Der Druckerstreik in England 1987
AUTOTOUR
Horizont. Ein Trabant. Biebl. Nackte Frau. Langes Schweigen: Paar, den Horizont betrachtend
BIEBL: Wie das hier riecht! Dort, da verbrennen sie Kartoffelkraut! Da, die Vogelbeeren! Dieses Rot! Da, der Himmel eine Madonna! Die karminroten Dächer des Dorfes unten im Bogen der Straße!
DIE NACKTE FRAU: Du schwärmst.
BIEBL: (lauter) Glocke Himmel! Glasige Helle des April! Zarteste Haut! Da, ehe sie schließt an den Rändern übergeht sie ins Bräunliche! Dort, hinter dem fahlen Acker: Tiefstes Violett! (Brüllt) Ich bin darin gefangen! (Brüllt) Himmel, du Loch!
Am Himmel zieht ein Flugzeug.
DIE NACKTE FRAU: Schwarzes Haar. Regelmäßiges, bleiches, sanftes Gesicht. Siehst du nicht aus wie Jesus? Der sein Kreuz trägt ohne Murren?
Schweigen. Am Himmel das Flugzeug.
DIE NACKTE FRAU: Komm ins Auto.
DRUCKERSTREIK
Leere Arena. Horizont.
STIMME: Als Biebl von der Frühschicht kam, hatte er das Gefühl, er erwache aus einem Traum. Er stieg aus der S-Bahn und blieb verwundert stehen. Der Ort schien ihm fremder als sonst: die brüchigen Fassaden, Gräser, die aus den Steinen wuchsen. Der Himmel darüber wie Milch. Durch den schmalen Ausgang des Bahnhofs drängten die Fahrgäste, als liefen sie vor ihm weg. Die Vorstellung erheiterte ihn. Er fühlte sich nicht dazugehörig; ging den Weg, den er gewohnt war. Als er die Neubausiedlung erblickte, zweifelte er, daß er dort wohnte.
Ein Mann mit Mikrofon, lautlos. Kathrin, starr. Biebl, starr. Untertitel.
UNTERTITEL: .. gegen die Auswirkungen des lange angekündigten Rationalisierungsschubes. Am Abend kam es zur bisher größten Demonstration gegen die Pläne der Unternehmensleitung, über 5000 Arbeitsplätze abzubauen. Zwanzigtausend marschierten in Wapping zum Verlagshochhaus des Murdoch-Konzerns, des größten Aktionärs der British printing-Office Incorpotation.
Biebl will gehen
KATHRIN: So wenig Kontakt wie möglich.
BIEBL: Am besten wir trennen uns.
KATHRIN: Ist dir nicht gut?
Pause. Der Mann mit dem Mikrofon, Untertitel.
UNTERTITEL: Einige Redner wendeten sich direkt gegen die britische Regierung, die durch ihre Gewerkschaftspolitik den sozialen Abstieg für über 5000 Beschäftigte der Druckindustrie faktisch vorprogrammiert habe. In der Nacht kam es zu Übergriffen des radikalen Teiles der Demonstranten. Die Polizei ging mit Tränengas und Wasserwerfern vor. Es kam zu Straßenschlachten, die bis gegen Morgen andauerten. Ein Sprecher der Unternehmensleitung bezeichnete die angekündigten Rationalisierungsmaßnahmen als unumgänglich.
BIEBL: Vielleicht hast du recht.
KATHRIN: Wie soll es weitergehen?
BIEBL: Ich will alleine sein.
KATHRIN: Hör doch auf.
Kathrin ab. Der Mann mit Mikrofon, lautlos.
LEHRERZIMMER – TAGWERK
Leere Arena. Horizont.
STIMME: Er war für die Verteilung der Arbeit verantwortlich. Aber es gab nichts zu tun. Er setzte sich an den Tisch und starrte stumm und müde vor sich hin. Wenn der Rechner funktionierte, konnte es passieren, daß sie acht Stunden lang herumsaßen. Er ging in den Rechnerraum und warf einen Blick ins Übergabebuch. Alles war in Ordnung. Er blieb vor der Zentraleinheit stehen. Die Kontrollanzeigen flackerten so schnell, daß ihm schwindlig wurde. Alle Geräusche nahm er überdeutlich wahr, das Klappern der Ausgabeeinheit, das Rotieren der Wechselplattenspeicher, das Rattern der Drucker, das Knistern der Magnetbandgeräte, das Pfeifen der Lüfter. Schwer stand der Rechner vor ihm, eine Ansammlung kalter Geräte. Für Momente kam es ihm vor, als bewegten sie sich in einem wellenartigen Fließen auf ihn zu, von ihm weg. Um sich abzulenken, sah er den Bedienern zu. Sie führten Kommandos aus, die ihnen der Rechner über den Bildschirm befahl. War eine Anweisung ausgeführt, leuchtete am unteren Bildschirmrand die nächste auf. Endlos flimmernde Kommandoketten …
Pause. Leere Arena, dann Biebl.
BIEBL: Wo geht das hin? Was für ein Ziel?
STILLSITZEN (Bildungsweg-Szene) – HOME SWEET HOME 1
Arena. Kathrin. Biebl putzt einen Stuhl.
KATHRIN: Hör nu auf!
Biebl putzt den Stuhl.
KATHRIN: Das reicht.
BIEBL: Krankhaft das, ich weiß. Tick nach Art der Hausfrauen.
Putz.
KATHRIN: Wenn ich den Tick hab, haust du ab.
Biebl putzt weiter. Richtet sich dann auf. Schaut um sich.
BIEBL: Wie alles blitzt. Als stünde die Zeit still. Als wär alles aufgeräumt für ein nächstes Mal.
Putzt.
KATHRIN: Man müßte weggehn.
Biebl richtet sich auf.
BIEBL: In uns ist was dagegen. Wir bleiben und absolvieren, was uns komisch ist, ohne Murren.
Putzt. Richtet sich wieder auf. Schaut lange um sich.
BIEBL: Alles blitzt. Alles aufgeräumt für ein andermal.
Steht starr. Zirpen einer Wasserleitung.
HOME SWEET HOME 2
Podest vorm Horizont. Kathrin. Biebl.
BIEBL: Das wird alles gut.
KATHRIN: bei andern geht’s auch
BIEBL: Warum nicht bei uns.
KATHRIN: Wir müssen Geduld haben.
BIEBL: Wir müssen Geduld haben.
KATHRIN: Plötzlich ist es da.
BIEBL: Wir wollen tun derweil, was wir tun müssen.
KATHRIN: Und plötzlich ist es da.
BIEBL: Plötzlich .. was keiner denkt.
KATHRIN: Maik? Das wird?
Biebl beugt sich über den Horizont.
BIEBL: Wie schön wir wohnen! Die Natur! Man möchte hinausspringen!
KATHRIN: Komm doch zu mir.
BIEBL: Ja.
Er bleibt. Dass Ticken einer Uhr.
HOME SWEET HOME 3
Das Podest. Der Horizont erloschen. Kathrin. Biebl.
BIEBL: Ich geh.
KATHRIN: Geh
BIEBL: Ich schlag dich.
KATHRIN: Schlag.
Schlägt sie.
BIEBL: Ich tret dich.
KATHRIN: Tret.
Tritt sie.
BIEBL: Ich ruf die Polizei.
KATHRIN: Ruf sie.
Geräusch des Wählens. Undeutliche Worte am Telefon. Lange Pause. Ein Polizist tritt auf.
BIEBL: Ich tret sie, ich schlag sie, ich will hier raus.
Demonstriert, wie er sie tritt und schlägt.
POLIZIST: Erstatten sie Anzeige?
KATHRIN: Nein.
POLIZIST: Ich habe nichts gesehen.
BIEBL: Ich will dir die Augen öffnen.
Schlägt den Polizisten. Pfeifen, ein Mann in Zivil. Karate. Biebl rutscht zusammen.
KATHRIN: Ich will dir die Augen öffnen.
Schlägt immerfort in die Luft.
…………… (Bildungsweg-Szene) – SCHULINTRIGE
Am Firmament der Held einer TV-Serie. G.D.
BALANCE
Horizont. Biebl, tanzt auf dem Seil.
BIEBL: Ich sitze am Tisch. Es ist zehn Uhr einundzwanzig. Ich sehe den Bedienern zu. Sie führen die Kommandos aus, die der Rechner befiehlt. Es ist zehn Uhr zweiundzwanzig. Die Manschetten meines Oberhemdes umschließen weich meine Handgelenke. Es ist angenehm warm. Es ist zehn Uhr dreiundzwanzig. Ich schlage die Zeitung auf, tanze, frohlocke. Frohlocke durch die Nacht dieser Stadt. London, naßglänzende Straßen. Die Reihn marschiern. Licht, die Reihn marschiern. Gebrüll, die See irgendwo. Die Reihn, zu zwanzig, marschiern. Marschiern, marschiern. Die Reihn marschiern. Zehn Uhr ….
Ein Wasserwerfer. Biebl kreischt, gurgelt, schluckt.
STIMME: Welch leben!
Wasserwerfer ab.
FILM
ZWEITE STIMME. Wapping, ehemaliger Hafendistrikt im Osten Londons. Verschwunden aus dem Bild Kais und Lagerhallen, im Hafenbecken Apartments. Murdochs neues Verlagshaus – ein Prachtbau – hinter Stacheldraht. Konzentrationslager schreiben die Redakteure. Arbeit – Hohn der Barden Murdochs – macht frei.
STIMME: Dahinein, befehle ich, Sturm. Ich will sein, der ich war. Ich, will ich sagen, bin Drucker.
ZWEITE STIMME. Indes Murdoch – Fernsehsender, Filmstudios, Nachrichtensatelliten – druckt: Arbeit macht frei.
Biebl, tanzt auf dem Seil.
ZWEITE STIMME. Die Zeitung von morgen, Biebl, druckt sich alleine
KOLLEGEN — STURZ
Über das Firmament ein Kruzifix. Biebl, tanzt auf dem Seil.
DAS KRUZIFIX.
STIMME: Murdoch, die Maschine, ich stürm sie. Ich will sein, der ich war. Die Zeitung von morgen: die Maschine morgen, die die Zeitungen druckt – baun sich alleine. Ich bin, der sich vernichtet. Die Zeitung von morgen: die Maschine morgen, die die Zeitungen druckt – baut sich alleine. Mein Gott, mein Gott, es geht nach meinem Willen alles, ich weiß nicht wie.
Das Firmament erlischt. Biebl, Tanz auf dem Seil. Sturz. Erwacht nackt. Kathrin nackt. Starrn sich an.
KATHRIN / BIEBL: Das ist aber komisch. / Wen siehst du? / Wer bist du? / Das kommt mir aber komisch vor.
Pause.
KATHRIN / BIEBL: Ich Frau. Ich Mann. Ich Menschheit. Von heute an sag ich, du bist dir genug. Von jetzt an sag ich, du kümmerst dich um dich. / Winzigere Lichtpunkt im Kosmos, Schmuckstück der Schmuckstücke du. / Das ist mir aber komisch. Nie mehr aufstehn, wenn ich nicht will. Nie mehr mich verkaufen. Nie mehr Angst haben vor mir.
Lange Pause. Schlagen die Augen nieder.
KATHRIN / BIEBL: Ds kommt zu schnell. Das macht mir Angst. Das halt ich nicht aus.
HOME SWEET HOME 4
Zwei Sessel. Lustige Person. – Die Lustige Person als Königin markiert fünf Punkte. Geht von Punkt zu Punkt. Deutsche Untertitel.
LUSTIGE PERSON: Point one. Sarah Jane. Point two. Cliff, her fiancé. Point three. Peter Hampdon. Point four: Mary ferguson. The meanpoint: G.D. Hampdon. Going to point one: Sarah Jane. I’am Sarah Jane. Daughter of Atlantic Publish-ers and Printing-Office Incorporation. Southern Print and Pubkishers, that’s him, Cliff Mcneal, ma fiancé. What a silly connection. What a merching. I love him so. Going tjo the meanpoint: G.D. Hampdon G.D. Hampdon I, speaking to Sarah Jane, my daughter: I’am your fathere, your tender daddy. I will never give a consent to marry this guy McNeal. That’s me, G.D. Hampdon! Going for Queen’s place. Look at me, Anja, Brigitte, Kathrin, Helga! I’am the Queen. I’am wispering: O G.D.! How can you say so! What a marvelle-ous double-wedding we would lose, if you don’t change your decision! Goint to point three: Peter Hamp-don alling: Mary Ferguson, darling! Going to poinmt four: Mary Ferguson recalling: O Peter sweetheart! Going to Queen’s Place: O G.D.! A double-wedding! It wouls be so nice! So lovely! So marvelleous! Just I here always the organ at Hampdon-Park Chape! ! Wouldn’t it be nice, wouldn’t it? Are you listening else, G.D.? O whats that? G.D. is opening the cages! And all the birds, all the animals .. O G.D.! Sarah Jane’s wild animals! What he is doing now! He’s going himself! O G.D.! You shouldn’t have gone so worry ! …
Lustige Person fixiert die letzte Geste. Lachen aus den Sesseln. Stille. Das Ticken einer Uhr. Nach langer Zeit beginnt es von vorn.
LUSTIGE PERSON: Point one. Sarah Jane. Point two. Cliff, her fiancé. … usf. (Wiederholung)
(DEUTSCHE UNTERTITEL: Punkt eins. Sarah Jane. Punkt zwei: Cliff, ihr Verlobter. Punkt drei: Peter Hampdon. Punkt vier. Mary Ferguson. Der Hauptpunkt: G.D. Hampdon. Ich gehe zu Punkt eins: Sarah Jane. Ich bin Sarah Jane. Eine Tochter des Atlantischen Verleger- und Druckereizusammenschlußes. Süd-Druck und –Verleger – das ist er: Cliff, mein Verlobter. Was für eine verrückte Liebe. Was für ein Firmenzusammenschluß. Ich hab ihn unaussprechlich gern. Ich gehe zum Hauptpunkt: G.D. Hampdon. G.D. Hampdon, das bin ich. Ich teile, Sarah Jane, meiner Tochter, mit: Vater bin ich dir und zärtlicher Daddy. Ich werde niemals meine Einwilligung geben, daß du diesen Burschen McNeal heiratest. Das sage ich, G.D. Hampdon! Ich gehe auf den Platz der Königin. Schaut auf mich, Anja, Brigitte, Kathrin, Helga! Ich bin die Königin! Ich hauche jetzt: O G.D.! Wie kannst du nur so reden! Was für eine wunderbare Doppelhochzeit würde uns entgehen, falls du deine Entscheidung nicht abänderst! Ich gehe zu Punkt drei: Peter Hampdon ruft: Mary Ferguson, Liebling! Ich gehe zu Punkt vier: Mary Ferguson ruft zurück: O Peter, Schatz! Ich gehe auf den Platz der Königin: O G.D.! Eine Doppelhochzeit! Es würde ja so hübsch sein! So lieblich! So wunderbar! Jeden Tag höre ich schon die Orgel in der Kapelle im Hampdon-Park! Würde es nicht allerliebst sein, würde es nicht! Hörst du noch, G.D.? Oje, was ist das? G.D. öffnet die Käfige! Und all die Vögel, all die Tiere .. = G.D.! Sarah Jane’s wilde Tiere! Was macht er denn jetzt? Er geht! O G.D.! So voller Sorgen hättest du nicht weggehen dürfen! ..)
HOME SWEET HOME 5
Pantomime: Die Lustige Person als Königin
UNTERTITEL: Queen Elizabeth auf dem Weg nach Westminster-Abbey, wo die Trauung vollzogen wird. Es heißt, in der Abbey-Lane sei es zu einem Zwischenfall gekommen. Dort haben die begeisterten Londoner die Absperrung durchbrochen. – Sie geht jetzt auf die Braut, Lady Sœur, und auf Prinz Edward zu … usf.
Kathrin und Biebl kommen. Biebl rennt gegen die Wände. Springt gegen die Decke. Versucht das Publikum zu sehen. Kathrin girrt. Biebl nimmt sie wahr.
KATHRIN: Putputput-put.
Kathrin gurrt. Biebl frißt knurrend ihr aus der Hand. Kathrin legt sich. Girrt. Biebl auf allen Vieren, windelt wie ein Hund. Leckt sie. Währenddessen Pantomime.
UNTERTITEL: Sie nimmt jetzt Platz in der Kathedrale. Links neben ihrem Gatten Sir Geoffrey, von dem kürzlich die Illustrierte ‚’Lusty and Gaudy’ schrieb, daß … usf.
HOME SWEET HOME 6
Arena. Die Lustige Person, von vorn als Pin-up-girl, von hinten als Stuntman. Als Pin-up-girl an einen im Publikum:
LUSTIGE PERSON: Hallo Daddy! (dreht sich) Schick die Frau, ich bin ihr Freund! (dreht sich) I / will / you / … / …/ … / (lacht maliziös) killen.
Kathrin und Biebl. Die Lustige Person als Pin-up-girl gerät über Biebl in Entzücken. Biebl bemerkt es. Nimmt die Rolle an, stolziert. Kathrin schwankt, fummelt an Biebls Kleidung, fährt ihm mit einem Taschentuch über Gesicht und Schuhe. Biebl versucht Blicke zu werfen. Stößt Kathrin beiseite, nimmt sie wahr, trampelt herum auf ihr. Erschöpfung. Kathrin steht auf.
KATHRIN: (zum Publikum) Hätt ihr ni zugeguckt / Nischt wär gewesen / Voyeure ihr!
Biebl stiert ins Publikum. Die Lustige Person als Pin-up-girl mit unanständigen Bewegungen. Stöhnt. Biebl stiert ins Publikum.
BIEBL. Ich schlug die Lust die / Schrie ich riß mich / Auf der Muskel / Innen / Zuckte / Hierhin (starrt auf Kathrin) / Dorthin (starrrt ins Publikum) / / Hierhin (starrt auf Kathrin) / Dorthin (starrrt ins Publikum) / / Hierhin (starrt auf Kathrin) / Dort (starrrt ins Publikum) / Hier (starrt auf Kathrin) / Dort (starrrt ins Publikum) / Hier (starrt auf Kathrin) / usf.
Die Lustige Person, Pin-up-girl, schreit. Pause.
KATHRIN: (zum Publikum) Hätt ihr ni zugeguckt / Nischt / wär gewesen / Alles wär / Geblieben, ich / Wär die / Alte die queen, jawohl. / Heeme / Aber jetzt (heult auf) / Ihr habts gesehn! / Da bin ichs! / Die Geschlagene
Heult. Die Lustige Person, Stuntman, grunzt. Unanständige Bewegungen. Kathrin hört hin, girrt.
HOME SWEET HOME 7
Alle drei Lustige Person. Partnerkrausell. Geschlechtertausch. Überdimensionale Brüste, Geschlechtsorgane. Jagen, beschlafen sich wie Karnickel. –
……………………….. (Bildungsweg-Szene)
TANZ — SCHULHOF
Arena. Biebl und Kathrin im Sportdress mit aufgeschlagenem Knie. Der Quizmaster. Geräusch laufender Schüler. Der Quizmaster dreht sich mit dem Geräusch, schaut auf die Uhr. Auf seine Anfeuerungen Reaktionen unter den laufenden: Lachen, Beifall, Hochrufe.
DER QUIZMASTER: Gleichmäßig laufen, tief durchatmen! Nicht schlapp machen! Wir wollen ins Ziel! Alle! Wir haben ein Ziel! Ja, der tote Punkt. Da kommt man drüber weg. Das überwindet man. Nur wollen muss man! Wollen! Schneller die Letzten! Die Norm! Ihr bringt die Norm nicht! Durchhalten! Wer aussteigt jetzt, ist raus, unwiderruflich! Überwinden! Der Mensch muß sich überwinden! Den Sieg davon tragen über sich! – Erster ist er / Dann vor sich und / Akzeptiert / So den Sieger / Im Rennen / Den Ersichtlichen der / Uns ein Beispiel wird / Neidlos. – Eine Runde noch. Durchlaufen und umziehen gleich zum Geschichtsunterricht. Endspurt!
Abklingender Beifall. Das Geräusch lustlos laufender Schüler. Pausengeräusche. Der Quizmaster wendet sich an Kathrin und Biebl.
DER QUIZMASTER: Was machen wir mit euch? Schlimm?
Kathrin und Biebl schütteln der Kopf.
DER QUIZMASTER: Brav, brav!
GLATZEN
Arena. Das Geräusch laufender Schüler. Biebl und Kathrin mit aufgeschlagenen Knien in Anzug bzw. Hochzeitskleid auf einem Podest. Eindruck von Beton. Der Quizmaster an einem Seil schaukelnd über ihnen.
DER QUIZMASTER (schelmisch) Verehrtes Publikum! Sehn Sie den nach allen Seiten hin ausgebildeten Menschen! Ein Götze! Ein Krüppel mit aufgeschlagenen Knien! Gezwungen die Stirn um seinen Götzen zu schlagen an den Beton! (macht auf das Geräusch auf-merksam) Hören Sie, da laufen sie fort und fort!
Es kommen Schüler und eine Schülerin mit aufgeschlagenem Knie und in Feiertagskleidung. Stelln sich auf, Blick zum Quizmaster. Weitere Schüler und Schüle-rinnen im Habit der Vorigen. Stelln sich paarweise, Blick auf den Quizmaster, der wilder schaukelt.
DER QUIZMASTER Schein alles, Spiel: Zur Prüfung der Kandidaten.
Immer mehr Schüler mit blutigen Knieen, Stirnen. Paarweise zu den anderen. Das Laufgeräusch dünner, verebbt. Die Schüler bewegen sich auf den Quizmaster zu, reißen Perücken herunter – die Arena voll Glatzen.
DER QUIZMASTER (schreit) Geht ihr zurück ihr! (kommt herunter mit dem Seil, schlägt auf sie ein) Tagediebe ihr! Bestien! Wahnsinnige! Geißel der Menschheit ihr!
Glatzen murrend auseinander. Das Laufgeräusch. Tusch. Der Quizmaster präsentiert sich. Grienen von Kathrin und Biebl. Ein Mädchen mit Halstuch und Blumenstrauß.
DAS MÄDCHEN: Ich gratulier zur Verlobung, Fräulein Kathrin. Wenn ich groß bin, will ich auch einmal heiraten.
Das Mädchen ab mit Knicks. Kathrin mit Blumenstrauß. Grinsen Biebls.
DER QUIZMASTER (reißt Kathrins Arm hoch) Der Kandidat hat zehn Punkte.
DRUCKERSTREIK
Leere Arena. Horizont.
STIMME: Im Korridor der Verwaltungsetage war es still. Kein Laut drang durch die gepolsterten Türen. Von den hundert Mitarbeitern der Abteilung waren zwanzig in der Rechnerzone beschäftigt. Biebl ging zur S-Bahn und fuhr nach Hause. Er war müde, wußte nichts mit sich anzufangen, betrachtete die Fahrgäste, die stumm dasaßen. All die Jahre fuhr er diese Strecke. Er stieg aus und ging nach Hause. Er legte sich schlafen. Als er aufwachte knackten die Fernheizungsrohre. Draußen war es dunkel. An der gegenüberliegenden Häuserfront gingen die Lichter an, Gardinen wurden zugezogen. In der Wohnung verbreitete sich eine trockene Wärme.
Ein Mann mit Mikrofon, lautlos. Kathrin, starr. Biebl, starr. Untertitel.
UNTER-TITEL: In London beendeten die Drucker nach über vier Monaten ihren Aufstand, der faktisch ohne Ergebnis blieb. Nach zweitägiger kontroverser Diskussion faßte die Gewerkschaftsleitung am Abend einen entsprechenden Entschluß. Damit verlieren über 5000 Beschäftigte der Druckindustrie ihre Arbeitsplätze. Von Seiten der Unternehmer hieß es dazu, es wären für die britische Druckindustrie alle Voraussetzungen geschaffen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Zur sozialen Reintegration der betroffenen Drucker will die Regierung am Dienstag im Unterhaus ein Sofortprogramm vorlegen.
Biebl will gehen.
KATHRIN: So wenig Kontakt wie möglich.
BIEBL: Am besten wir trennen uns.
KATHRIN: Ist dir nicht gut.
BIEBL: Vielleicht hast du recht.
KATHRIN: Wie soll es weitergehen?
Kathrin ab. Der Mann mit Mikrofon, lautlos.
PRODUKTIONSSAAL
Erloschener Horizont. Schacht, aus dem Zeitungen fallen. Ein Ballett von Damen und Herren. Produktionsmusik, so daß man laut sprechen muß. Der Quizmaster. Kathrin. Biebl.
DER QUIZMASTER: Der Produktionssaal.
KATHRIN: Kein Mensch?
DER QUIZMASTER: (stolz) Kein Mensch. (winkt Biebl heran) Bis auf den. – Das sah anderes aus, als du hier angefangen hast, Maik, wie!
BIEBL: Kann man wohl sagen.
KATHRIN: Und wo soll ich hin?
DER QUIZMASTER: Nun, Süße, du siehst es.
KATHRIN: Maik, kennst du mich?
BIEBL: Kenn ich dich.
DER QUIZMASTER: Die Neue.
KATHRIN: Tag, Kollege.
BIEBL: Ist ganz nett hier.
DIE DAMEN DES BALLETTS: Wir säen / Brüste / Blaue Schenkel / Rote Münder / Kitzeln Hans die / Kreuz die Quere / Durch die Tage / Don’t a worry / Be a / Happy
Kathrin wird in das Ballett eingereiht.
DIE HERREN DES BALLETTS: Silberglatzen / Hängen / Mengen / Auf und mischen / Begraben wischen / Tut Hänschen die Augen auf / Hats Marmor drauf. // Husche / Wie Seife unter der Dusche / Rutscht die / Faust
Der Quizmaster, ein alter Mann, steppt.
STIMME: Vorm Haus morgens die Sterne hörte er fragen: Wohin gehst du, Maik Biebl? Und er antwortete: Ein Tagwerk tun, liebe Sterne. Zurückkehrend unter der Nachmittagssonne, eine Wunde sein Leib von nichts, und die Kinder auf der Straße fragen: Wo, Maik Biebl, kommst du her? Und er: Tag für Tag und für die Ewigkeit aus diesem …
DIE DAMEN DES BALLETTS: Sweet sweet sweet
DIE HERREN DES BALLETTS: Husche Husche
DIE DAMEN DES BALLETTS: Sweet sweet sweet
STIMME: …. : Ich will nicht wissen wie
Stille. Das ballett. Der Quizmaster, ein Greis, tappt ins Grab. Biebl grient. Schacht, aus dem Zeitungen fallen.
DUELL
Horizont. Biebl, Pantomime des Schießens. Kathrin.
BIEBL: Hernehmen wird ich sie, einmal nach dem andern, die Scheinwelt, und Kathrin und Kathrin und Kathrin .. und aufreihen sie in günstiger Entfernung .. ich hab nur sie, die einzige Frau .. the only begetter .. Anlegen und Zielen, Abdrücken .. die Frau die Welt .. Anlegen .. He, kleine Welt, he … Ich bin in ihr gefangen, Schein ein Käfig, Sein ein wildes Tier .. Kathrin, Süße, Wärter, der mir den Fraß bringt … Anlegen und … Who will open the cage as I? …. Warum warum nur Kathrin, vergehen wir aneinander (lacht) … Anlegen …. Hindurchblasen Auge für Auge, Leeren Höhle für Höhle … Was blinkt dein Auge so stumpf, Kathrin … (lacht) … Anlegen, Zielen … Ein Loch, Kathrin, im Horizont …
KATHRIN. Was machst du denn da?
BIEBL: (verlegen) Ein Spiel …
Pause.
KATHRIN: Ich will, daß es ernst ist zwischen uns.
BIEBL: Es ist ernst. KATHRIN: Seit wann?
BIEBL: Von Anfang.
Pause. Pantomime des Aufeinanderschießens.
KATHRIN / BIEBL: Unser Grab vorm Himmel. Ein Loch, Kathrin, im Sarg.
Stille. Pantomime des Schießens.
ALLES TOT – BESCHREIBUNG EINES ZIMMERS – MARIENBILD – VORPROGRAMM
Leere Arena. Ein Stummfilm zeigt das Ehepaar Biebl beim Wochenendeinkauf, mit den Kindern auf dem Spielplatz, dem Rummel, im Stadtbad etc. Freundlichkeit des Kinovorprogramms. Die Stadt ist die Stadt, in der die Darsteller engagiert sind.
IM KÄFIG
Es ist dunkel. Kathrin. Biebl.
BIEBL: Du warst stadtbekannt. Wasserhell deine Augen, wie der Himmel im April. Dabei hattest du eine merkwürdig hohe Stimme. Das alles hat mich fasziniert.
KATHRIN: So, daß du die Komposition, die Kathrin hieß, besitzen mußtest.
BIEBL: Ach, besitzen … – der Anfang ist geblieben.
KATHRIN: Erzähl von mir. Vom Anfang ….
BIEBL: Es war im Stadtbad, Anfang Juli, die Schule schon vorbei. Drüben im Tiefen sprangen drei Kerle ins Wasser, dann hörte ich deine Stimme. Mit ein paar Schlägen war ich an der Eisenstange die das Seichte vom Tiefen trennte. Die Kerle waren um dich und griffen dir unter dem Wasser wohin. Wenn du auftauchtest, schimpftest du. Ich fragte mich, ob im Ernst …. Du hast dich gewehrt auf deine Art. Die war so, daß die drei aus dem Häuschen gerieten. Ich schwamm da an der Eisenstange und begriff das gut.
Es ist dunkel. Sie rauchen.
KATHRIN: Wo bin ich?
BIEBL: Du sitzt auf dem Tisch in der Kantine im Stadtbad und baumelst mit den Beinen. Das Bad ist geschlossen. Du lehnst dich jetzt zurück, legst den Kopf gegen das Wandregal.
KATHRIN: Kannst du mein Gesicht erkennen?
BIEBL: Ja.
KATHRIN: Und?
BIEBL: Ich weiß nicht – es erscheint nackt. Weich und nackt.
KATHRIN: Und die Augen?
BIEBL: Ja, die Augen!
KATHRIN: Farblos? Grundlos?
BIEBL: Ja.
KATHRIN: Hörst du die Schritte?
BIEBL: Das bin ich. Ich bin nicht mehr weit vom Tisch.
KATHRIN: Und ich? Was mache ich?
BIEBL: Du sitzt jetzt aufrecht. Spitzt die Lippen.
KATHRIN: Du rufst meinen Namen?
BIEBL: Ich rufe deinen Namen.
KATHRIN: Und ich?
BIEBL: Ich höre dich lachen.
KATHRIN: Und?
BIEBL: Ich sage noch einmal deinen Namen. Es klingt aber merkwürdig. So, als forderte ich dich auf, zu gehen.
KATHRIN: Warum?
BIEBL: Ich habe Angst vor dir. Vor dir, die mich nicht mehr überraschen kann. Aber es ist angenehm warm, und die Manschetten umschließen weich meine Handgelenke. Ich will, daß dieser Zustand bleibt. Nichts Unreines.
KATHRIN: Aber ich?
BIEBL: Du sagst meinen Vornamen.
KATHRIN: Maik.
BIEBL: Ja. – Ich stehe vor dir. Du kicherst.
KATHRIN: Los, mein Gesicht!
BIEBL: Die Lippen sind offen.
KATHRIN: Wir reden?
BIEBL: Ja, wir reden. Du kicherst und weichst aus. Ich folge dir, umfasse dich von hinten. Meine Hände pressen deine Oberarme. Ich beuge meinen Hals über deinen Nacken. Du reißt dich los. Du schnippst mit deiner hohen Stimme.
KATHRIN: Und?
BIEBL: Ich stehe jetzt vor dir. Mit der Rechten greife ich dir ins Haar und ziehe dich zu mir heran. Mein großes, fahles Gesicht schiebt sich über deins, ein dunkles Oval.
KATHRIN: Stopp.
Es ist dunkel. Sie rauchen.
KATHRIN: Vergewissern wir uns unserer Umstände. Sind wir eine Familie?
BIEBL: Wir haben zwei Kinder. Der Älteste ist zwölf. Wir wohnen in einer der neuen Vorstädte. Du bist Lehrerin. Du bist ungeheuer flink, auf Draht, wie man sagt, so daß du alles schaffst, den Beruf und den Haushalt. Du bist von einer Freundlichkeit, die mir manchmal unheimlich ist.
KATHRIN: Wieso?
BIEBL: Ich weiß, daß du Angst hast. Daß man dich schief anguckt. Daß man barsch zu dir ist. Daß würdest du nicht vertragen.
KATHRIN: Bist du barsch zu mir?
BIEBL: Im Gegenteil. Ich behandle dich wie ein rohes Ei. Du erziehst die Kinder, an denen ich hänge. Und auch ich brauche ein freundliches Gesicht, ein wenig Sonnenschein ins Haus.
Es ist dunkel. Sir rauchen.
KATHRIN: Was ist?
BIEBL: Wir machen weiter. .
KATHRIN: Gut.
BIEBL: Ich hebe dich auf und trage dich rüber. Alles geht ruhig, fast sachlich. Wir sind auf der Couch. Ich – und dies unterscheidet dieses Mal von den anderen – in unheimlicher Ruhe. Ich weiß, was ich tun werde, aber ich kann es unmöglich begreifen. – Du scheinst zu glauben, daß alles in Ordnung ist. .
KATHRIN: Du bist es, der nicht weiß, daß es jetzt ernst ist. Daß du es dir nicht nur einbildest, sondern daß es wirklich passiert. Daß das keine Fiktion ist, kein Wahnbild, unzähligemal und Tag für Tag abgelaufen vor deinem inneren Auge, sondern daß du es tun wirst. Jetzt gleich. Noch geht dein Gesicht auf und nieder über mir wie das eines Schwimmers auf einem reißenden Fluß, in dem zu bestehen, du nicht für möglich hältst.
BIEBL: Weil ich weiß, wer immer Sieger sein wird: Der Fluß. Der Fluß ist der Fluß. Ich weiß schon, wie ich mich fühlen werde, zurückgeworfen auf mein Ufer. .
KATHRIN: Vor dem Fluß, der ich bin, bist du nichts.
BIEBL: Du bist es jetzt. .
KATHRIN: Ja, jetzt.
BIEBL: Das ist der Grund, warum ich dich töte. Heute endlich dich töte. .
KATHRIN: Du erträgst nicht den Fluß.
BIEBL: Weil der mich fortreißt. Jetzt. .
KATHRIN: Du kennst dich nicht mehr. Du hast kein Bild mehr von dir.
BIEBL: Aber ich weiß, hinten irgendwo, wo es keine Worte hat: das ist es, was ich will. immer will. Dieses Losgerissensein. .
KATHRIN: Sonst ist es dir unbewußt. Jetzt, hinten irgendwo, wo keine Worte sind, weißt du’s.
BIEBL: Ich werd es vergessen, wie immer. .
KATHRIN: Du bringst mich um. Du hast es dir vorgenommen.
BIEBL: ja, ich bringe dich wirklich um. .
KATHRIN: Tu es. Du darfst nie zurücktreten, hörst du, nie!
BIEBL: Nie zurück auf mein Ufer. – Auch du bringst mich um. .
KATHRIN: Ja, ich werde es wirklich tun.
BIEBL: Und du wirst es wahrnehmen. Du wirst es ernst nehmen ab jetzt. Es wird dir zu Bewußtsein kommen.
KATHRIN: Dir wird es zur Tatsache werden.
BIEBL: Dieses Losgerissensein.
KATHRIN: Dieses im Tiefsten sein.
BIEBL: Dieses Ausgestoßensein.
KATHRIN: Diese Freiheit.
BIEBL: Diese grausame Freiheit.
KATHRIN: Du schreist auf wie ein Tier, drückst …
BIEBL: Ich will nun ein Ende machen. Keine Bewegung mehr.
Es ist dunkel. Sie rauchen.
KATHRIN: Was jetzt?
BIEBL: Was, jetzt. Nichts.
KATHRIN: Flucht?
BIEBL: Auf das Ufer, das uns nicht mehr trägt.
Lachen. Es ist dunkel. Sie rauchen.
KATHRIN: Und kein begreifen.
BIEBL: Ich weiß nicht.
KATHRIN: Flucht?
BIEBL: Jadoch.
KATHRIN: Um Himmels willen, was machen wir!
BIEBL: Wir stehn auf, was sonst. Unter der Lampe sitzen die Kinder. Wir setzen uns dazu. Das Abendbrot.
KATHRIN: Hat sich etwas verändert mit den Jahren?
BIEBL: Du weißt es wie ich.
KATHRIN: Das Fernsehen läuft?
BIEBL: Das Fernsehen läuft. Du bügelst deine Blusen, meine Hemden.
KATHRIN: Du schaust auf den Bildschirm?
BIEBL: Ja, aber dann dreh ich mich um. Ich sehe, wie schön das alles ist, wie unerreichbar.
KATHRIN: Wie du das sagst!
BIEBL: Wir sinken. Das Ufer unter uns bricht.
Pause.
KATHRIN: Du bleibst sitzen vor dem Apparat?
BIEBL: Ja, ich bleibe sitzen.
Sie rauchen. Es bleibt dunkel.
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Arbeitsblatt – Titel: der Druckerstreik in England 1987
Stoff: 1. In der ersten Jahreshälfte 1987 streikten in Großbritannien die Beschäftigten der Druckindustrie gegen ihre drohende Entlassung. Es vollzog sich (nicht nur dort) eine Umwälzung der polygrafischen Technik. – 2. Motive einer Erzählung von U. Bergander (BALANCE, Aufbau-Verlag 1988). – Die Fabel: Gregor Bieling (30) arbeitet in einem Rechenzentrum, wohnt mit Frau Anja (Lehrerin) und Kind in einer Neubauwohnung. In der Freizeit malt er. Arbeit und Familie deprimieren ihn. Er kündigt, zu Hause zieht er aus. Als Ersatz für etwas jenseits der sozialen Erfahrung Liegendes erweist sich die Malerei. Bieling befindet sich in der Balance zwischen dem Ufer, das er verlassen hat und jenem anderen, das er nicht erreicht.
Idee, thematisch. Dort die Industrie, die das lebendige Kapital ausspuckt; hier der Mensch, der revoltiert gegen seine Reduzierung auf ein Element des arbeitsteiligen Reproduktionsprozesses. – Die Industrie – so oder so – am Ende der Bahn, in der sie das Schicksal des Menschen bestimmt.
Idee, strukturell: Der Kampf zwischen Frau und Mann als Kampf um ein Terrain jenseits des Existierenden.
Fabel: Es gibt keine. Jede Szene ist Wiederholung einer anderen. Um überhaupt eine Struktur zu haben, halte ich mich an ’Woyzeck’. Der dortige Ablauf (es erscheint ein Nebenbuhler; der Protagonist tötet sein Liebstes.) ist hier permanenter, nicht wahrgenommener, unterdrückter Alltag. Sonst passiert nichts. Das was einige Tage hängen bleibt sind die Nachrichten vom Druckerstreik. Daher der Titel.
Text: So wie er hier vorliegt, ist er Entwurf. Er deutet Räume an.
Medialer Ort: Ich stelle mir einen Theaterraum vor, in dem der Zuschauer sitzt wie im Planetarium. Am Firmament erscheinen die Bewegungen seines Bewußtseins, die er zur Kenntnis nimmt wie den Lauf der Gestirne.
(Belegarbeit für Dramaturgie Staatstheater Cottbus 1989)