Der Nazi als Rebell (2007)

1

Bärbel: Und das jetzt.

Pause

Bärbel: Und es ist wirklich amtlich?

Fred: Ist es. Trixi hat es aus dem Rathaus, und die vom Ministerium. Die Gelder sind gestrichen. Abteilung II und III.  Bärbel: Werden zusammengelegt!

Fred: Geschlossen.

Bärbel: Und das jetzt.  Die zwölfte Woche ist in zwanzig Tagen um!

Fred: Irgendwann mußte es uns mal erwischen. Und nun gleich doppelt.

Bärbel: Was?!

Fred: War nicht so gemeint. 

Pause.

Fred: Wenn es nicht mehr geht, gehen wir nach Kanada!

Bärbel: Die werden grade auf uns warten. Auf Sozialarbeiter! –

Fred: Wir leben von unserer Hände Arbeit da.

Bärbel: Ich träum auch gern, Freddy. Bäume fällen! Alles Stehn und Liegenlassen hier und abhauen.

Fred: Ich werd Versicherungsvertreter.

Bärbel: Du? Dich nimmt doch keiner ernst.

Fred: Nicht mal du?

Bärbel: Nicht mal ich, was das Geschäft betrifft.

Fred: Die Jungs – die nehmen mich ernst. Vertrauen mir.

Bärbel: Die ja. Die kenn’ die Welt noch nicht. Deshalb.

Fred: Nein, weil ich den Ton treff. Der sie anspricht. Denn sie kennen. 

Pause

Fred: Wenn es sein muß, treff ich den Ton von jedermann. Auch den von einem Vati aus dem Mittelstand. Wenn der sein Geld loswerden will. 

Bärbel: Wenn.

Fred: Hier! läßt sie in eine Zeitung blicken PowerPoint Service-GmbH. Da geh ich morgen hin. 

Bärbel: Meinst du, daß du das kannst?

Fred: Ich meine. Wir müssen schnell sein. Schließlich brauchst du, brauchen wir – wenn ich das richtig sehe -: Sicherheit.

2

Danny und Bulle. Sie treiben Sport.

Danny: Eins, zwei, drei … der Punkt ist, du kannst machen, was du willst … vier, fünf, sechs, sieben …. – Haust du dem Gutmenschen Bellmann eins in die Fresse, sagt der dir, dir fehlt die musische Erziehung, die sportliche auch, sonst wärst du schon abreagiert, du bist zu rational konditioniert, das …. acht, neun, zehn … schreit nach Ausgleich, nach menschlichem Kontakt, schöner Kontakt so eins in die Fresse, na besser als gar keiner, sagt der Bellmann, ich weiß wie’s gemeint ist; und gibst du ihm recht …. elf, zwölf …  und sagst, ja, es ist die Kindheit, meine Alten funktionieren nur, und dann Samstag früh am Frühstückstisch sind sie erledigt und .. dreizehn, vierzehn, fünfzehn … bellen sich an, verbietet er dir, fremde Gedanken zu denken, so was .. sechszehn .. hört er in jedem Sozialreport, sagt er, du aber bist einzigartig, ein Original, du mußt nur draufkommen, aber nicht … siebzehn, achtzehn ..  indem du fremde Hirne in dir denken läßt; läuft aber … neunzehn .. das Original schließlich Amok, weil es die beschissne Originalität in sich nirgendwo … zwanzig …. entdecken kann, erklärt dir Bellmann mit durchlöcherter Brust im gemeinsamen Sterben mit den mindestens 27 von dir mithingerichteten Lehrerkollegen .. einundzwanzig …  wer Schuld hat daran, daß du nicht vordringen konntest zur humanen Seite deiner Einzigartigkeit, die .. zweiundzwanzig, dreiundzwanzig … Gesellschaft nämlich .. vierundzwanzig, verdammt, einer geht noch … so ein Bellmann kann nicht begreifen, daß ich Durchschnitt bin und Durchschnitt sein will, daß wir alle nur Durchschnitt sein können .. fünfundzwanzig, das reicht … und wirst du, ausgestattet mit dieser Erkenntnis Nationalsozialist und nicht Linker, so …. nein, das versteht er dann nicht. 

Bulle: Sag ich doch. 

Danny: Aber auch als Nationalsozialist bist du nur ein Hampelmann an den Strippen .. 

Bulle: .. des Weltjudentums. 

danny: Ach, diese Parolen immer. 

Bulle: Nicht mehr lange. 

Sie öffnen jeder ein Bier und trinken es auf ex.

Danny: Was nicht mehr lange? 

Bulle: Kannst du dir aussuchen. 

Sie trinken ein weiteres Bier in schnellen Zügen leer. Und dann noch eins.

Bulle: Morgen eins mehr!

Danny: Ich kann noch. 

Sie öffnen ein weiteres Bier.

Bulle: Punkt drei der Ertüchtigung. Einüben ins Gemeinschaftsleben.

Beide mit Hitlergruß, brüllen:

Danny + Bulle: Deutschland! Sieg heil! Sieg heil! Sieg heil!

3

Bärbel: Wie war der Job?

Fred: Ich bin ins Haus, das angegeben war. Bessre Gegend draußen. Stille Straßen. Da eine Villa. Ein Flur im Keller, Kaffeeautomat. An den Wänden Diagramme. Verkaufsergebnisse mit Namen. Die letzten rot, die sprangen mir ins Auge. Kurzes Gespräch an einem Schreibtisch, der schickt mich weiter ins Best Western. Ungefähr zweihundert Leute, meine Sorte. Im schwarzen Anzug, Haare angeklatscht. Rhythmisches Gestampfe, Geschrei aus hundert Kehlen von Ertrinkenden: Ich glaub an den Erfolg! Der Rest schreit nicht und wird hinausgeschickt. Ich schreie. Hier ist Dienst, und Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps, und draußen bist du frei. Der erste Anlaufpunkt sind unsre Freunde. 

Bärbel: Unsre?

Fred: Deine und meine. Was ist dabei? Ich rede, was ich immer rede: Fußball, die letzte Party, irgendein Geburtstag. Komme irgendwann – das ist der Dienst und neu – aufs Alter. Da tu was für! – Ja, wie? – Das zeig ich dir! – Das zeigst du mir? – Ja, ich mach das für den PowerPoint. Service GmbH. – So, das machst du? – Ja, das mach ich. – Und? Verdient man gut dabei? – Das hängt von dir ab, Onkel Willy. 

Bärbel: Ha! 

Fred: Das .. sag ich natürlich nicht!

Bärbel: Zu Onkel Willy also gehst du!

Fred: Zu Onkel Willy. Buchhalter in der DDR, selbstständig als Baugutachter nach der Wende. Viel Willen, nicht das richtige Talent und dann das Herz. Aber es geht. Bis jetzt. Der macht sich Sorgen, wenn er hört: Rente ab 67. Solange hält der nicht mehr durch. Der ist richtig, denk ich. Der tut was für sein Alter. Der tut dir was.  – Weißt du, sagt er, ich würd’ dir helfen. Wenn ich könnte. Nur hier war schon einer. Und ich zahle. Ob ich’s auch genießen werde, steht in den Sternen. Und das Telefon, sagt er. Jeden Tag die Telekom. Doch ich hab schon DSL. Nur nicht von denen. Und jeden Tag im Internet den BMW, den ich gewinnen kann, wenn ich …  Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich klicke nicht, ich bin immun. Ich mein, was ich noch zahlen kann, das kriegen die Versicherungen. Die fürs Alter und die fürs Sterben, daß mein Sohn nicht zahlen muß, wenn irgendwer, ich weiß nicht wer – ich war mein Leben Kommunist – den Daumen senkt.  Das ist Onkel Willy. Da hab ich also mal geschwatzt. Der Job hat auch sein Gutes.

Bärbel: In dreizehn Tagen brauch ich …

Fred: .. brauchen wir! .. 

Bärbel: .. Genau. 

Pause.

Fred:  Sicherheit, jaja. 

Pause.

Fred: Unsre Verwandtschaft, denk ich, da ist nichts zu holen. Also bin ich auf die Baugrundstücke. Wo die Familien wohnen. Kleine Kinder .. 

Bärbel: Und?

Fred: Auch nichts. Die haben mit dem Bauvertrag …  das ist irgendwie … alles kombiniert. Versicherungen und Finanzdienstleistungen.

Pause.

Fred: Dann zeigt mir einer seinen Keller. Da soll ‚ne Sauna rein. Da brauch der Fliesen. Ob ich einen Fliesenleger kenn. Also, was der meint, ist: Schwarz. 

Pause.

Fred: Und ich kenn da einen, Vater von ‚nem Kid, der kann das. Fliesen legen. Der verdient da. Und der lernt mir das. Und dann zieh ich mit. Weißt du was, ich leb jetzt in den Tag.

Bärbel: Das ist mir keine Sicherheit.

Pause.

Bärbel: Was ich mein, ist: Ich weiß nicht, ob du der Mann bist für mein Kind. 

Fred: Der Vater!

Bärbel: Du weißt den Weg nicht. Guckst mal hier und guckst mal da. Schuster bleib bei deinen Leisten. Bäcker bleib bei deinen Brötchen. Sozialarbeiter bleib … 

Pause.

Fred: … in der Gesellschaft? Wenn dich der Staat bezahlst! Dann bleibst du! 

Bärbel: trotzig Nur als Profi hast du eine Chance! Du bist Sozialarbeiter!

Fred: trotzig Ich wiederhole: Wenn dich der Staat bezahlt!  –

Bärbel: Dem was einfällt, der bleibt oben!

4

Danny und Steve.

Steve: Dieses Stück Scheiße! In der U-Bahn. Schwarz die Haut vor Dreck und tut stinken, daß der Waggon leer ist. Das linke Hosenbein – eingeseecht! – „Bist du ein Mensch?! sag ich zu ihm. „Bist du etwa ein Mensch?“ Und hau ihm in die Fresse! So! –

Deutet den Schlag gegenüber Danny an und trifft ihn.  

Danny: Eh! 

Steve: Sowas hat der auch gebrabbelt. 

Schlägt noch einmal zu – Danny geht zu Boden.

Danny: Warum machst du das? 

Steve: Warum ich das mache? Kann man sich wohlfühlen hier? Mit so einem Stück Scheiße, wie du es bist?

Er reißt Danny hoch und schlägt noch einmal.

Steve: Und frag mich nicht, was ich mir dabei denke! Ja nicht! Erst handeln, dann denken, kapierst du! Den Instinkten folgen! Denn die sind echt! Und nur das Echte überlebt, begreifst du das? Das ist die neue Weltanschauung! Begreifst du das in deinem Affenhirn! Nur das Echte überlebt! Die Elite! Doch du bist Dreck! Du bist weniger als Dreck! Du bist Abschaum, Abfall und Kloake! Sag, was du bist.  – Danny: Ich bin Abschaum, Abfall und Kloake! – Steve: Und warum? Warum bist du Abschaum, Abfall und Kloake?  – Danny: Ich kann nichts dafür. Das Leben ist schief gelaufen. – Steve: Schief gelaufen! Du kannst nichts dafür! Du hättest dir was einfallen lassen müssen! Nur, wem was einfällt, bleibt am Leben! Aber dir kann nichts einfallen! Denn du bist defekt! Von Anfang an defekt! Ausgerottet – das gehörst du! 

Danny: Und du? Du überlebst? 

Steve: Maul halten! 

Pause

Steve: Ich bin Elite!

Pause

Steve: Nach dem Überleben hat der nicht gefragt. Der war stumm. Hat gezittert und gesabbert. Und wenn der was gesagt hätte, wenn der ein Wort gesagt hätte, hätt’ ich ihn stumm gemacht!  –

Danny: Hast du doch! 

Steve: Hab ich. Aber nicht richtig. Noch nicht richtig! War nur Training.

Danny: Training.

Steve: Training. Das hier:

Er reißt Danny an den Ohren hoch, schlägt ihm ins Gesicht, donnert ihn gegen die Wand, springt vom Tisch auf ihn – zuletzt uriniert er auf ihn. – Danny während der ganzen Tortur brüllt:

Danny: Heil Heil! Heil! 

Steve: hält ein  Mann! Idiot! Was brüllst du das! Du bist der Jude! 

Danny: Ich bin der Jude. Das Opfer. Wer nicht das Opfer sein will, paßt sich an und überlebt. Ich überlebe. Ich bin der Durchschnitt.

Steve: Quatsch! Das war nur Spiel! Du bist Elite! Du gehörst zu uns!

Danny: Ich bin Durchschnitt. Der Durchschnitt paßt sich an.

Steve: Warum bist du dann bei uns?

Danny: Wegen der Konsequenz. Der Durchschnitt braucht das: Konsequenz! Wir sind die Konsequentesten.

Steve: Und Konsequenz, das heißt …  Jude! … Sprich!

Danny: Wenn ich einen Führer hab und folge. Bedingungslos.-

Steve: So ist es gut.

Sie öffnen mehrere Flaschen Bier und trinken sie schnell hintereinander aus. 

Danny: sieht Steve in die Augen Führer befiehl, wir folgen dir! –

Steve: Ich? 

Danny: Bis es einen bessren gibt.

Steve: Wir beide sind unschlagbar!

Sie schlagen die geöffneten Hände gegeneinander.

Beide: Sieg heil! Sieg heil! Sieg heil!

5

Fred: Kennst du das? Am Abend eines Tages geht dir alles durcheinander. 

Bärbel: Du hast gearbeitet. Du hast dein Gewissen beruhigt. Als Schwarzarbeiter. Eine Lösung ist das nicht. Meinst du das? 

Fred: Morgen hab ich Arbeit. Und übermorgen. Dann nicht mehr. Ich muß leben wie der Vogel unterm Himmel. Um Nahrung, Obdach mich nicht sorgen. 

Pause.

Fred: Das ist eine andere Perspektive. Da siehst du auf die Welt der Planung voll Bewunderung.

 Bärbel: Ich würde auch gern planen. In die Zukunft denken, nicht sie abschreiben. 

Fred: Ich weiß. 

Bärbel: Und machst nichts.

Fred: Ich kann nicht. Morgen nicht und übermorgen. Und dann auch noch nicht. 

Bärbel weint.

Fred: Ich denke – auf dem Bau, ein Einfamilienhaus, der Bauherr war am Krankenhaus, jetzt hat er eine Praxis, Schönheitschirurgie, 50 km weiter, Göttingen – ich denke: Man muß sich einen Inhalt suchen. Wenn man keinen hat. 

Bärbel: Wir haben einen. Hatten. Wenn du nichts machst. 

Fred: Es muß ein andrer her.

Bärbel: Wenn du nur handeln würdest.

Fred: Ich würde ja was machen. Wenn ich nur planen könnte.  –

Bärbel: Könnte, könnte. Du mußt es machen. Ich kann jetzt nicht. Und will jetzt nicht. 

Pause

Bärbel: Ich will das Kind. 

Pause.

Fred: Vorhin .. Also … nach dem Job geh ich zum Vietnamesen. Imbiß in der Bahnhofshalle. Und treff den Jörg. 

Bärbel: Welchen Jörg? Rositzky?

Fred: Rositzky.

Bärbel: Und der redet mit dir!

Fred: Spricht mich an. Begrüßt mich nun als Seinesgleichen.  –

Bärbel: Was?!

Fred: Als Ausgegrenzten, und verfolgt vom Kapital. Kapitalismusopfer. 

Bärbel: Und du?

Fred: Ich? Ich lächle sauer. Halt den Mund und höre zu. 

Bärbel: Als wärst du noch im Job.

Fred: Als wär ich noch im Job.  – Was ich begreife, ist: Der plant. Plant in Osterode was zu Ostern. 

Bärbel: Das Osterfeuer der Gemeinde.

Fred: Wieder mal. 

Bärbel: Wir wollten das verbieten lassen, weißt du noch. 

Fred: Jahr um Jahr.

Bärbel: Und jetzt erzählt er dirs!

Fred: Ich höre nur: Der plant. Hat eine Zukunft.

Bärbel: Und seine ‚Kameraden’ auch. Nur ist es eine Illusion.  

Fred: Nicht für ihn. Er hat sein Segment im Markt. Und dafür gibt es Geld. 

Bärbel: Vom Staat über die NPD.

Fred: Ja, vom Staat auch. 

Pause.

Fred: Ich denke, da am Imbißstand, der hat, was wir brauchen. Ein Produkt, für das ein Markt da ist.

Pause

Bärbel: Der hat den Markt, den wir zu unsrem machen müssen. 

Pause.

Fred: Womit wir noch einmal ganz am Anfang unsrer Überlegung sind. 

Bärbel: Nicht ganz.

Pause.

Bärbel: Osterode, das Osterfeuer muß ins Fernsehn. 

Pause.

Bärbel: Als ein Event , noch größer als Rositzky und die Nazis planen.

Pause.

Fred: Ich verstehe. 

Bärbel: Verstehen reicht nicht. Denk an unser Kind. 

Pause.

Fred: Ich weiß nicht.

6

Gepackte Rucksäcke.

DannY und Steve: singen  Es ist so leicht zu ignorieren[1] / Wenn sie schon wieder aufmarschieren / Und wieder sagen alle / Sie hätten nichts gewusst / Von National-Befreiten-Zonen / Und dem Asylbeschluss — Stehn mit Bier an der Rampe. — Danny:  Ich bin Mistgesocks!

Steve: Ich bin Gesindel, Abschaum und Anarcho-Schwein!

Danny:  Ich bin anders!

Steve:  Ja. – Hahaha! 

Pause. Sie trinken.

Beide: Ladies and Genteman: Nur heute und nur für Sie: Sind wir Zecken!  — Singen. — Wenn so viele schweigen / Müssen wir noch lauter schreien / Und noch mehr schreien / Damit uns trotzdem jemand hört / Wenn so viele schweigen / Müssen wir noch lauter schreien / Du bist nicht allein / Es liegt jetzt nur an Dir und mir / Wie lange wollt ihr noch zusehen / Bis ihr das überhaupt versteht / Rostock, Hoyerswerda / Auch wenn es niemand gern erwähnt / so vertreten echte Deutsche / Ihre Nationalität

Steve: Die Bullen!

beide: singen Vor euren Wasserwerfern, und euren Räumfahrzeugen. […] Keine Angst vor euch! Wenn ihr im Gleichschritt auf uns zugeht. Keine Angst vor euch! [2]

Aktionen (Tritte, Steine schmeißen etc.) in Richtung Publikum.Simulierter Sieg. Gewalttätiger Tanz. Plötzlich:

Steve: Die Nazis!

Stille.

beide: Wir sind nicht die ersten / Und werden sicher nicht die letzten sein / Die sich dem Wahnsinn in den Weg stellen / Und wir sind nicht allein

Aktionen (Tritte, Steine schmeißen etc.).Simulierte Niederlage. – Später stehen sie auf, schauen auf den Boden, als lägen da die Leiber, die sie verlassen haben, schlagen die geöffneten Hände gegeneinander.

Steve: Auferstanden aus Ruinen! Kamerad, Sieg heil! 

Danny: Kamerad, Sieg heil!

Singen.

beide: Rostock, Hoyerswerda / Auch wenn es niemand gern erwähnt / so vertreten echte Deutsche / Ihre Nationalität! — An der Rampe.  — Wir sind anders! -. Autonom!   – Nationalist!  – Wir sind anders! 

Steve: Auf nach Böhmen! 

Danny:  Böhmen! — Sie schultern die Rucksäcke. Dabei nimmt Steve ein Buch vom Tisch. ‚Das Tagebuch der Anne Frank.’ — Steve: Was ist das? 

Danny: Keine Ahnung, muß von meinen Eltern sein. Die bringen manchmal sowas mit, von Arbeit. 

Steve: wirft das Buch zurück Vorwärts, Kamerad!

Danny: Vorwärts! Auf nach Böhmen! 

Sie gehen.

7

Sonntagmorgen, in der Ferne Glockengeläut. Bärbel sitzt starr vor ihrem Teller,  der still essende Fred bemerkt ihren Zustand. Sie springt auf und rennt hinaus. Man hört sie draußen brechen. – Sie kommt  wieder herein und sitzt vor ihrem Teller. 

Bärbel: Ist bald vorbei, ich hab den Termin. 

Pause.

Fred: versucht die Stimmung aufzulockern Dein Sohn ist zurück.

Bärbel: Wann ist er gekommen?

Fred: In der Nacht.

Bärbel: Wo war er?

Fred: Hat er nicht gesagt.  

Pause.

Fred: Er sieht anders aus.

Bärbel: Wie anders. 

Fred: Wie unsere Klientel.

Bärbel: bitter Als es noch unsere Klientel war. – Was?!!

Fred: Ja. Genauso. 

Bärbel steht auf und Danny kommt herein in einer Art Uniform. Alles sauber und adrett. 

Danny: Morgen. 

Er setzt sich an den Tisch, schenkt sich Kaffee ein und beginnt zu essen. Pause. Bärbel und Fred gucken Danny ihn nicht an.

Bärbel: Am Donnerstag hat Herr Bellmann angerufen. 

Danny: Ahja. 

Bärbel: Danny, wo warst du. Du warst eine Woche nicht in der Schule. 

Danny: nicht ohne Ironie Ich hab einen Workshop mitgemacht. 

Bärbel: setzt sich, mit Blick auf ihn Einen Workshop! 

Danny: Man könnte auch auf gut deutsch sagen, Werkstatt. So eher in die physische Richtung.

Bärbel: Wo warst du. 

Danny: In Böhmen.

Fred: Wo?!

Danny: Genauer: Sudetenland Wenn dir das was sagst. In Brücke. 

Fred: Wo?

Danny: In Brücke.

Fred: Wie heißt das auf tschechisch?

Danny: Keine Ahnung.

Pause.

Bärbel: Und was soll dieses Outfit?

Danny: Ja, das ist jetzt meins … meine Kleidung. – Eben. Man könnte auch Kleidung dazu sagen, nicht wahr?

Fred und Bärbel sehen sich an. – Pause.

Danny: Was ist? Schmeckt’s nicht?

Bärbel: Nein, es schmeckt nicht. 

Danny: Wird schon wieder.

Er steht auf und geht. 

Fred: bevor er hinaus ist Und am Montag in die Schule, klar!

Danny ab.

Bärbel: Lieber nicht. So wie der aussieht. 

Pause

Bärbel: Sag was! 

Fred: Was soll ich da sagen.

Bärbel: ‚Und am Montag in die Schule, klar!’ – Du redest mit ihm wie mit deinen Nazis. 

Fred guckt sie bedeutungsvoll an. – Pause.

Bärbel: Wenn wir wieder in unserem Job zurück sind … bis dahin .. Fred guckt sie  an …  muß das Kapitel beendet sein! 

Fred: Als Fachmann muß ich dir sagen ..

Bärbel: schreit Hier geht es nicht um das Fach, hier geht es um die Familie! 

Pause.

Bärbel: Mein Gott, das Hinterland muß sauber sein!

Pause. 

Bärbel: Nicht?!

Fred: Du hast gar keinen Termin?! Du hoffst noch!

Bärbel: Ich will die Familie. Ihn und dich und .. 

Fred räumt den Tisch ab.

Bärbel: Ich hab noch nichts gegessen. Und ich muß essen!  –

Fred stellt die Speisen wieder auf den Tisch. – Black.

8

Bärbel an der Rampe.

Bärbel: Der RSL. Die Redakteurin damals über die Barackenkinder. Sie war zuerst vor Ort und nicht der MDR. Ich hab sie informiert. Das hab ich gut bei ihr.  – Der nächste Schritt ist schwerer. Rositzky, Jörg. Die Bender-Villa. Unten residiert das Anhaltiner Blättchen. Man hört, es gibt Verbindungen nach oben: Breite Treppe, Absatz lichtdurchflutet. Zweiflügelige Tür: Rositzky, Landtagsabgeordneter. – Da sitzt er. Blaues Hemd mit Schlips und Weste. Durchblättert sein Gehirn. Ich kenn Sie, sagt er. Weig­and, Barbara. Sozialarbeiterin: Einsatzfeld: Die rechte Jugend.  – Ja, sag ich. Bis vor drei Wochen.  – Und nun? – Will ich, sag ich, zurück. Dem Staat die Jugend schaffen, die der sich vorstellt.  – Aber, sagt er, der hat kein Geld? Für seine Vorstel­lungen?  – Der Staat, sag ich, wenn man ihm Druck macht, hat er welches.  – Und wer soll Ihre Lobbyarbeit machen?  – Ihr, sag ich.  – Pause.  – Osterode, sag ich. Was für Bücher werft ihr in das Feuer? – Ein Brauenhochziehn hinterm Schreibtisch. Davon sei keine Rede.  – Bis jetzt noch nicht.  – Nein, er wär Politiker. Betriebe das Geschäft seriös.  – Seriös ist alles, stimmt nur das Ergebnis. Die rechte Jugend, sage ich, in heilgem Ernst. Zu sehen in ganz Deutschland im Privatkanal. Der Text dazu ist vorgeschrieben, die öffentliche Meinung sieht Entrüstung vor. Auf die hört aber keiner, sind die Bilder stark. Mit heilgem Ernst die rechte Jugend. Was für Bücher werft ihr in das Feuer? – Pause.  – Nein, sagt er, bisher war davon keine Rede.  – Und wenn dann auf dem Scheiterhaufen, sag ich, nicht nur linkes, sondern kommerzielles Denken brennt, geht einem, während es verglüht, linkes Denken selbst ins Netz. Was für Bücher werft ihr in das Feuer? – Was denn wäre kommerzielles Denken? Beispielsweise?  – Ins Feuer, sag ich, mit Bekenntnissen von deutscher Schuld, die Heuchelei sind: Weil der Bekennende (gedrängt zum rechten Zeitpunkt) maßlos am Skandal, der keiner ist, verdienend, sich selber überführt. Sie kenn’ den Namen? Sie werden punkten, sage ich, beim Feuilleton.  – Er guckt auf mich – fast wie ein Bruder.  – Gut, sage ich, der Vorschlag war die Morgengabe. Was Sie für mich tun müssen, ist: Dies – sie zieht das ‚Tagebuch der Anne Frank’ aus der Tasche – auch ins Feuer werfen. Wenn das Fernsehn da ist. So der Deal.  – Er steht am Fenster – dreht sich, ratlos, um. Und Ihre Überzeugungen? – Ich muß leben, sage ich. Und – und während ich das sage, lebe ich ein bißchen – nicht nur ich.  – Er setzt sich, nimmt das Buch. Und wirklich keine Überzeugung mehr? – Ihre, Herr Rositzky, sag ich, wird bedient. Und rechnet sich für mich. Das zählt.  – Ich verstehe, sagt er. Na, uns schadet’s nicht. Währ­end Sie dem Staat die Jugend, die er sich vorstellt, schaffen, schafft der sich eine andre.  – Ich hab sie vor mir, sag ich.  – Ja, sagt er, die Osternacht in Osterode.  – Abgemacht, sag ich.  – Was wollt ihr, Freunde. Wir verstehen uns. Das ist der Lauf der Welt.

Ab.

9

Danny und Steve in Schulbänken, frontal zum Publikum. Steve trägt Uniform; Danny Alltagskleidung.

Danny: Rositzky erzählt dem Freund meiner Mutter, daß er zu Ostern was in Osterode plant. Der erzählt’s zu Hause meiner Mutter, und die sagt: Der, im Gegensatz zu uns, hat eine Zukunft. Weil es die Rechten gibt. Die sind der Markt, um den es geht, und der hat seinen Anteil daran. Es ist der Markt, der auch unsrer war, und ich will meinen Anteil zurück. Osterode, das Osterfeuer muß ins Fernsehn. Und geht zu Rositzky und drückt  ihm das ‚Tagebuch der Anne Frank! in die Hand, daß wir das ins Feuer werfen, wenn das Fernsehn da ist, und das Land aufschreit und die linken Gutmenschen und Umerzieher wieder bezahlt.  – Ich will ich sein. Nicht eine Marionette in der Hand meiner Mutter. 

Steve: Immerhin, wir kommen ins Fernsehn! 

Danny: Sie sind überall. Verseuchen alles. 

Steve: Wir lassen uns nicht verseuchen. 

Danny: Nein, wir spielen nur. Wir machen nicht wirklich ernst. Sind nicht wirklich. 

Pause.

Danny: Ich will der sein, den ich spiele. In einer Wirklichkeit. singt Die Fahne hoch! / Die Reihen dicht geschlossen! / SA mar­schiert /  Mit ruhig festem Schritt / |: Kam’raden, die Rotfront  / Und Reaktion erschossen, / Marschier’n im Geist / In unser’n Reihen mit 😐

Steve applaudiert. – Stimme aus dem off.

Stimme: Magdeburg, 12. Juni, Rudolf-Breitscheid-Gymnasium, Abiturprüfung 2006. Fach ‚Politische Bildung’. Anwesend: Danny Weigand, Steve Wagner, Dr. Kurt Bellmann, Prüfer. – Nennen Sie sozial­politische Ursachen für die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 und schildern Sie deren Vorgehen. 

Steve: Zur Machtergreifung kam es, weil Deutschland sich wieder zu Deutschland bekannt hat. Und weil es einen Führer gab. Eine gute Zeit.

Danny: Der Versailler Vertrag und die Folgen der Weltwirtschaftskrise der zwanziger Jahre vermittelten der deutschen Bevölkerung das Gefühl, betrogen zu sein. Hitler verpasste mit der NSDAP bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 nur knapp die absolute Mehrheit.  Der Brand des Reichstagsgebäudes in Berlin am 27. Februar 1933 veränderte die Situation. Die Nationalsozialisten behaupteten, dass der Brandanschlag ein kommunistischer Umsturzversuch sei, und schufen sich mit der darauf erlassenen Notverordnung die Möglichkeit, unter Aufhebung der garantierten Grundrechte gegen die Opposition vorzugehen. Die vollständige Machteroberung gelang den Nationalsozialisten durch das Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933. – Unser Lehrer, Herr Bellmann, erläutert zusätzlich: Eine ideologische Grundlage des Nationalsozialismus ist die Anfechtung der Menschenwürde, nach welcher der Mensch seinen Wert als solcher besitzt, das heißt ohne alle Leistung. Die Grundwerte des Nationalsozialismus waren darum weder neu noch auf eine bestimmte historische Zeit beschränkt. Sie sind die der Leistungs­gesellschaft, nur eben radikal und total. Die Inszenierung der Arbeit, des Körpers, der Technik, das Absinken der Künste auf die Beschwörung des Willens ist genauso Ausdruck dieser Sicht des Menschen, wie das System der Arbeitslager und die Vernichtung sogenannten „unwerten Lebens“ Stimme: Korrekt. So habe ich das gesagt. Schildern Sie Ihre Meinung, Herr Weigand!

Danny: Ich habe keine, Herr Bellmann.

Pause

Stimme: Herr Wagner. Wenn ich könnte, wie ich wollte, bekämen Sie volle Punktzahl. Dafür, daß Sie eine Meinung haben.  – Ihnen, Weigand, gratuliere ich zur bestandenen Prüfung. Auf Wiedersehen. 

Pause.

Danny: Ich, ein schwacher Mensch, will nicht lügen, will nicht ausweichen, will nicht vor der herrschenden Meinung zu Kreuze kriechen! 

Steve: Dann – schwach, wie du bist – muß sie brennen. Ausgerottet werden. 

Danny: Das reicht nicht. Die Lügner müssen brennen. 

Black.

10

Bärbel und Fred.

Bärbel: Heute ist die 14. Woche, der 95. Tag exakt, wenn ich die Nacht als Auslöser nehme, die ich als Auslöser nehmen will, weil wir in ihr Pläne geschmiedet haben.

Fred: Ich kann mich nicht erinnern. 

Pause.

Fred: Aber hast du nicht gesagt … die 11. Woche .. Es ist die 11. Woche! – Die Tasche ist gepackt! Donnerstag ist dein Termin! –

Bärbel: Ich habe dich belogen.

Fred: Bärbel?

Bärbel: Ich wollte entscheiden. Und ich habe entschieden.  –

Pause.

Fred: Und nun? 

Bärbel: Bleibt unser Kind. – Ein Mädchen: Josy. 

Fred: Und wer bezahlt das? Dieses Aufwachsen von … Nein, ich werde einen Namen nicht aussprechen, der noch gar nichts meint. 

Bärbel: Josy. Hier ist sie. Legal geht sie nicht mehr von dieser Welt.  Fred: Und du läßt sie durch den Staat auffüttern! Wenn man das Auffüttern nennen kann. Die Brocken, die er ihr hinwirft.

Bärbel: Ein Aufschrei wird durch das Land gehen.

Fred: Was!?

Bärbel: Beinahe wäre ein Mensch getötet worden! – Aber deshalb gibt es keinen Aufschrei.

Fred: Was?

Bärbel: Alles wird gut, du wirst sehen.

Fred: Ich verstehe dich nicht. 

Bärbel: Du verstehst meine Zusammenhänge nicht.  – Das ist so, wenn man schwanger ist. Man hat einen anderen Blick, man sieht sie auf einmal.

Fred: Die Zusammenhänge .. ?

Bärbel: Nie davon gehört? 

Fred: Ich zieh den Hut vor deinem Mysterium.

Bärbel: Du wirst noch vor ganz anderen Dingen den Hut ziehen. Zeichen werden geschehen. Und dann das Wunder.

Fred: Das Kind, ha!

Bärbel: Nein, vom größten aller Wunder red ich noch nicht.  –

Fred: Bärbel .. Ich fühl mich sehr allein. 

Bärbel: Los der Väter. Und derer, die keine sein wollen.  – Wo gehst du hin? 

Fred: Ich versteh deine Andeutungen nicht. Ich tappe im Nebel.  –

Bärbel: Tapp weiter. Du hast eine Frau, die vom Geschäft was versteht. Ich bin stark für zwei. Zwei Kinder. Ordne dich einfach unter. 

Fred: Danny ist kein Kind mehr 

Bärbel: Doch. – Und ich meinte drei. 

Fred: Was?

Versteht.  –

Bärbel: Komm. Komm zu mir, Kind. 

Black.

11

Ein Art Urne, in der ein Feuer brennt. Daneben Danny und Steve in Uniform. Feierlich mystische Atmosphäre.

Danny und Steve: Ewiger Wald, ewiges Volk / Es lebt der Baum wie du und ich / Er strebt zum Raum wie du und ich / Sein Stirb und Werde lebt die Zeit / Volk steht wie Wald, in Ewigkeit

Danny zitiert in denunziatorischer Absicht aus dem ‚Tagebuch der Anne Frank’.

Danny: ‚Vater wurde in Frankfurt geboren, als Sohn steinreicher Eltern. Michael Frank hatte eine Bank und war Millionär geworden, und Alice Stern, Vaters Mutter, war von sehr vornehmen und reichen Eltern. Michael Frank war in seiner Jugend nicht reich gewesen, hat sich aber ordentlich hochgearbeitet. Vater führte in seiner Jugend ein richtiges Reicher-Eltern-Sohn-Leben, jede Woche Partys, Bälle, Feste, schöne Mädchen, Tanzen, Diners, viele Zimmer und so weiter. All das Geld ging nach Opas Tod verloren, nach dem Weltkrieg und der Inflation war nichts mehr davon übrig. Aber es gab noch genug reiche Verwandte. Vater ist folglich prima-prima erzogen worden und musste gestern schrecklich lachen, weil er das erste Mal in seinem 55-jährigen Leben bei Tisch die Bratpfanne ausgekratzt hat. – Mutter war nicht so reich, aber doch auch ganz wohlhabend, und deshalb hören wir oft mit offenem Mund die Geschichten von Verlobungen mit 250 Gästen, von privaten Bällen und Diners. – …. Ich versichere dir, dass ich keinesfalls auf ein so beschränktes Leben aus bin, wie Mutter und Margot sich das wünschen. Ich würde gern ein Jahr nach Paris und ein Jahr nach London gehen, um Sprachen zu lernen und Kunstgeschichte zu studieren. Vergleich das mal mit Margot, die Säuglingsschwester in Palästina werden will. Ich male mir immer schöne Kleider und interessante Menschen aus. Ich will etwas sehen und erleben in der Welt, das habe ich dir schon öfter gesagt, und ein bisschen Geld kann dabei nicht schaden!’

Er behält das Buch in der Hand; wenn sie nun wieder ihre Beschwörung dagegensetzen. 

Danny und Steve: Ewiger Wald, ewiges Volk / Es lebt der Baum wie du und ich / Er strebt zum Raum wie du und ich / Sein Stirb und Werde lebt die Zeit / Volk steht wie Wald, in Ewigkeit

Danny:  Ich übergebe dem Feuer:

Er wirft zu den folgenden Sprüchen einzelne Seiten des Buches ins Feuer.

Danny: Das ‚Ich bin arm und ihr seid reich’! / Das ‚Sowohl als auch!. / Das ‚Einerseits und andererseits’! / Das ‚Hier und da’ / Das ‚Ihr und wir’! / Das ‚Gibst du mir, so geb ich dir’! / Und noch einmal: Das ‚Ich bin arm und ihr seid reich’!

Er will das gesamte Buch ins Feuer werfen

Steve: Halt!

Danny: Was?!

Steve: Das ist der Deal zwischen deiner Mutter und Rositzky. Das brauchen wir in Osterode!

Danny: schreit Gibst du mir, so geb ich dir! Ins Feuer damit!

Er hält das Buch übers Feuer, tut es nicht. 

Steve: Danny! Die Schwarte! Zu mir! 

Danny gibt sie ihm.

Steve: Das war das Training, jetzt kommt der Ernst. Auf nach Osterode!

Sie gehen, das Feuer brennt weiter.

(12)  Danny und Mutter (Bärbel) – die Mutter will an Ostern einen Ausflug mit der Familie machen – teilt Danny ihre Schwangerschaft mit  – Danny schweigt zu allem; sagt dann nur, daß er zu Ostern in Osterode ist: Ihr in den Job verhelfen, oder sie endgültig herauskatapultieren (wenn er die Sache aufdeckt) – : Er hat sie in der Hand, weil es eine Moral gibt, an die sich keiner hält: Er will was anderes, er will sich an was halten 

(13) der Dienstag nach Ostern, Danny ist nicht mehr zu Hause gesehen worden – die Eltern schauen im TV Osterode – besonders empört den zum Interview eingeblendeten Minister­präsidenten das Verbrennen das Tagebuches der Anne Frank – dann wieder Berichte aus Osterode: Bärbel ver­sucht vergeblich Danny zu entdecken  – Danny verschwindet damit aus dem Stück  — der Grundge­danke hier (der Mutter): daß es sich bei den Nazis um eine Sekte handelt – Sekten hat es immer gegeben, weil die Welt immer unvollkommen war – Leben heißt, sich, seinen Platz einrichten in der Unvoll­kommenheit – Was gibt ihr recht? – Daß alles stabil ist, was nach dieser Devise handelt (Der Pragmatismus gegen die Verstiegen­heiten des Ostens!) – daß die BRD seit 50 Jahren stabil ist — Fred, der TV schaut, meldet sich: Hier! Hier bist du!

(14)Rede von Bärbel auf einer Gegendemonstration im TV – ihr Bild frontal auf dem TV – auf der Bühne ist sie live von hinten zu sehen

(15) .. beginnt mit Bärbel: (Rampe) – der Herr Ministerpräsident ließ mir durch seinen Untersekretär ausrichten …  daß die Gelder – präventativ  – genehmigt sind – das heißt: Danny wird verloren gegeben ..  – Bärbel: Verlust ist der Preis des Überlebens .. Verlust ist Leben, man muß ihn akzeptieren —— Was? Wenn ich das Kind in meinem Bauch verlöre? Nein. Das könnte ich nicht akzeptieren. Wofür habe ich denn das alles gemacht? – Nein! Nicht für mich! Für eine Zukunft! Ohne Kinder keine Zukunft!  – Aber ich muß Schluß machen. Der Herr Ministerpräsident tritt auf. Was? ich soll lesen? – Bärbel liest ……  ( … eine Stelle von den Schlußseiten, wo es um die Schönheit des Lebens geht … ) íí

Liebe Kitty! »Ein Bündelchen Widerspruch!« Das ist der letzte Satz meines vori­gen Briefes und der erste von meinem heutigen. »Ein Bündelchen Widerspruch«, kannst du mir genau erklären, was das ist? Was be­deutet Widerspruch? Wie so viele Worte hat es zwei Bedeutungen, Widerspruch von außen und Widerspruch von innen. Das Erste ist das normale »sich nicht zufrieden geben mit der Meinung anderer Leute, es selbst besser zu wissen …. Das Zweite …. ist mein Geheimnis. Ich habe dir schon öfter erzählt, dass meine Seele sozusagen zweige­teilt ist. —- ………….. Es ist mir unangenehm, dir dies zu erzählen, aber warum sollte ich es nicht tun, wenn ich doch weiß, daß es die Wahrheit ist? —- ………………… —- Es schluchzt in mir: Siehst du, das ist aus dir geworden: schlechte Meinungen, spöttische und verstörte Gesichter, Menschen, die dich unsympathisch finden ……….. —- Das halte ich nicht aus …. und schließlich drehe ich mein Herz wieder um, drehe das Schlechte nach außen, das Gute nach innen und suche dauernd nach einem Mittel, um so zu werden, wie ich gern sein würde und wie ich sein könnte, wenn… wenn keine anderen Menschen auf der Welt leben würden. – Deine Anne M. Frank

Dramaturgie – ehemals „Zeichen setzen“ “ …. Titel: Der Nazi als Rebell —- Label: Crazy Comedie und andere Unter-Haltungen  (Form: Offenes Theater

1. Plaudern: Während der Verwandlung in die Figuren

Themen:

1. Die (aktuelle) Situation von Schauspielern und Zuschauern

2. Motive (der Weltliteratur), die das Stück benutzt – Beispiele für andere Behandlung dieser Motive: Sollen die Aussage des Stückes relativieren und in Zweifel ziehen – Erfahrungen der Zuschauer abgreifen, und in Gegensatz zu Behauptungen im Stück bringen

erster Satz (eventuell): He, habt ihr noch niemanden sich schminken sehen?

2. die Szenen des eigentlichen Stückes

3. die Harlekinade (Nachmittagstalkshow) 

Unter diesem Aspekt noch einmal: Szene 12 – Bärbel macht sich fertig, um auf der Demo gegen die Bücherverbrennung in Osterode eine Rede zu halten – Fred spielt währenddessen den Ministerpräsidenten (der ihr – wir sind nach der Rede – wieder fließende Fördergelder in Aussicht stellt)  – diese vorletzte Szene ist spielerisch, offen und unernst – die letzte ist dann wieder ohne jede Brechung ernst (solange man sie nicht im Kontext sieht)


[1] ZSK: „Wenn so viele schweigen“

[2] ZSK: : „Keine Angst“