. Ihm ist es ernst, aber Miriam muss lachen. Vor allem, weil er auf den vereisten Platten so hüpft.

MANN: Mach keinen Blödsinn, Junge, damit ist nicht zu spaßen! im Weitergehen Herrgott aber auch! Barfuss im Winter! dreht sich noch mal um Habt ihr denn kein Zuhause, das ihr hier so rumlungern müsst!

Miriam: schreit Nein, haben wir nicht, weil … weil …

Erwachsener: vor ihr So! Kein Zuhause! Auf arm machen, wie! Barfuss im Schnee, wie! Und diese teure Jacke?! Wo hast du die her?!

Miriam: schreit Die ist von geklautem Geld gekauft!

Erwachsener: Das will ich gerne glauben! Komm – packt sie – wir gehen zur Polizei!

Miriam: schreit Lassen Sie mich los! Las mich los!

Schlot: Noch einmal kann ich sie nicht verraten.

Er springt dem Mann auf den Rücken und zerrt an ihm bis der Mann umfällt. Miriam und Schlot rennen weg. – Auftritt des Polizisten im Laufschritt. – Der Mann kniet kopfschüttelnd auf der Straße.

Szene 10

Treppenhaus des Hauses, in dem Jennifer wohnt. An der Tür ein Schild: Jennifer hat Geburtstag. Die Party ist hier. Über der Tür ein Mistelzweig. – Miriam kommt, ohne Jacke,  und liest das Schild. Etwas später kommt Schlot, barfuss.

Miriam: Ein Mistelzweig. Unter der Tür zu Jennifers Wohnung!

Pause.

Schlot: Warum gehst du nicht rein?

Miriam:  Weiß nicht.

Längere Pause.

Miriam: Und warum gehst du nicht rein?

Schlot:  Weiß nicht.

Längere Pause.

Miriam:  Wieso  bist du eigentlich hier.

Schlot: Weil es hier warm ist.

Miriam: Drin ist es wärmer. Geh also rein.

Schlot: Barfuss? – Außerdem hab ich kein Geschenk.

Miriam:  Ich auch nicht.

Wieder Pause.

Schlot: Es ist mir nicht egal, was du denkst über mich.

Pause.

Miriam: War das eine Liebeserklärung? – Ganz schön rot geworden!

Schlot: Selber rot.

Pause.

Schlot: Ich weiß, was du denkst.

Miriam: Was denn?

Schlot:  Du würdest es gut finden, wenn die EC-Karte wieder im Portemonnaie deiner Oma stecken würde.

Miriam: Stimmt.

Schlot: Ich werde sie zurückholen.

Miriam: Und Ron?

Schlot: Ich hab keine Angst vor Ron.

Miriam steht vor Schlot.

Schlot:  Was ist?

Miriam: Kennst du den Brauch mit dem Mistelzweig?

Schlot. Nein.

Miriam: Wenn man nebeneinander unter einer Tür durchgeht, über der ein Mistelzweig hängt, muss man sich küssen.

Schlot: Ich geh da nicht rein. Ich geh die Karte holen.

Will wegrennen. – Auftritt Polizist.

Polizist: Nicht nötig. Die haben wir schon. – Hält die Karte hoch  Ein gewisser Ronny Müller. Alter Bekannter. Wollte gerade mal wieder ein Auto knacken. Am helllichten Tag, der wird auch immer frecher! Aber so was entgeht mir natürlich nicht! Und als ich ihn am Wagen hab, die Hände auf dem Dach, was find ich da?

Wedelt mit der  EC-Karte.

Großmutter: hinter dem Vorhang prustend Jejejeje, sind das viele Treppen!

Auftritt Mutter und Großmutter.

Mutter:    Kind, endlich, da bist du ja!

Großmutter: Überall gesucht haben wir dich! Wie kann man nur die Schule schwänzen! Wie kann man nur seine eigene Großmutter … Nein, daran will ich gar nicht denken ….

Mutter: zu Miriam Hast du Geld abgehoben?

Miriam nickt.

Mutter: Hast du Geld ausgegeben?

Miriam nickt.

Mutter: Mehr als die zwanzig Euro, die du heute morgen nicht bekommen hast?

Miriam nickt.

Mutter: Wie viel!

Miriam: Ich habe mir eine Jacke davon gekauft, und Nikes für Schlot.

Mutter: Teure?

Miriam nickt.

Mutter: Und? Wo sind die Turnschuhe? Wo ist deine Jacke? Ich seh nichts!

Pause.

Miriam: Wir haben sie in den Müllcontainer vor dem Haus geworfen.

Mutter:     Was?!

Großmutter: Das kann man noch retten! Die kann man wiederholen!

Mutter ruft ihr hinter her Doch nicht du! Du bist ja kaum die Treppe raufgekommen!

Großmutter eilig ab. – Die Mutter will sich wieder an Miriam wenden – aber die schaut Schlot an.

Miriam: Du hast noch was gut bei mir.

Schlot: Wofür?

Miriam: Dafür, dass du die EC-Karte für mich zurückholen wolltest. – Obwohl Ron stärker ist.

Schlot: Klar!

Miriam rennt zu Schlot und gibt ihm schnell einen Kuss.  Schlot, genauso schnell, küsst zurück.

Mutter: Was ist das? Was geht hier vor?

Polizist: Keine Experimente, solange das Diebesgut nicht sichergestellt ist!

Großmutter kommt eilig zurück mit Jacke und Turnschuhen.

Großmutter: Hier! Alles da! Ein bisschen schmutzig zwar, aber wenn man das reinigt, dann nimmt es das Warenhaus zurück, (fragt den Polizisten) Oder was meinen Sie? (Wendet sich an die anderen) Oder wir richten es selbst wieder her und verkaufen es, oder … guckt Miriam und Schlot an … Na, das sag ich jetzt nicht. Jetzt, so kurz nach dem Verbrechen ..

Miriam und Schlot stehen wieder getrennt.

Schlot: leise zu Miriam  Vor allen Leuten! Vor der Polizei!

Miriam: genauso zurück Hätt ich es hinauszögern sollen? Ich zahle Cash! Immer! Bei jeder Gelegenheit!

Mutter: von hinten Nananana!

Kurze Pause.

Mutter: Deine Großmutter verzeiht dir. Hast du das gehört? Da hast du mehr Glück als Verstand, das kann ich dir aber sagen! – Entschuldige dich bei ihr!

Miriam geht zur Großmutter und stellt sich vor sie hin.  Sie weiß nicht, was sie sagen soll.

Mutter: Na los, entschuldige dich! Bei Geld hört der Spaß nämlich auf! Da kann ich ein Lied von singen, nicht wahr!

Miriam: Entschuldige, Oma!

Sie fällt ihr um den Hals.

Das gesamte Ensemble auf der Bühne.

Eh die Jacke ist cool

Wo krieg ich die her

Das ist sehr schwer

Sie kostet Geld

Und wir haben keine

Drei beschissenen Scheine.

Haben kein Geld   

So ist die Welt

Und wem’s nicht gefällt

Soll trotzdem lachen.

Ja, so wollen wir’s machen

Drüber lachen.

Denn ich hab ja dich

Und du, du hast mich.


[1] Einkaufsstraße in Cottbus

[2] William Blake