Transaktion, Transaktion

PROLOG

Eine Sparkasse irgendwo in Berlin. Im Kunden-Area die Sparkassenangestellte Cor­in­na Strauß. Sie führt ein Beratungsgespräch mit der Studentin Julie Bernard. Am Schalter wird Isabel, ein junges Mädchen, bedient von Johanna Svarowski. Vor dem Schild DISKRETION in einer Reihe: Paco Hausmann-Sanchez, Journalist; Petra Neumann, alleinerziehende Mutter von 4 Kindern; Sozialhilfeempfängerin; Wolfgang Nickel, Verwaltungsangestellter; ehemaliger Betriebsrat. Tamara Fuchs, eine junge Frau, betritt den Eingangsbereich. Sie wird angesprochen von einer Frau und einem Mann.  

FRAU: Hören Sie, Sie können hier nicht rein! 

FUCHS: Was?

MANN: Es ist geschlossen.

FUCHS: Heute ist Donnerstag? Donnerstag, der 27. März 2003, 9:40 Uhr?

MANN: Richtig, junge Frau.

FUCHS: Und was steht hier? Geöffnet donnerstags von 8 bis 18 Uhr?

MANN: Hören Sie, es ist zu ihrem eigenen Besten! 

FUCHS: Wer sind Sie? Was wollen Sie? 

FRAU: Das tut nichts zur Sache. – Das Spaceshuttle ist voll. 

FUCHS: Was? Was soll voll sein? Das Spaceshuttle? Wovon reden Sie?

MANN: Nichts für ungut. Nehmen sie es als Scherz.

Man sieht die Frau und den Mann schnell weggehen. Fuchs betritt die Sparkasse und stellt sich an hinter Nickel.

AKT 1 – SZENE 1 

Die Tür geht auf: Der Schüler Sebastian Fischer durchquert den Vorraum und betritt die Sparkassen. Er geht direkt zum Schalter, ohne Hausmann-Sanchez zu beachten, der jetzt an der Reihe wäre.

NEUMANN: hinter Hausmann-Sanchez Das gib’s nich!

Der Schüler, ohne eine Miene zu verziehen, dreht sich um.

NEUMANN: Unverschämtheit!

Der Schüler ist fertig, verlässt den Schalter und geht zu der Tür, die in den Vorraum hinausführt. Als sie nicht vor ihm aufgeht, macht er einige Bewegungen, wie um die Lichtschranke zu testen. Er schaut sieh um, ob ihn jemand beobachtet und geht zum Kontoauszugsdrucker, wo Isabel erst jetzt dazu kommt, ihre Karte einzuführen. – Am Schalter steckt Hausmann-Sanchez das Geld, das er in Empfang genommen hat, in die Hosentasche – auch vor ihm geht die Tür nicht auf. Er geht zurück in die Mitte des Raumes, offensichtlich um jemanden anzusprechen. Inzwischen ist Isabel ebenfalls an der Tür. Sie sieht sich hilfesuchend um – aber da kommt Neumann.

NEUMANN: Was ist denn das?! – Kommt da mal jemand … Die Tür .. zu Hausmann-Sanchez, der näher tritt Neumodisches Zeug! – Indem sie Hausmann-Sanchez auf seine Herkunft hin mustert – Hier hat schon meine Mutter ihr Geld hingeschafft.

HAUSMANN-SANCHEZ: Geld hereinschaffen scheint einfach – aber mit Geld wieder hinaus …

NEUMANN: Schnickschnack mit diesen Türen… – Was ist denn nun, kommt jemand? 

Die Sparkassenangestellte Svarowski kommt.

Svarowski: Was ist mit der Tür?! Sie rüttelt. Das gibt’s doch nicht!

NICKEL: Wartet, Kollegen, das klemmt nur. Ich kenn das. Bei uns am Hauptsitz haben wir auch so eine Tür. Er probiert an der Tür. Jetzt … Nur nicht den Mut ver­lieren. Schon viele Überraschungen haben wir erlebt – und noch jede gemeistert. Versuchen wir’s mal so .. 

Nickel, ein kleiner Mann um die sechzig, tippt mehrmals leicht an verschied­enen Stellen gegen die Tür – kein Ergebnis; er wendet sich an Svarowski. 

NICKEL: Wie wird denn die Tür normalerweise verschlossen?

Svarowski: Da gibt es eine Automatik … und die Lichtschranke.

NICKEL: Vielleicht ist die Lichtschranke kaputt? 

Svarowski:  Ich versuch es von der anderen Seite.

Svarowski will zu der Tür am Kunden-Area hinaus, aber auch die lässt sich nicht öffnen.

NICKEL.: Wie wird diese Tür verschlossen?

Svarowski: Sie wird ganz normal zugeschlossen.

Nebenan im Kunden-Area entschuldigt sich Strauß bei Bernard – und beteiligt sich am Gespräch.

STRAUSS: Nein, auch die Tür ist in das allgemeine Schließsystem integriert. Sie nimmt das Telefon und wählt… – Tot. – Die Leitung ist tot. – Wider besseres Wissen tippt Strauß noch einmal eine Nummer ein

Svarowski:  Wen willst du jetzt anrufen?

STRAUSS: Nichts … Tot … alles tot …

Strauß probiert jetzt noch einmal die beiden Türen. Es bewegt sich nichts. – Bernard ist ihr gefolgt.  

BERNARD: Eingesperrt? Sie rüttelt an beiden Türen. In zwei Stunden geht in Tegel mein Flugzeug! 

Bernard rüttelt, offensichtlich in Panik, weiter an den Türen.

FISCHER breitschultrig und mit unbewegtem Gesicht vom Kontoaus­zugs­drucker: Eh! Cool bleiben!

BERNARD: Cool bleiben? Das ist doch nicht normal! – Sie steht vor Fischer. – Glotz nicht so! Mach was, Junge! – Überrascht – sie nimmt ihn jetzt erst richtig wahr: Wie siehst du denn aus? 

NEUMANN: Wie ’n Bodybuilder!

BERNARD: zu Neumann Also, find ich irgendwie …. 

FISCHER. Na, junge Frau .. ?!

BERNARD: .. eckig.. irgendwie. eklig! 

Svarowski: Hey, hey, was soll das?!

NEUMANN: Langsam die Dame, langsam … jeder hat das Recht auszusehen wie ..

NICKEL: Kollegen …

Svarowski: Ein Handy! Wer hat ein Handy? 

BERNARD: Wen soll ich anrufen?

STRAUSS: 578686 … der Hausverwalter …

Bernard gibt das Handy an Strauß weiter; Strauß wählt. – Vergeblich – das Handy ist tot.

BERNARD: trommelt mit den Fäusten auf den Schalter Nein nein nein !!

NICKEL: Beruhigen Sie sich, Kollegin!

BERNARD: Kollegin! Ich bin nicht eine .. eine .. aus Ihrer Hauptverwaltung …

 Bernard und Fuchs laufen im Raum hin und her. – Nickel wendet sich an Strauß.

NICKEL: Kommt um diese Zeit für gewöhnlich jemand vorbei? Die Post? Ein Kurierdienst?

STRAUSS: Donnerstags … ? … Um zehn – kommen zwei Studentinnen. Die machen die oberen Räume sauber. 

NICKEL: Hören Sie das hier?

STRAUSS: Ja… – Oder. .? 

SVAROWSKI: Doch …. 

NICKEL: Dass sind fünf Minuten bis dahin .. – Dann schlage ich vor, Kollegen, wir bewahren die Ruhe für diese fünf Minuten. Vielleicht handelt es sich um einen gener­ellen Stromausfall.

NEUMANN: Wenn die Handys nicht gehen?

NICKEL: Die Studentinnen werden uns darüber aufklären.  Sicher ist in der Stadt schon etwas bekannt.

NEUMANN: Versteckte Kamera, wie .. ?

FUCHIS: Ein böser Scherz ..

Svarowski: Malen Sie den Teufel nicht an die Wand!  

Fuchs lächelt nicht mehr. Sie läuft hin und her zwischen Kunden-Area und ver­schlos­sener Tür.

FUCHS: Mein Gott, das ist ja … Die Jungs, sie warten auf mich ..

Fuchs läuft weiter herum – Bernard schließt sich ihr an.

NICKIEL: Bitte … ! Fuchs und Bernard bleiben stehen. – Sie machen uns alle ver­rückt mit Ihrem Herumgelaufe. Bleiben Sie doch ruhig. Gleich werden die Student­innen kommen.

Svarowski: zu Fuchs Warten Sie, ich hole Ihnen einen Stuhl. 

FUCHS: Einen Stuhl … ? Warum ausgerechnet mir einen Stuhl? 

Svarowski:  Ich bin froh, dass ich endlich was tun kann. Der Alltag in einer Spar­kasse ist …  Aber das sollte ich vielleicht nicht sagen.

Svarowski schaut besorgt nach oben,

FUCHS: Werden Sie überwacht? 

SVAROWSKI: Ich glaube nicht. doch…

BERNARD: Solche Verbrecher-! 

HAUSMANN-SANCHEZ: Sie nehmen an, da steckt jemand dahinter?

BERNARD: Dummheit … eine Panne … Wie überall: Pleiten, Pech und Pannen .. ABM-Kräfte, Schnatterweiber in den Stadtwerken, die irgendeinen Regler nicht freigeschaltet haben…

HAUSMANN-SANCHEZ: Sie denken an Personen. – So ist unser Denken. Wir personalisieren. Dabei versagt einfach das System. Egal, ob technisch oder sozial.

ISABEL: zeigt nach oben Das da funktioniert noch. 

HAUSMANN-SANCHEZ: Die Überwachungskameras!

Svarowski:  Die Überwachungskameras! Na klar, die sind immer an!

BERNARD: sieht auf die Uhr Die Studentinnen kommen auch nicht!

Ein Zischen.

Svarowski:  Mein Gott, was ist denn das? 

FUCHS: Wie riecht das ..?!

Svarowski: Es beißt … in den Augen … 

BERNARD: Das ist … hustet..

STRAUSS: ..mein Gott, das ist ja … Was für ein Geschmack-!

Allgemeines Husten. Über Lautsprecher eine Stimme wie auf einem Flughufen.

DIE FLUGHAFENSTIMME: Sehr geehrte Damen und Herren … !  Bitte setzen Sie sich .. Bitte setzen Sie sich auf den Boden… ! – Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Ventile geschlossen werden können..

SVAROWSKI: Was ..

DIE FLUGHAFENST’IMME: Bitte setzen Sie sich! 

NICKEL: Tun wir, was gesagt wird, Kollegen! 

Sie setzen sich.

DIE FLUGHAFENSTIMME: Sehr geehrte Damen und Herren .. ! Bitte bewahren Sie Ruhe. Und bitte leisten Sie den Anweisungen der Flugeinsatzleitung unbe­dingt Folge!

NEUMANN: Flugeinsatzleitung .. ..?! 

NICKEL: Verstehen Sie das? 

STRAUSS: Nein.

DIE FLUGHAFENSTIMME: Sehr geehrte Damen und Herren. Bitte bewahren Sie Ruhe und leisten Sie allen Anweisungen unbedingt Folge. Dies ist eine unvorher­gesehene Notfallsituation im Verlauf der Transaktionen S-Strich-Zwei-Acht und S-Strich-Vier-Zwölf. Bitte bleiben Sie auf dem Boden. – Sehr geehrte Damen und Herren. Wir bitten um Aufmerksamkeit für eine Warnung der Flugeinsatzleitung. Warnung der Flugeinsatzleitung. Bitte folgen Sie den Anweisungen der Flug­ein­satz­leitung unbedingt. Bei Zuwiderhandlungen sind wir verpflichtet, dir Ventile wieder zu öffnen, so dass es zu kollateralen Schäden kommen kann. – Sehr geehrte Damen und Herren. Wir begleiten Maßnahmen wie die eingeleiteten Transaktionen nicht gern. Bitte aber bedenken Sie: Der Mensch ist ein Menschen benutzendes und von Mensch­en benutztes Wesen. Dem können auch wir uns nicht entziehen. Bitte bleiben Sie auf ­Ihren Plätzen. Sie werden beobachtet.  Danke für ihre Aufmerksamkeit. 

BERNHARDT: Ich träume, oder? Das kann nicht sein

Black.

SZENE 2

Licht.

Svarowski: Was denn für Transaktionen? Was denn für Schäden? Was denn für kollaterale Schäden?

NEUMANN. Wie die geredet haben …!

FUCHS: „Flugeinsatzleitung .. “ .. ! 

BENHARD: Beenden wir den Irrsinn! Will aufstehen.

STRAUSS Sie haben doch gehört, dass wir sitzen bleiben sollen!  Wer aufsteht, bringt uns in Lebensgefahr!

BERNHARD: Und Sie glauben das? Sie glauben diesen Blödsinn? 

NEUMANN: Wie die geredet haben ..!- Krieg … ! Vielleicht ist es Krieg …?! Es wird ja von Krieg geredet … ! 

NICKEL: Nun machen Sie aber einen Punkt! Wir leben ja schließlich in einem  .. Fakt ist, Kollegen: Wir sind eingesperrt. Unser Leben wird bedroht .. !

BERNHARD genervt: Wieso reden Sie uns ständig mit „Kollegen“ an?

NICKEL: Entschuldigung, Nickel mein Name, Wolfgang Nickel, es ist … 

Der Lautsprecher schaltet sich ein.

DIE FLUGHAFENSTIMME: Sehr geehrte Damen und Herren. Wir bitten um Auf­merksamkeit für eine weitere Mitteilung der Flugeinsatzleitung. Mitteilung der Flug­einsatzleitung. Wir sind angewiesen, Ihnen mitzuteilen, dass die eingeleiteten

Trans­aktionen planmäßig verlaufen und in der vorgesehenen Zeit zum Abschluss gebracht werden können. Dennoch gilt es eine unangenehme Maßnahme zu treffen, für die Sie sich bitte bereithalten. – Sehr geehrte Damen und Herren. Wir bitten um Aufmerksamkeit für eine Suchmeldung. Suchmeldung der Flugeinsatzleitung. Gesucht wird Corinna Strauß, geb. Schubert, geboren am 5. April 1981 in Berlin-Marzahn. Die Gesuchte soll sich gegenüber der Flugeinsatzleitung durch Handzeichen zu erkennen geben.

Strauß verbirgt das Gesicht in den Händen.

NICKEL: Geben Sie sich nicht zu erkennen!

STRAUSS: In dieser Bank mache ich, was mir gesagt wird. Das habe ich so gelernt.

Sie hebt die Hand.

DIE FLUGHAFENSTIMME: Frau Corinna Strauß?

Strauß hebt noch einmal die Hand.

DIE FLUGHAFENSTIMME: Stehen sie auf.

NICKEL flüstert: Tun Sie’s nicht!

Strauß steht auf.

DIE FLUGHAFENSTIMME: Gehen Sie zum Schalter B. Sie tut es. Ziehen Sie das zweite Schubfach von unten auf. Sie tut es. Was sehen Sie?

STRAUß: Eine Pistole.

DIE FLUGHAFENSTIMME: Ich verstehe Sie nicht.

STRAUß lauter: Eine Pistole.

DIE FLUGHAFENSTIMME: Zeigen Sie, was Sie sehen.

Strauß hält eine Pistole hoch.

DIE FLUGHAFENSTIMME: Legen Sie die Pistole in die Mitte des Raumes mit etwas gleichem Abstand zu den Nächstsitzenden auf den Fußboden.

Strauß tut es.

DIE FLUGHAFENSTIMME: Setzen Sie sich.

Alle sitzen. Nach einer langen Weile.

NEUMANN: das ist doch .. Die verarschen uns doch …

BERNARD: Vielleicht ist es Fernsehen.

NEUMANN: Fernsehen.

BERNARD: Wir fürchten uns hier zu Tode, und die Pistole ist ungeladen.  – Pause, ironisch. – Die Kameras sind an!

SVAROWSKI: Sie meinen, da läuft jetzt ein Fernsehsender, und man amüsiert sich über uns?

HAUSMANN-SANCHEZ: Ich hör schon den Beifall für die junge Frau da, de es erraten hat …

BERNARD: Ich guck nach, ob sie geladen ist!

NICKEL: Sie setzen unser Leben aufs Spiel!

BERNARD: Ich will nicht so mit mir umspringen lassen!

NICKEL: Sind sie draußen – im normalen Leben – auch so .. kompromißlos?

Black.

SZENE 3

Licht.

NICKEL: Sie melden sich nicht. Sie setzen uns hier hin mit einer Pistole und melden sich nicht.

BERNARD: Das ist nicht zu fassen … Das ist absurd Da passiert einem mal etwas Gutes

NEUMANN: Was Gutes?

BERNARD: Geld … ich hab Geld bekommen von meinem Vater … Nach drei Jahren hat er Frieden gemacht mit mir … Und

nun – ich wollte nach Paris fliegen heute…

HAUSMANN-SANCHEZ: So ist es im Leben. Es passiert was, oder  es passiert nichts – und du beziehst alles auf dich. Dabei ist es nur Zufall. – Du denkst immer, du bist gemeint – aber auf  dich kommt es nicht an.

Svarowski: Sie reden, als ob Sie nicht mit eingesperrt wären.  Als ob Sie.. irgendwo anders wären.

HAUSMANN-SANHEZ: Wahrscheinlich ist das meine Art der Angst keine Chance zu geben.

Schweigen. – Nach einer Weile.

FUCHS: Ich halte das nicht mehr aus.

BERNARD: Ja, warum sagt keiner was. Damit wir auf andere  Gedanken kommen. ungeduldig: Warum sagt denn keiner

was?!

NEUMANN: Sie hätten das vorhin nicht sagen sollen … mit dem Fernsehen …

BERNARD: Mit dem Fernsehen … Das war doch nur …

NEUMANN: Na ja, kann aber sein. Und da hält man eben den Mund… Sucht etwas Gescheites, was man sagen kann… Man

will sich ja nicht lächerlich machen, nicht wahr …

BERNARD: Sie meinen … Sie denken, Sie sind tatsächlich im Fernsehen … ? Und sorgen sich wie Sie rüberkommen? – Aber das hab ich doch nur…

Der Lautsprecher schaltet sieh ein.

DIE FLUGHAFENSTIMME: Sehr geehrte Damen und Herren, wir bitten um Aufmerksamkeit für eine weitere Mitteilung der Flugeinsatzleitung. – Mitteilung der Flugeinsatzleitung: Um  den anstehenden Transaktionen den notwendigen Nachdruck zu verleihen, plant die Flugeinsatzleitung die mortale Überstellung eines Passagiers. Bis 10:50 Uhr hat ein potentieller Kandidat für die Überstellung von Ihnen ausgewählt und der Flugeinsatzleitung durch Handzeichen angezeigt zu werden. Der Akt der Überstellung ist im gegebenen Fall durch Sie, das heißt durch einen von Ihnen zu bestimmenden Vollzugsauser­wählten, vorzunehmen. –  Sehr geehrte Damen und Herren, die Flugeinsatzleitung  verpflichtet sich, den zur Verfügung stehenden Zeitraum zu  nutzen, um die Transaktion ohne Inanspruchnahme der mortalen Überstellung eines Passagiers zum Erfolg zu  führen. Im Übrigen weisen wir darauf hin, dass wir uns  genötigt sehen, die Ventile zu öffnen, sollten Sie sich Ihrer

Aufgabe entziehen wollen. Bitte bleiben Sie Plätzen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Stille.

Das Zischen. Husten. Ende des Zischens.

Black.

AKT 2 – SZENE 1

Im Filmlicht – der Film, der die Situation in der Sparkasse zeigt. Fuchs, Hausmann-Sanchez und Bernard blicken in Richtung Projektor.

BERNARD: Sie! Was denken Sie?! Was ist Ihnen gerade durch den Kopf gegangen? Sie haben so ein Gesicht gemacht!

Hausmann-Sanchez reagiert nicht.

BERNARD: Wir sitzen im gleichen Boot, nicht wahr?

HAUSMANN-SANCHEZ: Ich habe mich gefragt -: Was ist Wirklichkeit?

BERNARD: Und? Die Antwort?

HAUSMANN-SANCHEZ: Ich weiß nicht. Ich denke so vor mich hin, um mich abzulenken. Ich glaube, ich habe schon einmal erlebt, was wir jetzt erleben. In einem Film. – Es wäre gut, wenn wir in diesem Film säßen und nicht in einer Sparkasse.

BERNARD: Wenn sie im Film sind, macht es keinen Unterschied. Dann ist es, wie es ist.

HAUSMANN-SANCHEZ: Sie fliegen nach Paris, nicht? Ich höre es am Akzent. Nicht sehr, aber man hört es.

BERNARD: Und Sie? Woher kommen Sie?

HAUSMANN-SANCHEZ: Nicht von hier.

BERNARD: Nicht aus dieser Welt, meinen Sie?

HAUSMANN-SANCHEZ: Nicht aus diesem Landstrich.

BERNARD: Was machen Sie?

HAUSMANN-SANCHEZ: Journalist.

BERNARD: Und Nihilist – nach dem, was ich von Ihnen höre.

HAUSMANN-SANCHEZ: Ich beobachte, was ist. Ich habe keine Illusionen.

BERNARD: Es gibt Wichtigeres, als zu beobachten.

HAUSMANN-SANCHEZ: Das wäre?

BERNARD: Jemandem nahe sein.

HAUSMANN-SANCHEZ: schweigt

Pause. 

FUCHS: Wer von Ihnen hat gesagt, dass wir in einem Boot sitzen? Sie?! Wie heißen Sie?

BERNARD: Julie.

FUCHS: Julie … Irgendwer hat gesagt, dass wir in einem Boot sitzen. Nein, warten Sie … – Sie .. die Frau … vor der Tür .. hat gesagt, das Boot … das … Spaceshuttle … ist …

Schrei von Fuchs.

FUCHS: Es ist nicht wahr. Ich träume. Sagt mir, dass ich träume! – Hört ihr?! Hört ihr mich?

Black.

SZENE 2

Licht.

NICKEL: Kollegen! Die Situation ist … absurd! Wir müssen klaren Kopf behalten!

NEUMANN: Wenn das vorbei ist, dann …

STRAUSS: …dann… ? Was dann?!   ‚

NEUMANN: zu Strauß Sie … Sie gucken mich so an …!? So als … ginge Ihnen etwas durch den Kopf …?!

STRAUSS: Die Vokabel… Mortal… – Also: Ich guck Sie nicht an. – Was wollten Sie sagen.? Wenn das vorbei ist, dann…?

NEUMANN: … ist nichts mehr, wie es war.

STRAUSS: Im Gegenteil. Dann wird alles sein wie früher. Nur schöner …. Wir müssen handeln, einen Ausweg finden!

ISABEL: W o h i n einen Ausweg finden?

Isabel schaut unverwandt auf Strauß.

STRAUSS: Was gucken Sie mich so an?

ISABEL: Sie sind noch die gleiche? – Ich frag das, weil Sie – anders aussehen. Das Gesicht – ist anders. Sie scheinen gewachsen. .

STRAUSS: Was? zu Svarowski Was redet die?

NICKEL: zu Isabel Neigen Sie zu Platzangst? Zu Halluzinationen?

SVAROWSKI: Das Gas! Es ist das Gas! – Atmen Sie ruhig!

NICKEL: Denken Sie an irgendwas, was Ihnen angenehm ist! Gehen Sie das große Einmaleins durch!

ISABEL: Das Gesicht …

STRAUSS: Was ist mit meinem Gesicht?

ISABEL: Glatt, kalt…

Pause.

NICKEL: Passt ein bisschen auf sie auf, Kollegen.

Pause.

NEUMANN: zu Strauß Sie.. Sie haben doch auch was! Sie gucken mich immer wieder an!

STRAUSS: Ich guck Sie nicht an.

NEUMANN: Doch … Ich seh das doch! Wahrscheinlich wegen meiner Jogginghosen … – Ich wohn gleich gegenüber .. Ich bin nur mal.. Ich komm früh nicht dazu, mich zu waschen, bevor die Kinder aus dem Haus sind. Da zieh ich schnell die Jogginghose über. Ist das so schlimm-?

NICKEL: Bitte, Kollegen … Was soll das … Es sieht nicht ästhetisch aus .. Aber – es ist ihre Sache. .

BERNARD: Ich weiß nicht. Ich will es nicht wahrhaben, absolut nicht, aber mir ist, als ließen wir etwas hinter uns. Vielleicht können wir nicht zurückkehren.

STRAUSS: Versteh ich nicht. – Ich versteh nicht, was Sie damit sagen wollen.

Black

Szene 3

Licht.

FUCHS: Was haben Sie gesagt? Wir verlassen etwas, wohin wir nicht zurückkehren werden-? Was meinen Sie damit?

BERNARD: Ich weiß nicht. Ich denke an Musik… – Ich mache Musik, Percussion… Das geht nicht ohne ein Gefühl für… dafür, was die anderen gleich machen werden … Fatalistisch: Und dann macht man mit … Man variiert … aber …

FUCHS: Aber …?

BERNARD: Das Spiel ist vorgegeben. Es ist da von Anfang an:  In den anderen. guckt Strauß an Ich habe jetzt auch so ein Gefühl … Weiß, was jemand spielen will …

Strauß guck weg

FUCHS: misstrauisch Wissen Sie mehr als ich?

BERNARD: Mehr wissen nur die da oben. Wer auch immer hinter dieser Maske sich verbirgt.

Pause.

NEUMANN: „mortale Überstellung“… ! Was meinen die damit?!

HAUSMANN-SANCHEZ: Das wird Ihnen von uns niemand beantworten wollen. – Das Wort „kollateral“ kann ich Ihnen erklären … – Eine Kombination der Vorsilbe kol gleich „zusammen“, mit dem Wort „lateral“, für „seitlich, seitab gelegen“. – Kol­later­al“ heißt „zusammen seitab liegen“ und steht für in Kauf zu nehmende Opfer unter der Zivilbevölkerung im Krieg.

NEUMANN: Sie meinen … ?!

HAUSMANN-SANCHEZ: Wir sind im Krieg, ja:

FISCHER: Wir sind immer im Krieg.

Pause.

NEUMANN: „Mortale Überstellung-„

STRAUSS: Wir müssen machen, was sie sagen! Wir müssen jemand bestimmen für die … Überstellung! Sie haben uns in der Hand!

Pause.

NEUMANN: Und wenn es doch das Fernsehen ist? Und unsereins soll… in die Kam­era… jemanden zu Tod bringen!

STRAUSS: an die anderen Wo redet die hin?! In die Kamera?

SVAROWSKI: Und was?! W a s redet die?!

STRAUSS: zu Neumann Wieso redest du in die Kamera? Das ist nicht das Fernsehen!

NEUMANN: Wieso denn nicht?

SVAROWSKI: hysterisch Das Fernsehen, ja, das Fernsehen! Ich stell mir vor, wie sie sich über uns amüsieren!

NEUMANN: steht, schreit, wenig später hört man das schon bekannte Zischen Sie glauben es also nicht! Sie glauben nicht, dass das … Versteckte Kamera ist! – Sie glauben es nicht … !! Ich will raus hier! Raus! Luft!

In ihrer Panik zerrt sie sich die Nylon-Trainingsjacke vom Leib. Darunter trägt sie nichts als einen Küchenkittel. Unter den Blicken der anderen merkt sie, wie unmöglich sie aussieht. Sie zieht die Jacke wieder über und setzt sich. – Strauß noch immer mit Blick auf Neumann. Auch Nickel schaut auf sie. Dann begegnen sieh die Blicke von Strauß und Nickel.

BERNARD: Sie beide …! Sie… ! Was denken Sie?

STRAUSS: Nichts.

Lange Zeit nichts. Svarowski sitzt da, die Fäuste vor die Stirn gepresst. – Ein Knacken in den Lautsprechern.

SVAROWSKI: freudig Jetzt … ! Der Lautsprecher! Ein Irrtum … es war alles ein Irrtum! Es war nicht wahr. ruft: Es war gar nicht wahr!

NICKEL: Ruhe!

Alle hören gespannt. – Nichts. Stille. – Lange Zeit redet niemand:

NEUMANN: mit sich im Reinen Wie im tiefsten Frieden. Als säßen wir auf einem Bahn­hof und warteten auf den Zug.

ISABEL: Auf einem Flughafen …. Als säßen wir auf einem Flughafen …

FUCHS: „Flugeinsatzleitung“ – Sie reden von „Flugeinsatzleitung“ … !

NEUMANN: Ich hab Bahnhof gesagt …. – niemand geht darauf ein, Weil … als ich noch in Arbeit war, in Köpenick …  Da gab es auf der Rückfahrt, wenn ich Frühschicht hatte, oft Verspätung … Im Winter war das. Das war unwirklich, weil es so still war … nachmittags um 4, Berufsverkehr, alles  unterwegs: Autos, Züge, Leute … Unmengen von Leuten,  schwarze Umrisse … und.. kein Laut..

ISABEL: Die Stille… Ja, es ist die Stille, die …. bricht ab, dann: – Einmal, im Januar, habe ich auf dem Fußboden gelegen … und draußen vor dem Fenster – .. Schnee. Und … – so, wie Sie es sagen …! – .. Stille … alles still. Das war schön. Ich lag im Warmen. Ich lag wie im Schnee … In der Stille. Ich war weit im Früher … ein Kind … Ich hab meine Mutter gehört draußen in der Küche.

FUCHS: „Flugeinsatzleitung“. Sie reden von  „Flugeinsatzleitung“ …

NEUMANN: Jajaja, das eben versteht keiner … !

STRAUSS: spitz Außer es ist „Versteckte Kamera“!

NEUMANN: Sie brauchen nicht so tun! Das ist die einzige vernünftige Erklärung!

NICKEL: Oder ein Codewort!

SVAROWSKI: Codewort?

NICKEL: Wenn es Verbrecher sind … müssen sie irgendwie von sich reden. Wir aber dürfen sie nicht erkennen.

NEUMANN: Man weiß nicht, was man glauben soll!

BERNARD: Eines weiß ich, und das sicher: Ich will nicht die Marionette sein von Leuten, die mich zur Verbrecherin oder zur Idiotin machen wollen, nur weil sie vielleicht ein tödliches Gas in Händen haben! Steht

NICKEL: Um Gottes Willen! Was haben Sie vor?!

BERNARD: Los, ehe sie Monster aus uns machen – befreien wir uns!

Niemand reagiert:

BERNARD: zerrt Svarowski hoch Los, Sie! Sie sind Sparkassenangestellte! Und nicht so ein Biest wie Ihre Kollegin! -Ich will zurück! Nach Frankreich! Wenn ich das eine Flugzeug verpasst hab, das nächste nicht! Los, den Computer, nehmen Sie! Na los!  Sie stößt Svarowski vorwärts Der fliegt durch die Tür, durch das Glas, los!

Sie reißt den Computer vom Tisch, schreit Svarowski aber faßt nicht zu; der Computer fällt zu Boden. – Ist vorher geschrien worden, so ist jetzt Stille,  – Das Geräusch des ausströmenden Gases. Svarowski setzt sich; die anderen blicken auf Bernard – bis die sich auch setzt.  – Das Geräusch hört abrupt auf. – Stille. – Svarowski beginnt zu schluchzen. Schluchzt immer mehr.

STRAUSS: zu Bernard Terroristin! An die anderen Der blanke Terrorismus, was die macht mit uns! –

Black

SZENE 4

Licht.

NICKEL: Kollegen! – Der Büroleiter … – eines Tages sagt er zu mir: Nickel, stellen Sie für den Minister alle Erschließungsakten zusammen seit 80. Ich – obwohl ich weiß, dass die Akten 90, 91 und 92 nicht da sind, vernichtet auf Anordnung des Büroleiters‘- ich antworte: Jawohl, Herr Dr. Berger! Erschließungsakten seit 80! Und weiß, dass der Minister die Akten nicht bekommen kann, und wenn der Minister die Akten nicht bekommt, wird ein Kopf rollen: Meiner. „Alle Erschließungsakten seit 80, Herr Dr. Berger, jawohl!“

Pause.

NICKEL: Der Schluss der Geschichte, Kollegen, nicht erfunden: Am Mittag dieses Tages – Freitag, der 22. Juli 2001- eröffnet die Staatsanwaltschaft Potsdam ein Ermittlungsverfahren gegen den Bauminister Dr. Wolf, und den interessiert jetzt alles, nur nicht mehr meine Erschließungsakten! – entschlossen: Kollegen! Bestimmen wir jemand für die Überstellung! In einer halben Stunde haben wir eine andere Lage! Ich verspreche es Euch! – zu Isabel: Was gucken Sie mich so an?!

Isabel guckt weg.

NICKEL: Sehen Sie wieder was?!

ISABEL: Ja.

NICKE: Bitte befolgen Sie meinen Rat! Atmen Sie ruhig! Und sagen Sie sich das große Einmaleins auf! Das hat mir immer geholfen in schwierigen Lebenslagen!

ISABEL: Sie wollen uns verraten!

NICKEL: Wie bitte …?!

FUCHS: Sie hat recht.

NICKEL: Wie… ?!

FUCHS: Wir sollen jemand bestimmen für eine Erschießung, nicht?! Hier in diesem Raum?! Und einer von uns wird schießen?! So ist es doch, oder?!

Pause.

FUCHS: zu Nickel Angenommen, wir bestimmen Sie! Angenommen, alles geht gut aus, und Sie überleben! Wie wollen Sie weiterleben mit der Tatsache, dass 8 Menschen bereit waren, Sie zu töten?

Pause.

NICKEL: Ich werde überleben. – Lange Pause. Ich sag zu Carmen, … Carmen ist meine Frau …. Ich sag zu ihr immer: „Die Regierungen kommen und gehen, das Volk aber bleibt! – mit Emphase: Und ich – ich bin das Volk! Und wisst Ihr, warum? Warum ich bleibe? Weil ich der Regierung gebe, was der Regierung ist, und Gottes, was Gottes! – Der Mensch braucht seine Ordnung! Ein Zuhause! Dass er sich wehren kann gegen die draußen, die Regierungen! Wehren! an Bernard: Aber nicht wie Sie durch blinde Zerstörung! Sondern taktisch! Durch Anpassung. Jawohl, Anpassung.  Sechzig Jahre alt geworden bin ich, Kollegen, und habe drei Gesellschaftssysteme überlebt!

BERNARD: De la petite bourgeoisie!

NICKEL: Bourgeoisie?! Ich?! Ich war mein Leben lang Arbeiter und Gewerkschafter!

BERNARD: Sie sind bereit, andere in den Tod zu schicken, nur  damit Sie in ihren Mief zurückkehren können!

NICKEL: Ich sage nichts mehr.

STRAUSS: Unterstellungen sind das!

Pause.

BERNARD: Sie sind bereit, uns in den Tod zu schicken! Sie und diese Sparkas­senangestellte da – Sie haben sich längst jemand ausgeguckt! Sie wissen, wen sie opfern wollen!

NICKEL: Was?! Was sagen Sie?!

STRAUSS: Unverschämtheit!

NICKEL: Steinigen sollte man Sie!

SVAROWSKI: zu Bernard So eine wie Sie halt ich nicht aus. Können Sie nicht still sein?

BERNARD: Nein. Und Sie sollten es auch nicht. zu Neumann Und Sie? – Die haben Sie auf dem Kieker!

NICKEL UND STRAUSS: UNISONO: Kein Wort wahr!

Pause.

NEUMANN: Und wenn schon. Mich trifft es nicht. –

STRAUSS: Dich trifft es nicht … ?!

NEUMANN: Weil … guckt in die Kamera… der da oben ein Auge auf mich hat. Ich habe vier Kinder … Und das gibt’s nicht, dass eine Mutter … eine alleinerziehende Mutter von ihren Kindern einfach … weggenommen wird!

STRAUSS: Es ist nicht zu fassen … Ich hab auch Kinder …!

Pause.

NEUMANN: für sich Auflehnung nützt nichts. Einen wird es treffen … – Einen trifft es immer. Im Guten wie im Bösen. Glück oder Liebe.

STRAUSS: 10:20 Uhr.

NICKEL: Noch 30 Minuten.

STRAUSS: Wir müssen jemanden bestimmen! Sie haben uns in der Hand! NEUMANN Ballonfahrt … ein Spiel. Meine Kinder haben es  aus der Christenlehre mitgebracht … – Der Ballon verliert Luft und einer muss raus. Und dann alle anderen. Zum Schluss hat der Ballon nur noch Luft für einen. Und nun erzählt jeder, was er für einen Beruf und ob er Familie hat, und warum er wichtig für die Menschheit ist. Und wer am wichtigsten für die Menschheit ist, darf überleben.

BERNARD: Sie denken noch immer ans Fernsehen?!

NEUMANN Sie gar nicht?

BERNARD: schweigt

NEUMANN Wir … wir denken doch alle ans Fernsehen … .. alle … Wir … vertraulich... wissen Bescheid, nicht wahr …

FISCHER: Wahrscheinlich gucken Sie zu viel Fernsehen!

NEUMANN Zu viel … Hin und wieder guck ich mal, ja … Was gucken Sie denn so?

FISCER: Gar nichts. – Ich spiele Computer. Ich bin der Mann vorm Computer. Gott der Welten. Feldherr sämtlicher Armeen. Herrscher über Leben und Tod. Ein Wille, der über allem steht. Und ich lese.

HAUSMANN-SANCHEZ: Und was?

FISCER: Philosophie.

Schweigen. Blicke auf Fischer.

NEUMANN: in die Kamera Würfeln! Wie wär es mit Würfeln?!

STRAUSS: 10:25 Uhr!

NEUMANN: an alle Sie sind gegen Würfeln?

STRAUSS: Ja!

NEUMANN: Und warum? Wir können doch niemand zum Tod verurteilen!

STRAUSS: Aber würfeln … !

NEUMANN: Wenn es nicht anders geht?

STRAUSS: Ich wüsste, wer es wert wäre, nicht im Ballon zu  bleiben.

Schweigen.

BERNARD: Ich?

STRAUSS: Nein.

BERNARD: Und warum ich nicht?

STRAUSS: schweigt

Black.

SZENE 5

Licht.

SVAROWSKI: zu Strauß Und wer sollte das sein deiner Meinung nach, der aus dem Ballon geworfen wird?

NICKEL: Wenn sie einen Vorschlag haben ….

Schweigen.

NICKEL: Es wird was passieren ‚dort oben, Kollegen, glaubt mir. Es passiert immer was. Die stolpern über ihre eigenen Füße. Es ist nur die Frage, wann! In einer halben Stunde? – Wir müssen Zeit gewinnen, Kollegen!

FUCHS: Wie gucken Sie mich an?

NEUMANN: Und mich?!

NICKEL: Wir müssen jemand bestimmen, wir müssen ihnen einen Namen geben, damit wir Zeit gewinnen!

Pause.

NICKEL: Ich war lange Jahre in der Gewerkschaft, Kollegen. In der Gewerkschaftsleitung. Was ich da gelernt hab, ist: Man muss mit einer Stimme sprechen. Solange die oben sicher stehen, muss man ihnen entgegenkommen. Auf seine Chance warten. Zuschlagen, wenn sie stolpern. Das ist Gewerkschaftsarbeit, Kollegen. – Aber dazu … braucht es Disziplin. – Wie stellt man Disziplin her? Wie schafft man es, mit einer Stimme zu sprechen? – Er wartet. – Indem nur einer spricht. Einer, dem wir unser Vertrauen schenken. Einer, der für uns handelt. Ein Verhandlungsführer Kollegen! Wir sollten einen …

BERNARD: Führer wählen… ?!

NICKEL: schweigt

BERNARD: Führer – Herrscher über Tod und Leben. Den …  die haben wir schon … ! Und mit solchen Leuten … Blick in die Runde, dann auf Nickel … keine Chance gegen sie zu bestehen … zu Hausmann-Sanchez Wie sagten Sie? „Du denkst immer, du bist gemeint … Aber auf dich kommt es gar nicht an… !

Schweigen.

BERNARD: Da war einmal ein Student der Wirtschaftswissenschaften, der hieß Ludger Bernhardt. Als Ludger Bernhardt 1968 nach Paris kam, trug er ein Plakat vor sich her: WAS IST DER ÜBERFALL AUF EINE BANK  GEGEN DIE GRÜNDUNG EINER BANK.

NICKEL: Hören Sie, was soll das jetzt! Wir haben…

BERNARD: Die Hauptsorgen des ehemaligen Studenten der  economie politique Ludger Bernhard jetzt sind: Die Kurse von Nokia, Daimler-Chrysler, Nike, Once, und dass unser  Mädchen Sophie, eine Frau von 60, die die 4 Salons in der  Rue Goncourt alleine bewältigt, nicht schon wieder eine Lohnforderung stellt … – „Auch du“, wird Herr Bernhardt, mein Vater, morgen zu mir sagen .. -: „Auch du, Julia, bist überdurchschnittlich intelligent, klug, begabt .. Nicht dein Verdienst, klar, das hast du von den Bernhardts. Und ich verstehe, verstehe gut“, wird Herr Bernhardt, mein Vater, morgen lächelnd sagen, „dass dich das nicht interessiert. Gleiche sein unter Gleichen, das willst du. Hingebungsvoll arbeiten, studieren, und nicht dich ums Geld kümmern.  Aber eines Tages – du wirst es erfahren – bist du aus dem Schneider! Du weißt nicht wie! Geld! Geld, wohin du schaust! Es geht gar nicht anders bei deinen Voraussetzungen … ! Es geht nicht anders bei unsereinem … –  Und dann ich spreche aus Erfahrung, wirst auch du deine  Bank brauchen! Dein Gefängnis, deine Polizeistation! – Sie steht auf und entnimmt ihrem Täschchen einen Lippenstift. – Je suis  desolee, les amis – peut-etre ce ri est pas le bon moment á mettre du rouge. Mais demain, je veux etre á Paris. Et la je ne peux pas .. dorm .. – leichthin Wenn es eine Welt gäbe … sie blickt auf Nickel… in der ich mir wirklich treu bleiben könnte …  – Ich würde die Verantwortung für uns übernehmen! Und Euch garantieren: Keiner würde geopfert! Mit meinem Leben würde ich dafür garantieren! Aber so wie es ist, hieße das ja wohl, sterben … Opfertod. Und für wen … ? …

Sie blickt wieder auf NickelIsabel steht langsam auf.

BERNARD: Quand tout est fini, je veux vivre. Mais par – a je  dois rester vivante. Et comment il est – comment est-ce que  ~a marche, tout le monde aux memes conditions ?  Transaction transaction… Je ne dois pas oublier, d’oü je  viens. Il collera du sang ä 1’argent. II colle du sang ä 1’argent..  Quand-meme … il faut que mon avenir soit la banque! Ainsi  soit-il!

ISABEL: Bernard gegenüber, wiederholt ihre Worte Wenn alles vorüber ist, will ich leben. Dazu aber muss ich am Leben bleiben. Und so wie es ist – wie soll das gehen für alle unter den gleichen Bedingungen? Transaktion Transaktion … Ich darf nicht vergessen, wo ich herkomme. Es wird Blut am Geld kleben. Es klebt Blut am Geld. – Trotzdem … meine Zukunft soll die Bank sein! Amen!

BERNARD: Amen.

Sie setzt sich, mondän und kalt. Auch Isabel lässt sich langsam nieder auf den Boden.

NICKEL: zu Hausmann-Sanchez Sie sehen, was los ist! – Sie schminkt sich – in so einer Situation!  – Pause. – Zu Ihnen hätte ich Vertrauen!

HAUSMANN-SANCHEZ: Was erhoffen Sie sich? Dass ich ausspreche und anordne, was Sie denken? Wenn ich sage, überstellen Sie diese Frau dort dem Tod … ?!     ,

STRAUSS:So weit muss es ja nicht kommen. Die da oben haben gesagt, dass sie es verhindern wollen, wenn möglich. – mit Angst Mensch, die drehen durch hier!

HAUSMANN-SANCHEZ: Und überhaupt … dass ihre Wahl auf diese Frau fallen würde, hätte sich voraussagen lassen. Weil sie arm ist … arm dran … Das verzeihen die Bessergestellten und die Gebildeteren nicht .. So ist es, seit die Menschheit existiert. Und wiederholt sich und wiederholt sich und wiederholt sich; man kann nicht dagegen an. – Wir sind nicht Herr unserer …

NICKEL: Sie machen es nicht?

HAUSMANN-SANCHEZ: Auf mich kommt es nicht an. Auf niemanden.

NICKEL: Nein … ?

STRAUSS: In 15 Minuten sind wir tot!

FISCHER: von hinten Na und?

NICKEL: dreht sich empört um Na und? Ist dir dein Leben nichts wert?‘

FISCHER: Der Kämpfer stirbt, wenn der Gegner besser ist. So läuft das Spiel, so sind die Regeln. Die da oben sind die Besseren. Die Besten vielleicht.

STRAUSS: Er ist verrückt!

NICKEL: Melden wir ihn, Kollegen!

FISCHER: Warum denn mich? zu Nickel, vertraulich – Gib’s doch zu: Du hast sie dir längst ausgeguckt! Musst jetzt nur noch den Dreh finden, irgend­was Elegantes, das es legitim aussieht! Ja, du hast recht, ich kann sie auch nicht sehen … Aber dich kann ich noch weniger sehen! Angst, Angst, die eines nur will: S i c h retten! Anstatt sich in den Kampf zu werfen! Sich vorzuarbeiten Haus für Haus! Häuserwand für Häuserwand! Und nicht zu fürchten Feuer, Flugzeug, Raumschiffe, das Millionenheer der Gegner! – So was wie du wird nicht überleben! So was wird weggepustet gleich am Anfang!

FUCHS: Junge, was soll das!

FISCHER: Ich bin kein Junge! I c h werde überleben! So was da nicht!

NICKEL: Überleb du erst einmal ein paar Dinge, die so vorkommen im Leben, nicht wahr, Kollegen! – Rotzjunge!

Fischer steht auf, nimmt die Pistole, richtet sie auf Nickel. – Das Zischen.

FISCHER: Ich wiederhole es: Du wirst nicht überleben! Keiner von euch wird überleben!

NICKEL: Aber was soll denn das … Ich hab doch nur … Ich wollte doch nur … Wie kommst du denn …

FISCHER: scharf „Sie“, ja! Sie!

NICKEL: … Sie, ja … wie kommen Sie denn auf so was: Keiner von euch wird überleben! … Das ist doch unverantwortlich, das ist doch …

FISCHER: Was wäre, wenn ich mit den Gangstern unter einer Decke stecke, he?! – Mich schon mal angeguckt, he?!

Nickel guckt weg, Fischer richtet die Pistole auf Hausmann-Sanchez.

FISCHER: Und du? Journalist?!

HAUSMANN-SANCHEZ: Ich bin …

FISCHER: Maul halten! Nichts bist du! – Hast bloß die große Klappe! Weißt alles, kennst alles, “ wir sind nicht Herr unserer selbst. Wir wollen das nur glauben“! Ich brauch dich bloß hören – da hab ich den ganzen Jammer! Flott flott dein Jammer! Klingt wie auf der Titanic, nicht?! Du hältst dem Untergang den Spiegel vors Gesicht, stimmt’s?! …- nah bei ihm Aber du! Du selber! Was berechtigt dich, dich so draußen zu halten? So, als wärst d u nicht beteiligt? Als würdest d u   nicht mit absaufen? – Bist du ein besserer Mensch? Oder kein Mensch? Ein Gott?!

HAUSMANN-SANCHEZ: Nein, bin ich nicht. Und du …

FISCHER: Sie!

HAUSMANN-SANCHEZ: Und Sie! Wofür stehen Sie?  Sympathie für diese Verbrecher?

FISCHER: Sie haben den Vorteil im Spiel! Sie machen ein großes Spiel! Sie werden es gewinnen! Sie sind die Crew vorm Computer! Und du … Entsichert die Pistole; richtet sie auf Hausmann-Sanchez .. bist das Männchen auf dem Bildschirm! Peng und exit. Und schon ist da ein neues Männchen. Perfekt und ohne eigenen Willen. Keine Angst! Du stirbst nicht! Du lebst fort in deinesgleichen … ! Er sichert und wendet sich an die anderen. Es wird keiner was dagegen haben, wenn ich ihn wegpuste im Auftrag unserer Herren und Meister da oben, nicht wahr … zu Hausmann-Sanchez Sie warten ja so sehnsüchtig darauf, dass einer sie erlöst …

Entsichert.

HAUSMANN-SANCHEZ: schreit Macht doch was! Bitte! – Bitte!

Isabel fängt an zu husten; Svarowski weint. Fischer weidet sich einen Augenblick an der Angst von Hausmann-Sanchez, dann legt er die Waffe zurück und setzt sieh an seinen alten Platz. – Das Husten hört auf. –Es bleibt: Das Weinen von Svarowski. Black.

SZENE 6

Licht. Nickel mit merkwürdigen Bewegungen.

SVAROWSKI: weinend Sie da … bitte … bitte… – Nicht … !!

NEUMANN: Mein Gott, die haben das nicht mehr im Griff … Alles gerät durcheinander!

Schweigen. Alle versuchen, nicht auf zu Nickel zu schauen.

FUCHS: zu Fischer Wer bist du?! 

FISCHER: schweigt

FUCHS: Junge …!

FISCHER: Ich bin kein junge! Sieht man das nicht?

FUCHS: guckt ihn an Meine Jungs, wenn sie gut drauf sind, spielen auch, als könnten sie vor Kraft nicht laufen … Sie spielen es Während irgendeiner kaputtgeht vor ihren Augen …

FISCHER: schweigt

FUCHS: Die Jungs … die merken nicht, dass s i e es sind, dass sie selber …

FISCHER: guckt sie an aus starrem Gesicht , versucht zu lächeln

FUCHS:  … dass sie selbst sich, ihre Kumpels, so weit bringen, dass sie durchdrehen …

Sie werden abgelenkt von Nickel, dessen Bewegungen heftiger werden. Er stößt mit dem Kopf nach oben, zieht die Schultern hoch und die Arme, als wolle er aus dem Hemd steigen.

NICKEL: Das ist es! Aussteigen! Raus, raus aus dem Männchen! Aus der Lakaien-Uniform! Aus der Gewerkschaft! Dem Bund fürs Leben, ha …! Raussteigen! Raus! Hart sein! Ein anderer sein! Sich sein Stück abschneiden vom großen Kuchen! Mitleid, ha! Hat mit mir auch keiner! Nie! Nie gehabt! Der Dumme gewesen! Immer! Das Männchen, jawohl! Der Lakai! … imitiert seinen Chef Unter uns, Nickel, diese Akten, wenn sie nicht mehr da wären! Muss ja nicht jeder … – Auf mich, Herr Dr. Berger, können Sie sich verlassen! – Sehr gut, Nickel, sehr gut …! – Der Wolfi, ha! mit hoher Stimme Wolfi, bringst du den Müll runter, ja! Wolfi, putzt du die Schuhe gleich, wenn du hochkommst, ja! – Raus! Aus dem Anstand! Dem Mitleid! Die Pistole, wenn man sie hat, muss ihre Arbeit tun! Losgehen, jawohl! Wozu sonst ist sie da! Zum Schießen! Peng! Auf Menschen! Auf euch! Euch! Menschen! Schießscheiben! Puppen! Pappkameraden!

Seine Bewegungen sehen aus wie ein epileptischer Anfall, er krümmt, windet sich. Die anderen wenden sich ab.

Black.

SZENE 7

Im Filmlicht – der Film, der die Situation in der Sparkasse zeigt. Im Schatten die Bewegungen von Nickel. – Isabel und Fuchs blicken in Richtung Projektor.

FUCHS: Eine Reise, Isabel … ! Es ist eine Reise! 

ISABEL: Wohin? – Wohin … ?!

FUCHS: Du gibst zu, dass wir unterwegs sind?!         .

ISABEL: Ich sehe, dass etwas ist … – Wieso darf einer eine Pistole auf einen Menschen richten? Ihn erniedrigen? Ihn an, den Rand des Wahnsinns bringen?

FUCHS: Pro Minute kommt das tausendmal vor in der Welt. In allen Welten, in denen wir leben. – Es gibt nur noch das.

ISABEL: Also geht unsere Reise in die Wirklichkeit.

FUCHS: Wir haben in einem Traum gelebt – in unserer Arbeit,  mit Freunden, mit frischen Brötchen am Samstagmorgen Und jetzt – driften wir in die Wirklichkeit!

Der Film verblasst.

Black

SZENE 8

Licht. Nickel weiter mit seinen Bewegungen. Er stößt mit dem Kopf und versucht die Arme hochzu­ziehen über die Schultern. – Neumann verfolgt seine Bewegungen mit steigender Angst.

NEUMANN: Nicht … ! Aufhören … ! Nicht … ! Helft ihm … ! Macht doch was …! Aufhören … ! Hört ihr … ! ruft in Richtung Kamera Aufhören! Schluss! Guckt her … ! Ich, ja … ! Ich … ! Ich bin’s …! Ich, die Frau Neumann! Ihr kennt mich doch?! Ich hab gelernt im Kabelwerk Oberspree, und dann war es die BICC, und dann war es ganz dicht, nicht?! Ich hab vier Kinder, und mein Mann hat mich verlassen und treibt sich rum irgendwo bei Duisburg, in den Kneipen mit zwielichtigem Volk … – So hab ich das gesagt beim Casting, nicht! – Ja, ich wollte ins Fernsehen! Und ihr… ihr wart das doch … ?! Ihr habt gesagt: Kommen Sie zum Training! Kommen Sie zum Casting! Und ich bin gekommen! Und ihr, ihr habt gesagt: So eine wie Sie suchen wir! Die das Herz auf dem rechten Fleck hat! Die sich nicht unterkriegen lässt! Von diesem Hallodri von Mann! Von kalten Sekretärinnen-Blicken und höhnischen Azubis, wenn man auftaucht morgens mit 4 Gören in der Straßenbahn! Von Tagen, einer wie der andere und keine Zeit zum Luftholen! Vom Sozialamt und vom Betteln! Um das Wohngeld! Um die Zuzahlungsbefreiung! Um einen Mantel für die Kinder! Betteln, ja betteln! Heulen! Bei der Zahnärztin, dass sie zu reden aufhört! Amalgam, jajajaja! Ich kann doch nur Amalgam bezahlen! – Ganz schön hart dein Leben, Petra! So mit dem Gift im Mund, hahaha! So eine suchen wir! Wegen dem, dass alle da sind! Alle Menschen! Wegen der Realität, die rein muss in die Show! Petra, Sie sind angenommen! Freuen Sie sich?! Also, Petra! Am Dienstag, den 27. März, 9:30 Uhr, Sparkasse auf der Bornholmer Straße! Unvorhergesehene Dinge werden passieren, Petra! Verändern werden Sie sich, Petra! Nicht mehr die gleiche sein! Und nur, wer die stärksten – nur wer die allerstärksten Nerven hat … Nur, wer nicht aus seiner Rolle fällt! – der: Der kriegt die … aufschluchzend, weinend über den Verlust … Fünfhunderttausend! – heult und steigt auf einen Stuhl Die h.alten durch hier …! Der Mann … !! Der alte Mann hier … er wird … er ist … !!

Nickel durch ihr Schreien abgebracht von seinem Wahn.

NEUMANN: Mein Gott, die halten durch! Alle! schreit Weil sie die Fünfhunderttausend wollen! kreischt: Ich pfeif auf das Geld! Schluss! Raus! Die sind verrückt! Alle! Raus! Ich will raus aus dem Spiel! Ich will keine Fünfhunderttausend!

Alle sind aufgestanden.- Neumann steht weinend und zitternd auf dem Stuhl.

STRAUSS: Was redet die … Fünfhunderttausend …?

FISCHER: Für Fünfhunderttausend würdest du glauben, was sie sagt, wie?

NICKEL: murmelt Wahnsinnig geworden ist sie. setzt sich, murmelt weiter Weil ihr nichts macht. Weil ihr euch nicht entscheiden könnt. Weil ihr nicht aussteigen könnt aus euerer – Menschenliebe!

BERNARD: Wir müssen ‚hier durch. Wir müssen es zu Ende bringen! Jetzt!

FUCHS: Wenn wir nicht festhalten an dem, was uns einmal ausgemacht hat – können wir nie zurückkehren!

Alle setzen sich. Das Weinen von Neumann und Svarowski.

Black.

SZENE 9

Licht. – Svarowski weint.

SVAROWSKI: Ich bin ein schlechter Mensch. Wiederholt es unter sich steigerndem Weinen. Ich bin in so schlechter Mensch.

HAUSMANN-SANCHEZ: braust auf Könnten sie mal aufhören! Verlieren Sie nicht auch noch die Nerven!

SVAROWSKI: Auch Sie sind ein schlechter Mensch! Sie tun so … scheinheilig! – Aber ich … ich bin schlechter. Ich habe gedacht, wir sollten sie hier – deutet auf Isabel – wir sollten sie hier … bestimmen … – Svarowski schluchzt weiter. – Sie ist so still. Sie wehrt sich nicht, naja, und… redet komisches Zeug. Sieht Dinge und Zeichen … zu Isabel, erregt Du siehst jetzt wieder was, stimmt‘! .. schluchzend... Wir sollten sie überstellen … ehe wir verrückt werden … und … einer muss ja dran glauben … schluchzt, zeigt auf Neumann. Ich versteh sie ja! zu Strauß Dass du so kalt sein kannst-! Hast drauf losgesteuert von Anfang an, dass wir einen umbringen. Das ist ja so was von grausam! Wie können Menschen sich so was antun!

Pause.

FUCHS: Ich bin später gekommen, ich hab vielleicht einiges nicht mitgekriegt … – Und – ich bin ge­warnt worden … ruhig, eindringlich: Wer seid ihr!

SVAROWSKI: Nicht… nicht… Bitte nicht’…

Pause.

STRAUSS: Es ist jemand genannt … Einigen wir uns!

SVAROWSKI: Oh mein Gott, jetzt wird es ernst … Und ich … ich  hab … Ich bin so ein schlechter Mensch. – Sie schluchzt weiter-Wenn ich nicht in dieser Bank sein müsste, wenn ich nicht … hinter diesem Computer immer … und nie ein richtiges Wort mal mit jemandem … und immer nur … .denken … was kriegt die, was ich nicht krieg … dass zerfrisst einem … die Seele .: da will man… raus, ja … – Ich hab immer gedacht, .wenn ich … raus wär, draußen, auf einem Bauernhof, leben könnte … unter freiem Himmel … – Wirklich, das muss man mir glauben! Ich wäre nicht so ein schlechter Mensch! Nicht so.. schlecht geworden .. Aber was soll ich denn machen! Ich muss ja hierher gehen! Ich muss in die Bank kommen! Woher kommt mein Essen und Anziehen sonst.. – Ja, es ist ein System, ja, jetzt begreife ich es .. Es sind ja alle nett, nicht wahr … einzeln .. nett ..alle .. – Und trotzdem. Sie schluchzt. Dann trocknet sie sich das Gesicht ab, knöpft ihr Jackett zu. zu lsabel: Na, sieht du was?! – Du siehst was! Und recht hast du! Es ist so! Ich bin eine Figur … jemand, den man hierhin und dorthin schiebt … – an die anderen Aber vielleicht sollen wir befreit werden! Vielleicht sind das da oben gute Leute! Robin-Hood-Leute! Das hab ich als kleines Mädchen gelesen … wild Vielleicht wollen sie die Banken abschaffen, und hier fangen sie an, und nehmen uns als Geiseln, damit sie die anderen auch in die Hand bekommen … ekstatisch Und dann in die Luft gesprengt! Alle! Die ganzen Banken! mit leuchtenden Augen Und dafür muss eine sterben!

Black.

AKT 3 – Szene 1

Im Filmlicht – der Film, der die Situation in der Sparkasse zeigt. Fuchs, Hausmann-Sanchez und Bernard blicken in Richtung Projektor.

HAUSMANN-SANCHEZ: Es ist, als schauten Sie einem Film zu, in dem sie selbst agieren, nicht wahr?

BERNARD: Mir ist, als würde ich etwas verlieren. Etwas zurücklassen.

HAUSMANN-SANCHEZ: Die Erde. Die Erde schickt uns fort.  Wir sind unterwegs.

BERNARD: Es soll kalt sein im Weltraum.

HAUSMANN-SANCHEZ: Ja.

BERNARD: Kommen Sie zu mir.

HAUSMANN-SANCHEZ: Was weiß ich denn, wer Sie sind?

BERNARD: Sie kommen nicht?

HAUSMANN-SANCHEZ: Wie könnte ich denn? – Wir sind im Begriff, einen Menschen zu töten.

Pause.

BERNARD: Und – werden wir es tun?           

HAUSMANN-SANCHEZ: Wir werden. Wenn nicht, arbeiten wir gegen unseren Gott. Das kann man nicht. Wirklich nicht.

BERNARD: Sie haben geschrien, als dieser Junge die Pistole auf sie gerichtet hat. Sie haben um ihr Leben gebettelt.

HAUSMANN-SANCHEZ: Nicht ich. Nicht mein Verstand. Die Kreatur in mir. Das bin nicht ich.

BERNARD: Ein Glück. Ich hätte Sie sonst getröstet.

HAUSMANN-SANCHEZ: Was hätten Sie mir denn sagen können als Trost?

BERNARD: Ich hätte sagen können: Nehmen Sie’s nicht persönlich.

HAUSMANN-SANCHEZ: Und Sie? Womit trösten Sie sich?

Stille.

FUCHS: Sie sind ein merkwürdiger Mensch. Wie heißen Sie?

HAUSMANN-SANCHEZ: Paco.

FUCHS: Paco, wissen Sie, wo wir sind?

HAUSMANN-SANCHEZ: Nein.

FUCHS: Und wer wir sind?

HAUSMANN-SANCHEZ: Ich weiß, welche Rolle jeder spielt.

FUCHS: Also sind wir in einem Film?

HAUSMANN-SANCHEZ: Es ist egal, wo ich meine Rolle spiele. Alle Orte sind gleich, und alle Verhaltensweisen, und jedes Arschkratzen hat seine Kamera. Es ist alles Film. Auch Sie spielen ihre Rolle:

FUCHS: Ich weiß.

HAUSMANN-SANCHEZ: Sie spielen die Rolle der Moralistin.  Und da jeder weiß, dass Sie eine Rolle spielen, haben Sie keine Chance.

FUCHS: Ich heiße Tamara Fuchs. Ich habe fünf Jahre auf der Straße gelebt, weil ich den Part nicht spielen wollte, die man bereithielt für mich. Inzwischen arbeite ich für das Jugendamt. Ich betreue Jungs, denen es geht, wie es mir ging. Ich sage ihnen: Seid ihr selbst. Findet euch.

Pause.

FUCHS: Wenn Sie mich fragen, ob sie dann jemand braucht. – Ich glaube nicht.

Pause.

FUCHS: In Wahrheit spiele ich keine Rolle, Paco.

HAUSMANN-SANCHEZ: Erlauben Sie eine letzte Frage: Wissen Sie, wo wir sind?

FUCHS: Nein, nicht mehr.

HAUSMANN-SANCHEZ: Was ist ihre Wahrheit dann?

Pause.

FUCHS: Was soll ich tun?

HAUSMANN-SANCHEZ: Seien Sie die, die Sie sind. – Ich finde das amüsant. Ein Moment Stille. Ironisch: Kein Aufschrei?

Stille. – Black.

SZENE 2

Hinter dem Schalter zieht Svarowski in großer Eile Kästen wieder auf und zu.

Svarowski: Ich weiß es genau. Voriges Jahr, als die Rumänen in der Uhlandstraße diesen Überfall gemacht haben ..  Danach haben sie für die Sparkassen Wachschutz gestellt!  Und die hatten Sprechfunkgeräte! Dass ich da nicht eher draufgekommen bin! Und einer von denen, der Mollige, mit

dem man auch einmal ein vernünftiges Wort reden konnte – der hat es dann vergessen. Als sie abgezogen wurden. Und ich hab gedacht, er hat es absichtlich vergessen. Damit ich mich noch einmal melden muss. Hierhin hab ich’s mir gelegt! In diese Schublade! Und dann vergessen. Dass ich daran nicht eher gedacht habe! Das Sprechfunkgerät! Es funktioniert! Es funktioniert bestimmt! Ich muss es nur finden! Und wenn ich es finde, dann habe ich alles wieder gut gemacht, nicht!? Ich bin ein so schlechter Mensch! Ich habe das nur gemacht … weil ich nicht weiter wusste! Aber wenn ich jetzt das Sprechgerät finde, und der mollige Wachschutzmann uns zu Hilfe kommt, dann ist alles gut, nicht! Und ihr verzeiht mir! Bitte, sagt, dass ihr mir verzeiht! – Da! Da ist es!

Svarowski guckt näher hin – und hält ein kleines Kofferradio hoch. Während sie einzelne Knöpfe probiert, stehen die anderen langsam auf. Das Radio funktioniert. Man hört einen aktuellen Popsong. Mittelwellenqualität. Corinna Strauß, Julie Bernard, Isabel, Johanna Svarowski, Paco Hausmann-Sanchez, Petra Neumann, Wolfgang Nickel, Tamara Fuchs, Sebastian Fischer – Geiseln an diesem 27. März 2003 in einer Sparkasse in Berlin: Stehen und hören einen Popsong: Botschaft aus einer versunkenen Welt. Vorsichtig legt Svarowski das Kofferradio ab und steigt auf den Schreibtisch. Tanzt, langsam.

Svarowski: Als Lehrling hab ich das manchmal gemacht. Auf Partys. Sparkassenpartys. Auf dem Tisch getanzt. Und dann war die Lehre vorbei, und da wollte ich weg. Studieren. Biologie. Und was machen – für die Umwelt. Seltene Pflanzen erfassen in der Eifel oder so. Und wie ich zu meinem Chef geh und ihm die Kündigung geb, sagt er: Sie können nicht weg hier, weil: Ich lass Sie nicht! So was von Lebenslust! Denken Sie, das macht mir Spaß? Die Sparkasse? Und guckt mich so an! Guckt mich an von oben bis unten. Und da ist mir wie vorführen meine 19 Jahre, die ich habe damals, und ihn um den Finger wickeln, und da sag ich ja. – Und jetzt – niemand mehr, der auf mich guckt, wie der Chef geguckt hat, als ich 19 war. Ha! Die Türen des Alters – das sind andere Türen! Stoppt das Tanzen. Vorbei! Kein Weg zurück! schmettert das Kofferradio an die Wand, zeigt auf Isabel Bringt sie um! – Umbringen, sag ich, sie ist aus einer anderen Welt!

Keiner sagt etwas.

SVAROWSKI: schreit Die Pistole! Her!

Nickel bückt sich nach der Pistole – bevor er sie greifen kann:

ISABEL: Ich will hinausgehen. Will zur Tür – ihr scheint etwas einzufallen. – Dann gehe ich eben durch das andere Tor.

SVAROWSKI: aufgebracht Was?! Was für ein Tor?! Ich sehe hier kein Tor! – Siehst du wieder was, was wir nicht sehen?!

ISABEL: Ich weiß jetzt, wo die Reise hingeht.

FUCHS: Nein!

Mit gesenktem Kopf steht Isabel unter den anderen.

SVAROWSKI: Wer ist dafür, dass wir sie auswählen? – Ich! Wer noch? Hand hoch!

NEUMANN: hebt die Hand Es ist für die Show. Dass wir zu einem Ende kommen!

SVAROWSKI: vom Tisch Ja, ja, ja, ja! Hände hoch! Alle! – Und bringt sie gleich um! Bringt sie um, diese .. diese Seherin! spuckt herunter auf sie Hexe!

Lautsprecher. Die Flughafenstimme

DIE FLUGHAFENSTIMME: Sehr geehrte Damen und Herren. Bitte setzen Sie sich. – Alle – erleichtert für den Moment und voll Furcht zugleich – setzen sich. – Sehr geehrte Damen und Herren. Der Verlauf der Transaktion macht es erforderlich, die angekündigten Maßnahmen nun einzuleiten. Bitte erklären Sie durch Handzeichen, wen Sie für die Überstellung ausgewählt haben.

Sie blicken auf Isabel.

DIE FLUGHAFENSTIMME: Bitte geben Sie durch Handzeichen zu erkennen, wen sie ausgewählt haben!

Strauß hebt langsam die Hand, um auf Isabel zu zeigen.

FUCHS: Wenn du es tust, dann ..

Strauß lässt die Hand sinken.

SVAROWSKI:  vom Tisch Doch! Wählt sie aus! Sie! Und bringt sie um! Jetzt! Die Pistole! zu Nickel, der am nächsten sitzt Her! Her die Pistole!! Gebt sie mir! Jawohl, mir! Ich mach’s! Ich will nicht sterben!

FUCHS: steht – bereit sich auf jeden zu stürzen, der sich der Pistole nähert .. und schreit in die Kamera Es ist eine Transaktion, wie?! Und ihr habt da oben Euer Büro, wie?! Die Telefone klingeln, und es wird verhandelt?! Und euer .. euer Partner .. – er sitzt in der Klemme, wie?! Gleich, gleich wird er unterschreiben?! Und die Millionen rausrücken?! Weil er sich das nicht angucken kann, wie wir hier jemanden abschlachten, wie?! Und dann lockert ihr Eure Krawatten?! Und die nette Stimme, die wir immer hören, holt den Champagner?!

Pause. Sie wartet auf eine Antwort.

FUCHS: Soll ich euch was sagen? Er ist wie ihr!! Es geht ihm am Arsch vorbei!

DIE FLUGHAFENSTIMME: In Ihrem eigenen Interesse: Beeilen Sie sich.

Man hört das Gas. – Black.

SZENE 3

Alle, bis auf Fuchs und Fischer, zeigen mit in die Kamera gewendeten Gesichtern auf Isabel.

FUCHS: hat die Pistole Wer einen Finger rührt gegen sie, den bringe ich um! – Sie drehen sich um. Was guckt ihr mich an? Als würde ich mich … peinlich benehmen! Als würde ich …  die Regeln verletzen … – Ach so …! Ich begreife … Es ist nicht echt … Ein Film! Und ich nehme das ernst! Ich hätte draußen  bleiben sollen, wie! Jemand rührt sich, sie dreht sich blitzschnell um Keine Bewegung! Sie zieht sich an die Wand zurück, so dass sie alle vor der Pistole hat Was wäre denn der beste Showdown?!  Wenn ich abdrücke? Oder soll ich es lieber hinauszögern?! –  Ein Mensch wird sterben! Und so glaubhaft! schreit Kann ich das beenden! Kann ich das beenden, wenn ich abdrücke?!  Jetzt?! in die Kamera Es erweist sich, dass die Pistole nicht geladen ist, ja?! erschrocken Oh mein Gott, ich guck nach! Ich muss ja nur nachgucken! Sie hantiert an der Waffe herum. Zu Fischer: Du! Du hast sie in der Hand gehabt! Wie wird das gemacht!

FISCHER: kalt Den Hebel ziehen, dann springt das Magazin  raus.

Sie tut es – die Waffe ist entsichert. – Pause.

FUCHS: Diese Pistole ist … bereit … – Jetzt … begreife ich es … Es ist ganz einfach… Man muss … abdrücken… Wir retten uns, indem wir alles, was wir machen, als Spiel sehen … Ganz einfach …

Sie richtet langsam die Waffe auf Hausmann-Sanchez:

HAUSMANN-SANCHEZ: Wir alle sind Schauspieler. Ich habe es Ihnen schon gesagt.           

FUCHS: Haben sie keine Angst? Vorhin hatten sie welche!

HAUSMANN-SANCHEZ: Mein Kopf ist ganz klar. Und stark. Er hat die Kreatur in mir besiegt. Ich werde meine Rolle zu Ende spielen.

FUCHS: Welche Rolle?

HAUSMANN-SAIVCHEZ: Meine. Ich habe sie mir nicht ausgesucht. Das Leben hat sie mich gelehrt. – Das Leben, das ich mir kaufen konnte von dem Geld, das ich mir verdiente mit meinen kleinen Fußnoten … Schießen Sie, auch das wird nur eine Fußnote sein… – Sie werden es nicht tun …

FUCHS: Warum?     .

HAUSMANN-SANCEIEZ: Ich glaube Ihnen ihre Rolle. Sie spielen sie gut. Alles echt.

Das Gas.

STRAUSS: Was reden die, wir kommen um!

BERNARD: Macht was! Es ist keine Zeit mehr!

STRAUSS: Macht doch was!

NICKEL: Schieß!

FISCHER: der seine Marionettenhaftigkeit vollkommen verloren hat Schieß auf i h n ! Er hält dich hin! Er will dich linken! Alle wollen dich linken! Sie wollen die Waffe!

FUCHS: guckt auf Fischer Du… Du hast mich das Ding entsichern lassen … Sie richtet die Pistole auf Fischer Leg dich hin, Junge. Du bist ja .. Du hast noch nicht gelebt. Halt ein Taschentuch vor den Mund!

FISCHER: wieder starr Junge …?! Sagst du immer noch „Junge“ …?!

Das Gas.

STRAUSS: Mein Gott! Wir kommen um!

NICKEL: Was machst du mit uns, du… du… du… Schieß! Schieß endlich! Du bringst uns um, wenn du nicht schießt! 

FUCHS: Ich .. ich hab die Pistole! Und ich schieße! Ich schieße, wenn das die Erlösung ist! Wenn ich weiterleben darf! … Auf wen schieße ich denn?! Auf dich?! Auf dich?! Wer ist es?!  Wer ist es wert zu sterben?! Wer darf weiterleben?! zu Nickel Du?! Wie guckst du mich an, Mensch! Mein Gott, so eine Visage … Aus dieser Visage sieht das Kind, das du einmal warst, weißt du das … ?! gegen Strauß Du?! Du warst von Anfang an bereit, diese Frau da .. Dass wir sie im Stich lassen … Du hast darauf hingearbeitet … – Du weinst? D u weinst? – Ja, wein nur! Würdest du auch weinen, wenn ich  sie da … sie richtet die Pistole auf Neumann … wenn ich auf sie abdrücke …?!

Sie lässt die Pistole sinken. – Es ist Ruhe. man hört das Gas.

FUCHS: Ich spiele … Ich spiele das nur …

Pause. Blicke der anderen untereinander – sie warten auf den Moment, wo sie eingreifen können.

FUCHS: Nur so überleben wir das … Indem wir spielen … Und wenn wir verlieren … Dumm gelaufen! Hat eben sein müssen …

Pause. Die anderen auf dem Sprung.

FUCHS: Nein, nein, nein … Wenn wir unser Leben als ein Spiel ansehen, dann ist alles erlaubt. Dann ist es erlaubt, eine …  Transaktion zu machen … Dann ist es erlaubt, einen Menschen zu töten .. kommt nach vorn, schreit nach oben Mein Gott, hört auf mit dem Gas!

 Es ist der Moment, auf den Strauß gewartet hat – sie gibt ihr einen Schlag in den Nacken. Nickel springt herzu und entreißt ihr die Pistole.

NICKEL: richtet die Pistole auf Fuchs, kneift die Augen zu, guckt weg: Mein Gott, Carmen, ich mach’s! Ich mach’s! Carmen!

Er will abdrücken – und kann es nicht. Er lässt die Pistole sinken. Fischer entwindet sie ihm. Er reißt Fuchs an sich und drückt ihr die Pistole gegen  die Schläfe.

FISCHER: flüstert erregt Du hast ihn nicht erschossen! Obwohl ich es dir gesagt habe! Du hast mich angeguckt, als wäre ich ein Kind… Mich! – Weißt du was? Du gefällst du mir! Es macht nichts, dass du älter bist. Weil du anderes bist! Anders als diese … diese Leute hier! Es wird alles gut. Hörst du, es wird alles gut! I.ch werde es tun für dich, und dann werde ich dich kriegen! Ich bin 17, ich habe noch mit keiner Frau geschlafen, aber jetzt… – kriege ich dich! Und dann kann ich noch viele Frauen haben! – Ich will nicht verrecken, nur weil du zu feige bist, diesen Kerl aus dem Weg zu räumen! Zu feige! Was anderes ist es nicht! – I c h werde es tun!

Er behält sie im Griff und richtet die Waffe auf Hausmann-Sanchez. – Pause.

FUCHS: Warum tust du es nicht?

FISCHER: Er guckt mich an.

FUCHS: Du guckst dich an…

FISCHER: Was?

FUCHS: Erkennst du dich nicht -`in ihm?

FISCHER: Ich will nicht. – Ich darf nicht. – Mein Gott, was mach ich?! Ich kann ihm nicht in die Augen gucken! – Guckt auf Fuchs runter. Dich! Dich muss ich nicht sehen. Dir nicht in die Augen gucken! Ich hab dich! Ich spüre dich! Deine Angst! Deine Oberarme! Deine Brust! Dich werde ich fertig machen, dich … Mein Gott, wie du bettelst! Dein Körper …  Dass du leben bleiben darfst! Ruhig! Ganz ruhig…! – Ich hab dich bewundert, als du die Pistole auf die anderen gerichtet hast! Ich hab gedacht: Die macht’s! Ich hab gedacht: Die weiß, worauf es ankommt! Worauf es ankommt, wenn man leben will! Dass man vorn dran ist! Dass man die anderen wegscheucht vom Fresstrog! – Ruhig, ganz ruhig … Lächeln ..! Du musst lächeln … Er lächelt. Das Lächeln der Notwehr wird das letzte sein, was du siehst!

Fuchs versucht den Kopf zu drehen.

FISCHER: Nein! – Guck mich nicht an! – Du sollst mich nicht angucken! schreit und meint Hausmann-Sanchez Warum hast du nicht ihn erschossen!! Bevor sie den Kopf drehen kann, ein Schuss. Das Licht geht aus. Schreie.  Schüsse draußen. Stiefelgetrappel. Die Türen springen auf. Taschenlampen, die den Raum durchleuchten. Im Taschenlampenlicht Fischer auf dem Stuhl, auf seinen Knien der Kopf von Fuchs. Einschussloch in der Schläfe.

FISCHER: im Taschenlampenlicht Alles in Ordnung. Wir leben noch.

Black.

– Ende –

TRANSAKTION TRANSAKTION (2003)

Text: Mathias Neuber
Regie: Mathias Neuber

Neun Menschen, zufällig zur selben Zeit am selben Ort, einer Berliner Sparkasse, geraten in die Gewalt einer unsichtbaren Macht … Die Geiseln, mit der Forderung konfrontiert, zur Beschleunigung einer „Transaktion“ einen aus ihrer Mitte zu töten, sehen sich in einer ausweglosen Situation. Sie wehren sich. Das Ende jedoch steht fest von Anfang an: Einer wird sterben.

Was wie ein schlechter amerikanischer Krimi klingt, ist auch einer. Oder doch eine besonders abgefeimte Reality-Show?

Ensemble und Besetzung

Regie: Mathias Neuber
Darsteller:
Elke Noack, Julia Rau, Wenke Krestin, Alicia Kuhlmann, Gregor Torinus, Sandra Barthold, Jörg Huber, Linda Boswank, Benjamin Hantschke, Janett Bielau

Bühnenbild und Technik: Arne Buß, Robert Nickel

Premiere war am 3. Juni 2003

Über das neue Stück des Studentenwerktheaters „bühne 8“

Transaktion Transaktion

„Transaktion Transaktion“ heißt das neue Stück des Studentenwerktheaters „bühne 8“, das jetzt Premiere hatte. Der Ort der Transaktion ist eine Sparkasse, in der auch die neun Hauptdarsteller ihre eigenen Transaktionen (Überweisungen etc.) abwickeln wollen. Doch es soll dabei nicht bleiben.

Die Türen der Bank öffnen sich nicht, das Telefon versagt, nicht einmal die Handys funktionieren mehr. Doch die Sparkassenkunden sind nicht ganz auf sich gestellt. Eine nette Stimme der „Flugeinsatzleitung“ meldet sich über einen Lautsprecher und verkündet den Akteuren ihr Schicksal: „Sie sind Teil einer Transaktion!“ Ebenfalls Teil der Transaktion so11 es sein, einen Menschen zu erschießen. Eine der neun Geiseln soll sterben. Wer, das dürfen die Akteure selbst bestimmen. Wenn sie es nicht tun, werden alle sterben. Metaphorisch wird der abgeschlossene kamerabeobachtete Raum als Spaceshuttle bezeichnet. Ein Bild, das noch durch einen Vorhang unterstützt wird, der die Zuschauer von den Protagonisten trennt und als Hintergrund für die Videoszenen dient. Der Rahmen für das nun folgende Drama ist gesteckt. In einer Situation, in der die normalen Spielregeln der Gesellschaft außer Kraft gesetzt sind, wird jeder mit seiner eigenen Rolle konfrontiert. Die Akteure sind gezwungen, ihre Rollen zu spielen. Doch was wissen sie wirklich, können ihnen ihre Rollen weiterhelfen?

Neun verschiedene Charaktere, neun verschiedene Menschen, neun verschiedene Lösungsansätze. Wird das Recht des Stärkeren gewinnen, so dass der stirbt, der auch sonst immer verliert? Wie könnte es eine Einigung geben, sollen sie einen Anführer wählen? Oder können sie einfach ihre Augen schließen und abhauen? Die mitgebrachten Verhaltensmuster scheitern. Es entsteht eine Situation, in der es unabdingbar ist, zu kommunizieren. Nur geschieht dies nicht. Jeder behauptet seine Rolle, erklärt sein Schicksal, sieht nur seinen eigenen Horizont. Die Beobachtung durch die Kamera, aber auch durch die Zuschauer hinter dem Vorhang erzeugt eine eigene Realität, eine „Medienrealität“. In kurzen Zwischenszenen, die von dieser »Medienrealität“ getrennt sind, werden die nicht hörbaren, unterbewussten Dialoge erfahrbar. Hier gibt es ein Zusammen, ein artikuliertes Bedürfnis nach Nähe, nach Menschlichsein. Doch in der Sparkasse bleibt davon nicht viel übrig, denn das Unterbewusste tritt nie ohne Angst zutage. Und mit der Angst kommt die Aggression, die Überreaktion. Das Zusammenbrechen der gewohnten Rollen geht mit einem sichtbaren Verlust der Moral, mit einem fast triebhaften Drang zum Überleben einher. Der Drang zur Macht, zur Kontrolle, symbolisiert durch die geladene Waffe, beherrscht das Handeln der Protagonisten. So muss auch das Ergebnis dieser Bemühungen ein Versagen der Menschlichkeit sein. Die Rollen haben gesiegt, der Mensch bleibt auf der Strecke. „Transaktion, Transaktion“ entstand aus einer Improvisation der Schauspieler, auf deren Grundlage Mathias Neuber, der auch Regie führte, dieses Stück geschrieben hat. Somit ist jede Rolle den Darstellern auf den Leib geschrieben, was sich ein Grund für die beklemmende Authentizität des Schauspiels ist. Beklemmend wirkt es aber sicher auch durch den kleinen Raum der bühne 8, der sich in den fast zwei Stunden in eine wahre Sauna verwandelte. Selten wurde in einem Stück mitgefiebert, selten wirkte der Schlussakt so erlösend. Und doch blieben einige Fragen im Raum: Was war das jetzt eigentlich? Was wollten die „Entführer“ oder war es keine Entführung? Was ist das Ergebnis der Transaktion? Das Stück führt dem Zuschauer unsere „Medienrealität“ vor Augen. Wir können nun selbst entscheiden ob wir in ihr leben wollen, oder nicht.
– Diemo Kemmesies